Über Erfolgserlebnisse

 „Wo kann ich denn noch Wasser für meinen Tee bekommen?“, fragt ein junger Mann, der vorsichtig an der Tür zu unserem Arztzimmer geklopft hat und nun mit Maske vor uns steht, weshalb sein Gesicht nicht genau zu sehen ist.
„Entschuldigen Sie – wer sind Sie denn überhaupt?“, fragt der Kollege, der noch mit mir dort sitzt.
Ich sehe die beiden Tattoos auf seinem Arm.
„Das ist doch Herr [xy]?“ sage ich.
„Entschuldigen Sie – Sie sind Herr [xy]?“, fragt der Kollege noch mal nach.
„Ja“, entgegnet der Patient, als ob es das normalste der Welt wäre.
„Sie laufen?“, fragt der Kollege nach, etwas entgeistert
„Ja, das ist doch normal“, sagt der Patient.
„Sie hatten einen schweren Schlaganfall“, entgegnet der Kollege.
„Was in meinem Kopf los ist weiß ich nicht genau, aber ich hätte gern Wasser für meinen Tee“, wiederholt der Patient sein Anliegen.
„Gehen Sie mal bitte nach vorne ins Schwesternzimmer und fragen Sie dort nach“, erkläre ich.
Der Patient bedankt sich und stiefelt von dannen.

Ich muss kurz weinen, als er raus ist.
Er ist der Patient, den ich letzte Woche thrombektomiert habe. Anfang 40; eine Dissektion der ACI ist ihm zum Verhängnis geworden. Quasi vor unseren Augen ist der zusammen gesackt, hat kurz gekrampft und hatte im Anschluss eine Halbseitenschwäche, eine schwere Sprechstörung und eine Schluckstörung. Ich bin mit ihm sofort ins CT gerast, wo man einen M1 – Verschluss, vermutlich durch die Dissektion ausgelöst, festgestellt hat. Eine Lyse war bei vorbestehenden, kleineren Schlaganfällen durch die Dissektion schon nicht mehr möglich. Bei beschwerdefreien Patient war eine DSA mit Interventionsbereitschaft für den nächsten Tag geplant und wenige Stunden vor der Intervention ist das passiert, was man hatte verhindern wollen. Also habe ich ihn thrombektomieren lassen durch die Neuroradiologen.
Als er wieder aufgewacht ist, war der linke Arm quasi plegisch, das Bein auch nicht viel besser und ich dachte wirklich, ich habe diesen Menschen kaputt gemacht. Das war eine schwierige Nacht und ein schwerer Tag danach.
Und jetzt gerade bin ich so bewegt ihn zu sehen, dass es ihm mittlerweile doch so gut geht. 





***

Ansonsten herrscht auf der Arbeit allerdings riesiges Chaos.
Ausfälle wegen Krankheit, daneben sind ein paar von uns zu der Fortbildung, die Pflicht ist, damit wir bald Studien betreuen dürfen. Und für die Zeit gibt es keine Vertretung für uns. Ich war jeden Tag erst spät zu Hause in Kombination mit dem Schlafmangel ist das ganz schwierig. Ich habe immer das Gefühl, dass ist fast der Garant für eine psychische Dekompensation.
Aber ich versuche mich wacker zu halten. Erst heute musste ich jemanden in die Psychiatrie verlegen, weil er schwerst delirant war und dann hatte ich erstmal eine Kollegin an der Strippe, die gerade ihr Psychiatrie – Jahr in der nächsten Psychiatrie macht. Wir haben uns auch kürzlich mal getroffen – die hat einen genauen Überblick über die Belegung und – ohne über Details zu reden – so manchen Namen dort gelesen, dem sie an diesem Ort lieber nicht begegnet wäre.
Vielleicht war dieser Zustand tatsächlich der, vor dem ich am meisten Angst hatte im Rahmen der Trennung und ich wusste, dass das so kommen würde. Teilweise weiß ich auf der Arbeit nicht mehr, wie ich auf dem Stuhl sitzen soll, weil jede Sitzposition zu anstrengend ist. Das fühlt sich an, als könnte ich mich unter dem Tisch zusammen rollen und auf der Stelle einschlafen. Und dieser Erschöpfungszustand über Tage, Wochen und vielleicht Monate. Ich glaube, das kann man sich schwer vorstellen, wenn man es nicht erlebt hat. Alle Aktivitäten sind mittlerweile völligst eingestampft, bis irgendwann wieder etwas Energie da ist. Mal schauen, wie ich Freitag dann nach dieser Woche noch durch den Dienst komme...


***

„Ich denke, ich kann verstehen, dass du Angst hast wieder geliebte Menschen zu verlieren. Auch wenn bei mir niemand gestorben ist, ist es doch einfach befremdlich und absolut komisch, wie man sich mit einem Menschen so gut verstehen kann und plötzlich das nicht mehr möglich ist und er aus dem Leben verschwindet.“
Ein Ausschnitt aus einem Text, den mir heute ein Mensch geschrieben hat, der erst seit wenigen Tagen in meinem Leben ist. Hätte von mir sein können, oder? Und hat mich irgendwie schwer bewegt, nachdem ich das doch letztens sehr ähnlich formuliert habe.
Aber man soll ja nicht zu viel über Dinge reden, die sehr fragil sind. Also bleibt das vorerst im Untergrund, was es damit auf sich hat.


Mondkind

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