Von einem Nicht - Treffen

Atmen.
Einfach irgendwie atmen.
Zwischen all den Tränen.

Eigentlich haben meine Schwester und ihr Freund sich heute Abend dazu herabgelassen, mir mal zwei Stündchen Zeit einzuräumen, damit ich mein Schwesterherz nach einem halben Jahr auch mal wieder kurz sehe. Aber nachdem bis heute Morgen immer noch nichts geplant war, ich darum gebeten hatte, man möge mich auf meinem Diensthandy mal anrufen (es gibt absolut keinen Empfang in diesem Krankenhaus auf dem privaten Handy), um sich zu koordinieren und den ganzen Tag kein Anruf kam, hatte ich schon ein blödes Gefühl.
Immerhin habe ich mich die ganze Woche beeilt, Briefe vorgeschrieben, damit ich heute zwar verspätet, aber irgendwie noch zu einer vertretbaren Uhrzeit raus komme.
So… - und wer sitzt jetzt hier und nicht bei der Schwester… ?

Ich weiß, dass es eigentlich nicht schlimm ist. Aber für meine ohnehin angeschlagenen Nerven ist das gerade ein bisschen viel.

Es fühlt sich langsam an, als würde ich als Mensch ständig irgendwie weg geschmissen werden. Dabei versuche ich mich soweit es geht anzupassen, auf die anderen einzugehen und ich finde das auch meistens wirklich nicht schlimm. Ich habe kein Problem damit mich anzupassen. Aber irgendwie reicht es nie. 




***
Es hat drei Monate gedauert, bis ich begriffen habe, dass er gegangen ist. Und nicht zurück kommt.
Drei Monate, bis ich verstanden habe, dass jedes Treffen, jedes nebeneinander liegen kein Warten darauf ist, dass es nochmal ganz wird, sondern den Abschied verlängert. Dass all das, was wir da machen nicht wie am Anfang ist, als wir immer ein Stück weiter in die Richtung gedrängt haben, mehr teilen zu können, sondern, dass es der Anfang davon ist, weniger zu teilen.
 
Ich vermisse ihn immer noch.
Manchmal, wenn ich an ihn denke, habe ich ganz unvermittelt das Gefühl seine Hand auf meinem Bauch zu spüren, oder wie er mich von hinten in den Arm nimmt.
Und dann tut es kurz so weh, dass man meint, das Herz bricht. Es  gibt immer noch Tage, an denen dieses Fehlen kaum auszuhalten ist.

Es wird lange dauern, bis ich bereit für eine neue Beziehung bin. Wenn das überhaupt nochmal der Fall ist. Wir sind mittlerweile halb so lange getrennt, wie wir zusammen waren. Und am Ende macht es doch keinen Sinn. Wenn man jeden guten Moment mit so viel Schmerz bezahlen muss.

***
Ich würde gerne Worte finden.
Für das, was in mir drin ist.
Der Mantel der Erschöpfung hat sich über mich gelegt und mir nicht zuletzt auch ein bisschen die Worte gestohlen. Ich bin absolut genervt und überreizt. Schon von Kleinigkeiten. Wenn die Kollegen morgens 10 Minuten zu spät kommen und dann an der schon von mir festgelegten Patientenverteilung herum diskutieren wollen. Wenn plötzlich noch einer weniger auf der Station ist. Wenn die Angehörigen das fünfte Gespräch in zwei Tagen haben wollen, weil sie es immer noch nicht verstehen. Wenn das MRT den Termin meines Patienten den dritten Tag in Folge verschiebt und ich dem Oberarzt beichten muss, dass ich niemanden erweichen konnte. Wenn der dienstplanverantwortliche Oberarzt zu der Idee kommt, mit nächste Woche statt des einen Tages frei vielleicht doch zwei Tage frei zu geben, die im Januar absolut nicht möglich waren. Aber nachdem diese Woche zwei Kollegen mal noch einfach so einen Tag frei bekommen habe und ich angemerkt habe, dass ich das unfair finde… nur habe ich jetzt Freitag das Auto in der Inspektion und Samstag ohnehin Dienst und das kriege ich alles nicht mehr verschoben, obwohl ich so gern zurück in die Studienstadt und an den Fluss möchte.

Ich hab seit Wochen nicht vernünftig geschlafen, ich weine jeden Morgen, wenn der Wecker klingelt, weil ich einfach nicht mehr kann. Da sind seit Tagen die Magenschmerzen, ich kann kaum noch etwas essen, ohne mich hinterher irgendwo zusammen zu rollen. Da ist dieses Durcheinander im Kopf, das dazu führt, dass ich jeden Brief noch drei Mal lesen muss, weil ich einfach irgendwelche automatisierten Phrasen rein schreibe.

