Ein Brief an den ehemaligen Freund

Mein lieber, ehemaliger Freund,
ich schreibe so oft Briefe an den verstorbenen Freund und irgendwie habe ich mir überlegt – warum soll ich das mit Dir nicht auch mal machen?
Das soll kein Brief werden mit der Intention „wie bekomme ich meinen Ex – Freund zurück?“, ich glaube ich habe es gerafft, nachdem ich zwei Mal gehört habe, dass Du mit mir keine Beziehung mehr führen möchtest. Es soll ein Versuch werden, Kopf und Herz zu synchronisieren. Dem Herzen das mitzuteilen, was der Kopf längst verstanden hat.

Ich denk immer noch viel an Dich.
Ich hätte mir manchmal gewünscht, Du hättest mich ein bisschen mehr Teil von Deinem Leben sein lassen. Selbst an den Katastrophen durfte ich kaum teilhaben. Kannst Du Dich erinnern, als wir auf dem Weg in den Süden waren, um Deine Ausbildung zu retten? Ich habe mich immer gefragt, wie Du das machst, das alles einfach so hinzunehmen. Du warst angespannt und besorgt, das hat man gemerkt, aber Du hast diese Ängste und Sorgen nicht geteilt. Ich kann mich erinnern, an diese Fahrt in den Süden, an dieses ganz komische Gefühl, dass das erste Mal nur wir beide so viele hundert Kilometer weit weg sind und das hätte ziemlich aufregend werden können, aber dass es eigentlich Anspannung pur war. Ich war froh, dass ich zumindest bei Dir sein konnte, dass ich Dich nicht alleine lassen muss und habe mich gefragt, wie ich Dich unterstützen soll. Ich wusste es nicht recht und habe mir gedacht, Du fängst sicher an zu reden, wenn Du das brauchst.
Ich kann mich erinnern, dass dort zu sitzen und auf Dich zu warten sicher eine der längsten Stunden der vergangenen Jahre war. Niemand wünscht sich, dass der Mensch, den man am meisten liebt, in ernsthaften Schwierigkeiten steckt.

Ich erinnere mich an die vielen Fahrradtouren, daran, wie ich Dich so oft still beobachtet habe und mich gefragt habe, wann dieses Wunder in mein Leben gefallen ist. Ich weiß nicht, ob es Dir jemals auch so ging.
Ich erinnere mich an meine Geburtsstadt. Es war so schön und so schwierig. Weil ich dachte, dass ich Dich überzeugt habe mitzufahren und ich jetzt auch die Verantwortung dafür habe, dass es nicht schrecklich für Dich wird. Aber ich glaube, Du fandest es gar nicht so cool.

Kannst Du Dich erinnern, als wir beim Trommelkurs waren? Da hat eine Frau, die Dich kannte über mich gesagt, dass ich ganz großes Glück gehabt habe, an Dich geraten zu sein. Und damals habe ich das auch so gesehen. 




Und doch kamen die Schatten über diese Beziehung. Ich glaube, der erste Moment, der einen so tiefen Riss gezogen hat, der kaum noch zu kitten war, war die Geschichte mit der Polygamie. Und ich glaube es war nicht mal, dass ich die Tatsache, dass Du so leben möchtest ganz schrecklich fand – ich bin echt für Vieles offen, wobei ich schon gestehen muss, dass mir das zumindest Angst gemacht hat. Aber ich hatte mich bis dahin noch nie damit auseinander gesetzt, weil das eben noch nie Thema war. Was für mich viel schlimmer war, war diese Verletzung von Vertrauen. Dass ich so etwas Essentielles für eine Beziehung nicht von Anfang an wusste.
Ich habe auch meinem Neurointensiv – Oberarzt von der Idee einen Brief zu schreiben erzählt. Er fand die Idee gut und hat mich gebeten, dabei auch ein Augenmerk auf die Wertung der Unverbindlichkeit zu Beziehungsqualität in der Zukunft zu legen. Und da muss ich sagen: Wenn ich meinen Kopf sprechen lasse, dann killt das halt eine Beziehung für mich mit der Voraussetzung. Beziehung und Unverbindlichkeit schließt sich halt aus. Ich weiß, dass Du Angst hast, Bindungen einzugehen. Das war am Anfang so oft Thema in unseren Gesprächen. Weil Du so viele Idealvorstellungen von Beziehung hast; vielleicht auch, weil bei Dir schon so viele Beziehungen schief gegangen sind, was sicher auch Spuren hinterlassen hat; das glaube ich Dir. Auch, wenn Du auch darüber nicht geredet hast. Aber ohne ein gewisses Maß von Vertrauen ineinander, von Bindung und Verbindlichkeit, kann ich keine Beziehung führen und keine Verantwortung für eventuelle Kinder tragen, die daraus entstehen können.

