Von einem Freitag

„Bei Dir passiert so viel ohne Worte“, hast Du gesagt und geschwiegen.
Gerade ist das wieder so.
Ich denk an uns, wie wir dort saßen, Rücken an Rücken, den anderen beim Atmen gespürt haben und über den Rhein geschaut haben.
Ich wünschte, Du wärst jetzt hier an meiner Seite und ich könnte Dich noch fragen, wie ich jetzt eigentlich leben soll.
 
Ich glaube ein Teil von mir ist irgendwo dort, irgendwo in diesen Sommern, als wir dachten es wird okay. Für Dich und für mich. Wir haben uns beide so sehr in dieses Leben gekämpft, so sehr den Frieden dieser Sommerabende genossen und ein Teil von mir möchte gerade dort bleiben und nicht hier diesen Alltag leben müssen.
Und wenn Du jetzt hier wärst, dann würde ich Dir sagen, ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, ob ich nicht bin wie so ein Akku, der allmählich schlechter wird. Der sich nicht mehr ganz vollladen lässt und immer schneller leer wird.
Ich würde Dir sagen ich weiß wie wichtig es ist dran zu bleiben, den Kopf nicht in den Sand zu stecken, stark zu bleiben und das nicht nur für die anderen, sondern auch für sich selbst zu demonstrieren. Und manchmal würde ich doch gern in fremden Armen liegen, kurz gehalten werden und manchmal würde ich gern sagen: „Ich hab Angst. Ich hab Angst, dass ich nicht mehr der Mensch werde, der ich mal gewesen bin.“ Und es war nie richtig gut, aber mehr okay als jetzt.

Alte Café - Dates

 

***

Ich schleiche schnell durch Foyer, nehme die Treppen in den Keller.
Wenige Minuten später sitzen der Intensiv – Oberarzt und ich uns gegenüber.

„Ich glaube, es war nicht die beste Idee, die halbe Nacht meine alten Tagebücher zu lesen“, sage ich. „Auch, wenn es viel erklärt. Ich glaub, ich hab immer gedacht, ich muss das nur aushalten. Bis ich 18 bin, bis ich zu Hause raus bin, bis ich meine Autonomie habe. Und dann kann ich einen Cut machen und mein Leben leben.“
„Naja aber Frau Mondkind, Ihre Biographie bleibt und die hat Sie geprägt und mit der müssen Sie sich beschäftigen und die müssen Sie annehmen, das gehört zu Ihnen.“
„Heute glaube ich das auch, aber damals habe ich das nicht gesehen. Und wenn ich mir das so recht überlege glaube ich, dass der erste Psychiatrieaufenthalt dadurch entstanden ist, dass eben genau dieser Plan nicht aufgegangen ist. Weil das Leben nicht leichter geworden ist, weil ich mich so sehr in den Dingen von damals verstrickt hatte, weil mir eben mit dem was ich erlebt hatte zwar objektiv, aber subjektiv die Welt nicht offen stand. Weil ich immer noch Klauen um mich herum gespürt habe und die nicht los geworden bin, auch wenn ich so frei war, wie nie davor.“
„Das braucht Zeit Frau Mondkind.“
„Ich glaube manche Dinge werden sich nie kitten lassen. Ich habe mir nichts mehr als eine Familie gewünscht, bei der ich bleiben kann. Ich hätte ungefähr alles dafür gegeben. Und auch, wenn ich mich jetzt nicht von einer Beziehung in die Nächste geflüchtet habe, aber heute glaube ich, dass die Beziehungen auch ein bisschen ein Versuch waren, irgendetwas „wieder gut“ zu machen. Es war so schön einen Menschen zu haben, der ganz horizontal neben mir steht. Das waren Zeiten mit so viel  Frieden in mir.“

Und nach einer Pause.
„Wissen Sie, ich weiß nicht, ob das schlau ist das jetzt zu sagen. Ich bin so unglaublich dankbar, dass Sie da sind. Und gleichzeitig muss ich auch so viel darüber weinen, weil es manchmal so weh tut zu wissen, dass das eben keine Lösung ist, in der ein Mensch aus dem privaten Umfeld horizontal neben mir steht. Sie müssten das hier alles nicht machen. Es ist nicht Ihre Aufgabe. Sie sind eigentlich gerade der Mensch, den man irgendwo in der Familie finden sollte. Und Sie werden ein Mensch sein, der ein kleines Stück mit geht und dann auch wieder gehen muss. So ist das einfach. Und manchmal tut das auch sehr weh. Aber gerade sind Sie eben ein Anker für mich.“
„Das freut mich, dass ich Ihnen da helfen kann und ich bin wirklich gern für Sie da. Ich weiß, wo ich her komme Frau Mondkind. Und machen Sie einen Fehler nicht: Wenn es Ihnen irgendwann ein bisschen besser geht, werfen Sie nicht sofort das Helfersystem weg – auch wenn ich verstehen kann, dass das auch belastet. Dann reduzieren Sie es vielleicht, beanspruchen es vielleicht seltener, aber behalten Sie es. Meine Frau weiß mittlerweile auch, dass wir noch regelmäßig Kontakt haben, das ist alles okay.“
„Naja, das habe ich jetzt schon zwei Mal so gemacht, dass ich das Helfersystem an den Nagel gehängt habe. Vielleicht soll ich das nicht ein drittes Mal machen.“
„Nein, das sollen Sie nicht.“
Wir vereinbaren, dass wir uns übernächste Woche wieder sehen in meiner nächsten Spätdienstwoche und bis dahin schreiben.

***
Am Nachmittag ist noch Foto – shooting. Der Internetauftritt soll erneuert werden und jeder von uns soll dort mit einem Foto vertreten sein.
Ich bin schon längst im Spätdienst in der ZNA angekommen und beschäftige mich gerade im Isolationsbereich mit einem Covid – Patienten, als das Telefon klingelt und der Kollege aus der ZNA mich anruft. „Mondkind hier steht irgendein Oberarzt von der Intensiv, der fragt ob Du auch zu diesem Fotoshooting gehst“, sagt er. „Müssen wir, gell?, entgegne ich. „Lass ihn da mal kurz warten, ich komme gleich.“
Und dann treffe ich den neuen, zweiten Oberarzt der Intensiv, der kürzlich erst zurückgekommen ist. Der, mit dem ich mir im PJ ein Büro geteilt habe, damals noch im alten Gebäude. Und irgendwie bin ich berührt davon, dass er immer einen Abstecher bei mir macht, wenn er irgendetwas im Neubau erledigen muss – die Intensivstation ist nämlich weiterhin im Altbau.
„Mondkind, ich habe gedacht, wir können zusammen gehen“, sagt er, als ich ihm entgegen gerast komme und wir gemeinsam mit dem anderen Kollegen aus der Notaufnahme los gehen.
Als wir beinahe vollständig versammelt sind, legt der dienstplanverantwortliche Oberarzt los: „Also – wir machen mal ein kurzes Familiengespräch.“
Manchmal liebe ich diese Neuro immer noch…

Mondkind


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