Die Grenzen sind erreicht.
Und selbst, wenn das so ein Zustand wäre, den ich nur noch kurzfristig aushalten müsste, wäre es schon zu viel.
Nur leider kann ich aus der Situation nicht kurz raus und irgendwo bleiben.
Weiter.
Einfach weiter.
Solange mich meine Füße tragen. Aber viele Kapazitäten hat es nicht mehr. Ich habe das zu oft und zu lange gemacht.
Und nicht darüber nachdenken was passiert, wenn die Füße versagen.

Mondkind


Bildquelle: Pixabay

Kommentare

  1. Liebe Mondkind, bitte pass auf dich auf. Und es ist eben doch schlimm, dass deine Schwester keine Zeit für dich hat und dich so enttäuscht. Das hast du nicht verdient und ich an deiner Stelle würde mich auch so fühlen. Ich finde es furchtbar schwierig Dinge nicht persönlich zu nehmen. Und dann frage ich mich, was habe ich falsch gemacht und was mache ich immer noch falsch. Man kann den Menschen leider nur vor den Kopf gucken und das macht die Sache so schwer. Eventuell könntest du im Fall von deiner Schwester, ihr sagen wie sich ihr Verhalten auf dich auswirkt. Das du enttäuscht bist und das eben zu Recht. Das ändert vermutlich eh nichts, aber vielleicht ist es gut das Ganze mal auszusprechen. Und das mit dem ehemaligen Freund, tut mir immer noch unfassbar leid. Bitte pass trotzdem ein bisschen auf dich auf. Du nimmst jetzt Medikamente oder? Vielleicht gibt es eine kleine Unterstützung, dass du etwas schlafen kannst...
    Hoffentlich hältst du noch ein bisschen durch. Ich denke immer an dich und würde dir sooo gerne helfen. Wenn es etwas gibt, lass es mich wissen. Alles liebe xx

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  2. Guten Morgen,
    Danke erstmal für die lieben Worte.

    Naja ist das nicht doch ein bisschen persönlich? Natürlich war das auch für mich damals nicht ganz einfach, meine Schwester und meinen Freund unter einen Hut zu bekommen, aber es geht schon...

    Ja, ich nehme im Moment Medikamente. Ob das irgendetwas bringt, weiß ich aber nicht. Ich kriege hier halt trotzdem abseits der Arbeit nichts mehr auf die Reihe. Das erinnert mich sehr an all die Monate vor dem letzten Klinikaufenthalt, wobei halt da immer irgendwo die latente Hoffnung war, dass das nochmal irgendetwas bringt und ich das nur noch bis dahin durchhalten muss. Ich weiß auch gar nicht, was ich der Frau des Oberarztes beim nächsten Termin erzählen soll. Ich habe halt nichts gemacht. Außer überlebt. Und die Arbeit irgendwie auf die Reihe gebracht. Was viel ist in meinem Zustand, aber wenig für die Menschen um mich herum.

    Naja, nächste Woche habe ich ja zwei Tage frei. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich wahrscheinlich in die Studienstadt fahren wollen, aber Planung war ja noch nie so die Stärke auf der Akutneuro. Das wiederrum hat auf der ITS gut funktioniert. Vielleicht kann ich die Zeit ja - trotz dann eines Dienstes am Wochenende - nutzen, um ein bisschen die Batterien aufzuladen.

    Mondkind

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  3. Hallo,
    Ich war zuerst ein bisschen verwundert, dass du es zu persönlich findest mit deiner Schwester über deine Enttäuschung zu reden. Aber je länger ich darüber nachdenke, kann ich deine Überlegung schon irgendwie verstehen. Es war ja auch nur eine Idee. Ich habe letztens noch darüber nachgedacht, dass in meiner Familie das Motto herrscht, wenn man darüber redet (was einem belastet/was schief läuft) dann wird alles noch viel schlimmer. Aber es wird auch nicht besser, wenn man nicht redet. In meiner Familie fragt man zwar ob alles ok ist, aber niemand würde jemals auf die Idee kommen die Wahrheit zu sagen. Ziemlich traurig.
    Es ist ziemlich anstrengend zu überleben und ich finde es bemerkenswert, dass du es überhaupt schaffst so einen herausfordernden/kräftezehrenden Job zu meistern. Mit Medikamenten kenne ich mich nicht aus, aber bei mir hat auch nie etwas geholfen. Tavor zum Beispiel hat bei mir gar keine Wirkung. Die in der Klinik haben sich da auch immer gewundert und viel probiert.
    Letztens hat eine influencerin eine Seite für Online Therapie empfohlen. Scheint auch von der Krankenkasse übernommen zu werden. Ich glaube, dass hieß Selfapy, müsste ich nochmal nachgucken. Vielleicht könnte das ja eine zusätzliche kleine Unterstützung sein. Ist mir nur eingefallen. Keine Ahnung ob das gut ist. Bitte pass auf dich auf. alles liebe und halte noch durch. Ich denke an dich.

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  4. Achso nicht meine Familie sondern ich denke das es nicht besser wird, wenn man nicht redet. Aber ich mache es ja auch nicht besser....Leider...

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