Wenn ich meinen Kopf frage, dann sind eine solche Beziehung und ich nicht miteinander zu vereinbaren. Wenn ich mein Herz frage, dann weint es weiterhin darüber.

Ich werde Dich vermissen. Und sicher werde ich mich so manches Mal fragen, wo Du jetzt bist und mich fragen, wie es Dir geht. Und weil ich es nicht wissen werde, werde ich einfach hoffen, dass es Dir gut geht. Dass Du irgendwen finden wirst, mit dem Du glücklicher wirst, als Du es mit mir warst. Und ich wünsch Dir, dass Du Deine Ausbildung irgendwie fertig machen kannst. Das Leben nimmt nicht immer gerade Wege – eigentlich in den seltensten Fällen – und ich bin sicher, Du wirst das schaffen, auch wenn Umwege manchmal unangenehm sind.
Ich wünsche mir für Dich, dass Du ein glücklicher Mensch wirst. Ich glaube manchmal, wenn man älter wird, dann fängt man mehr an die Menschen um sich herum zu sehen. Wenn man selbst so viel Schmerz gespürt hat, dann trägt man ihn lieber selbst weiter, als zu wissen, dass ihn wer anders tragen muss. Ich kann Menschen die ich liebe, so schlecht leiden sehen. Also tu, wohin Dein Herz Dich leitet und behalte das Licht immer nah bei Dir.

Mach’s gut
Mondkind

 

Bildquelle: Pixabay

Kommentare

  1. <3 Alles Gute für Dich. Ich glaube, er hätte auch großes Glück mit Dir gehabt Mondkind. Aber ich glaube, Du bist auf dem richtigen Weg jetzt.

    AntwortenLöschen
  2. Du bist so stark und du bist ein wertvoller Mensch. Ich wollte dir die ganze Zeit eine Mail schreiben, müsste aber ein neues Konto anlegen. (wegen dem Namen) Und das hatte ich bisher nicht geschafft. Weißt du ich habe auch eine Zwillingsschwester und ich liebe sie wirklich, aber unsere Beziehung ist viel distanzierter als früher. Ich fühle mich oft wie eine Klette und habe das Gefühl das sie genervt von mir ist. So sehr wünsche ich mir die Zeit von früher zurück, wo es anders war. Die ganze Zeit stößt sie mich weg und ist nicht besonders nett zu mir und das sagt sie selbst auch und weiß es. Sie sagt dann, dass es ihr leidtut und sie macht das bestimmt nicht mit Absicht. Aber es tut so unendlich weh. Ich liebe sie und dennoch ist sie mir so fremd. Es ist ein bisschen so wie bei dir. Ich gebe mein ganzes Herz und sie stößt mich weg. Ihr scheint unsere Beziehung nicht wichtig zu sein, oder sie sieht sie als selbstverständlich an. Das schlimme ist, dass ich alles kaputt gemacht habe. Weil ich mein Leben nicht mehr leben wollte. Ich habe sie so verletzt und bin immer noch dabei meine schuld abzuarbeiten. Doch sie wird nie verschwinden. Und jetzt ist da so ein Riss, der nie weggehen wird. In meiner Familie wird nicht gesprochen, nicht über Gefühle, nicht über all die Dramen. Ich habe keine freunde, dass war schon immer so. Und wenn ich jetzt jemanden anschreibe, kommt nichts. Das tut weh. Es tut weh nicht gewollt zu werden. Und es scheint so viel einfacher den Schmerz endgültig zu beenden. Und vielleicht ist das auch so. Vielleicht hast du von Toni gehört? Sie war noch so jung und hat ihren Kampf beendet. Das klingt vielleicht merkwürdig, aber das macht etwas mit mir, obwohl ich sie nicht kannte. Und das ist auch mit dir so. Ich lese schon so lange deine Texte und ich fand es so schön, dass du jemanden gefunden hattest. Doch ich hatte auch Angst, dass es zu einem traurigen Ende kommen würde. Und jetzt habe ich immer noch Angst. Angst um dich. Du bist so stark, mutig und klug und noch vieles mehr. Ich bewundere dich für deine Stärke. Du schreibst unglaublich berührende Texte. Ich mag dich, auch wenn wir uns gar nicht kennen. Als Zwilling ist man ja angeblich nie allein und doch sind wir es beide. So sehr wünsche ich mir, dass deine Geschichte ein Happy End haben wird. Du hast es verdient. Bitte pass auf dich auf. Bitte lass diesen Brief nicht dein Abschiedsbrief sein. Bitte bitte pass auf dich auf. Das schlimme ist, dass ich nichts tun kann. Ich weiß nichtmal wer du wirklich bist. Ich könnte nie auf deine Beerdigung gehen können um Abschied zu nehmen. Das fühlt sich so falsch an. Ich kenne dich, aber eigentlich kenne ich dich nicht. Pass auf dich auf. Alles liebe <3

    AntwortenLöschen
  3. Hey,
    Danke Dir erstmal für Dein langes Kommentar.
    Auch ein Zwilling also... ;) Naja, ich hätte mir das auch niemals für meine Schwester und mich so vorstellen können. Als wir Kinder waren, haben wir wirklich so sehr aneinander gehangen; hätte uns jemand gesagt, dass wir mal 600 Kilometer entfernt voneinander wohnen werden und uns im Jahr vielleicht ein Mal sehen und auch selten mal telefonieren oder schreiben - das hätte ich nicht für möglich gehalten. Ich glaube uns beide hat schon der Konkurrenzkampf zu Hause ein bisschen getrennt. Es ging immer nur um Noten und natürlich waren wir ziemlich dumm und jeder wollte ein bisschen mehr Anerkennung von den Eltern. Wenn einer eine 1 und der andere eine 1- hatte, gab es ja schon ein Problem. Da war die 1- nicht mehr viel wert. Ich glaube, wir hätten mehr zusammen halten müssen untereinander und nicht so um die Eltern kämpfen müssen. Aber das habe ich damals nicht so gesehen. Die ganzen Dynamiken zu Hause habe ich erst Jahre später verstanden.

    Es tut mir leid zu lesen, dass es da bei Dir auch so arge Schwierigkeiten gibt. Aber ich glaube nicht, dass Du für immer eine Schuld arbeiten musst. Das glauben wir alle gern - ich glaube das ja auch in Bezug auf den verstorbenen Freund - aber wahrscheinlich ist es nicht so. Wobei es auch nicht viel hilft das zu sagen; das weiß ich schon auch.

    Naja, mein Oberarzt versucht mir einzureden, dass ich schon auch irgendwann nochmal glücklich werden werde. Ich weiß es nicht mehr ehrlich gesagt. So rein rational weiß ich schon - wie wahrscheinlich jeder in der Situation und auch Du - dass es zu früh wäre, sich auf den Weg in eine andere Welt zu machen. Praktisch ist das manchmal nicht so einfach wenn da nur noch Schwere ist und man eigentlich keinen Plan mehr hat, wofür und warum man sich da durch kämpft. Und ein Grundvertrauen in "alles wird okay", wenn es bisher im Leben noch nie so war, kann man da halt auch nicht vorweisen. Wenn es passiert, wird es schon eher eine Kurzschlussreaktion werden und davor habe ich schon auch ein bisschen Angst. Das Helfersystem trägt zwar - aber eben keine Notfallsituationen.

    Dir auch erstmal alles Gute. Wir kämpfen beide noch ein bisschen, okay?
    Mondkind

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen