Turbulente Tage

Ich wollt' so oft einschlafen und nie wieder aufwachen
Zu müde vom Wein'n, zu müde zum Reden, ey, es tut weh

Wenn der Mensch, den man eigentlich am meisten liebt
Das Vertrauen bricht und nichts mehr geht
Wen ruf ich jetzt an? Wärst ja eigentlich du
Und der Mensch, der wirklich alles von mir weiß
Trotzdem irgendwie drauf scheißt
Wer ist jetzt für mich da? Wärst ja eigentlich du
Eigentlich du

Revelle - Einschlafen

 

Irgendwann in diesem Dienst habe ich das Bedürfnis mich einfach auf den Boden zu setzen und zu weinen. Allein bis Mitternacht habe ich 15 Aufnahmen und irgendwann weiß ich einfach nicht mehr, wo ich zuerst hinlaufen soll. Ich werfe auf jeden Notfall schnell einen Blick, aber manchmal müssen halt selbst die akuten Notfälle warten.
Eine VZV – Meningitis fische ich in dieser Nacht heraus bei einem sehr jungen Patienten, der initial mit Verdacht auf Schlaganfall kam, weil er plötzlich nicht mehr sprechen konnte. Im Nachhinein hört sich das gut an. In der Akutsituation, in der man nicht weiß, was der Patient hat und ob man gerade eine Lyse verpasst, ist das überhaupt nicht lustig. 


Unterwegs mitten in der Nacht. Mit "externem Gehirn" unter dem Arm


Kurz vor 10 Uhr in der Früh.
Übergabe in der Frühbesprechung erledigt – manchmal kann ich morgens kaum noch sprechen, wenn ich so erschöpft bin, aber ich habe es geschafft alle Patienten aus der Nacht gut zu berichten. Danach gab es noch eine Fortbildung von einer Oberärztin, bei der ich beinahe eingeschlafen wäre. Und jetzt sitze ich mit einem Kaffee im Arztzimmer, der auch nicht viel rettet.
„Mondkind, bist Du mit dem Auto hier?“, fragt der dienstplanverantwortliche Oberarzt, mit dem ich heute Nacht Dienst hatte. „Nein, zu Fuß“, entgegne ich. „Du bist nämlich auch nicht mehr fahrtauglich jetzt. Aber geh nach Hause.“ Ich darf schon kurz vor 10 Uhr gehen.
 
Da ich dem ehemaligen Freund am Wochenende zugesagt habe, ein großes Paket für ihn zur Post zu bringen und ich das gern erledigt hätte, mache ich das noch. Danach hüpfe ich endlich unter die Dusche und dann in mein Bett.
 
Am Abend hätte ich eigentlich einen Termin bei der Frau des Oberarztes gehabt, aber nachdem ich einen Blick auf mein Handy schmeiße, nachdem der Wecker geklingelt hat fällt mir auf, dass sie während ich geschlafen habe geschrieben hat, dass sie kurzfristig nicht kann. Na super… Böse bin ich nicht wirklich stelle ich fest, aber ärgerlich ist es schon; immerhin habe ich mir den Wecker gestellt und hatte nicht viel Zeit zum Schlafen.
Dafür kann ich aber am Abend spontan zwei andere Kollegen besuchen, die mich in der Zeit gefragt haben, ob ich – wenn ich ausgeschlafen habe – nicht vorbei schauen mag.
 
Wir essen Kuchen und trinken Kaffee um sieben Uhr abends. Auch ein bisschen verrückt, aber der Tag – Nacht – Rhythmus ist ja ohnehin dezent im Eimer.
 
Später am Abend telefoniere ich noch mit dem ehemaligen Freund.
Mir ist bewusst, dass dieses Telefonat mit genau der Situation enden kann, vor der ich am meisten Angst habe. Aber wir müssen die Dinge klären.
Wir unterwandern unsere eigene Entscheidung, erkläre ich. Und wir leben etwas anderes als das, was kommuniziert wurde. Wir tun so, als seien wir nicht getrennt, obwohl wir es offiziell sind. Und wenn wir uns sehen, dann sind wir irgendetwas dazwischen. Zu wenig für eine Beziehung, aber zu viel für einfach nur Freundschaft. Jeder hat begonnen wieder die Fühler in das Leben des anderen zu stecken und in gleichem Maß verschließen wir davor die Augen, hüpfen irgendwie von Wochenende zu Wochenende und wissen eigentlich nie, wann die Welle bricht, auf der wir uns bewegen.
Der Freund erzählt mir wieder eine halbe Stunde etwas zum Thema Beziehungen, Bindungen und Abhängigkeiten. Und immer wenn er spricht, dann fühle ich mich wie eine Klette an ihm. Dabei bin ich weiterhin der Meinung, dass ich keinen Menschen, der mir emotional so wichtig ist in meiner Nähe akzeptieren kann, der sich verhält wie ein Geist. Mal ist er da, mal ist er nicht da; ob ihm diese ganze Beziehung wichtig ist oder ob ich die Einzige bin, der etwas daran liegt, habe ich bis zum Ende nicht verstanden. Wirklich gekämpft für diese Beziehung hat er nie. Ich habe immer nur gehört, was ihm alles nicht passt und wie ich mich ändern muss, damit er bleiben kann.
 
Irgendwann will er wissen, was ich jetzt von ihm brauche. „Eine Antwort“, sage ich. „Wir haben zwei Möglichkeiten. Entweder Du sagst, Du hast diese Entscheidung vor zwei Monaten getroffen und Du bleibst dabei – dann müssen wir jetzt konsequent werden und sollen uns auch nicht mehr sehen. Ich kann keinen Menschen weiterhin treffen, den ich so sehr liebe, von dem ich eigentlich nie weiß, ob ich ihn nochmal wieder sehe, wenn ich gehe. Und ob er nicht nächste Woche vielleicht eine neue Freundin oder weiß ich nicht was hat – denn eigentlich kann ja jeder von uns – so wie das jetzt läuft, machen was er will. Oder Du sagst – Du hast den selben Eindruck wie ich – nämlich, dass jeder doch ganz vorsichtig wieder die Fühler in das Leben des anderen steckt und wir sagen, wir versuchen das nochmal. Dann bin ich da weiterhin bereit, noch geduldig zu sein.“
Er überlegt kurz, meint dann aber, er glaubt ich hätte gerade gesagt, wir sollen uns nicht mehr sehen.
 
„Du wirst mir fehlen“, waren die letzten Worte, die ich ihm am Sonntag gesagt habe, bevor ich gefahren bin. Als hätte ich es gewusst.
Er wird mir fehlen.
Ich weiß nur nicht, ob ich ihm auch fehle. Ich hatte immer den Eindruck, ihm ist das alles nicht so wichtig. Ich weiß nicht, ob er mich je gefragt hat, ob er mich besuchen kommen darf. Und vielleicht werde ich nie wissen, ob er irgendwann mal genauso empfunden hat, wie ich für ihn.




 

Der nächste Tag. Mittwoch.
„Mondkind, Dein Dienst hat dafür gesorgt, dass wir uns jetzt überlegen zumindest bis spät abends einen zweiten Dienstarzt einzuführen. Es ist nicht mehr machbar“, sagt der dienstplanverantwortliche Oberarzt, als wir zu Zweit im Arztzimmer sitzen.
Dann machen wir alle noch mehr Dienste. Aber ich habe auch schon mal mehr Dienst gemacht, als es im vorletzten Sommer kaum noch dienstfähige Ärzte gab.

Heute Abend bin ich dann wirklich auf dem Weg in die Nachbarstadt. Der Chef hat mich gegen 17 Uhr erwischt, wie ich eilig über die Station gerast bin, weil ich gehen wollte und hat direkt mal gefragt, wo ich denn so früh hin möchte. Naja, es ist eine halbe Stunde nach offiziellen Arbeitsende...? Muss ich mich da rechtfertigen…?
Heute Abend muss ich dann mal beichten, was hier die letzten Wochen los war. Und dass der ehemalige Freund und ich uns eben irgendwie doch gesehen haben. Über das Telefonat gestern Abend und dass es sich irgendwie anfühlt, wie eine zweite Trennung.
Diesmal reden wir über Leitsätze. Und darüber, wie die mein Leben prägen. „Du darfst keine Fehler machen.“ Und „Du sollst angepasst sein und keine Bedürfnisse haben“, ziehen sich ziemlich stark durch mein Leben. Und dann geht es darum, wie sehr diese Sätze das Leben beeinflussen. Ich denke da immer in erster Linie an meinen Job. „Wie war das denn mit Ihrer Beziehung zum ehemaligen Freund?“, fragt sie. „Naja, ich habe schon immer versucht, dass es für ihn passt“, sage ich. „Aber ehrlich gesagt habe ich auch kein Problem damit. Viele haben mir gesagt, er würde mich ausnutzen und ich habe den Punkt gesehen, mich aber nie ausgenutzt gefühlt.“ „Haben Sie denn überhaupt einen Überblick über Ihre Bedürfnisse?“, fragt sie. Naja keine Ahnung. „Was sich allerdings schon bestätigt hat ist, dass es eine mittelschwere Katastrophe ist, Bedürfnisse zu haben“, werfe ich ein. Das muss ich dann erklären. „Letzten Endes gab es einen Punkt, in dem ich ihm nicht nachkommen konnte. Nicht, weil ich es nicht gewollt hätte, sondern weil es für mich einfach so schwer und schambesetzt war, mich damit zu beschäftigen, über meine Schatten zu springen und er mir enorm viel Druck gemacht hat. Und das war das Thema Sexualität. Und das war auch der Grund, warum er sich von mir getrennt hat.“ Wir reden eine Weile drüber. „Er war mir wirklich wichtig als Mensch und ich hätte alles gegeben, was ich habe, um dieses „wir“ zu behalten. Ich weiß nicht, ob ich jemals so geliebt werden werde, wie ich ihn geliebt habe. Ich weiß nicht, ob er das weiß. Dass ich bis jetzt immer für ihn einspringen würde. Vielleicht sollen wir uns nicht mehr sehen, aber wenn er mal irgendwann irgendetwas braucht, dann würde ich immer für ihn da sein ohne das zu hinterfragen. Und ich glaube, das wird bis ans Ende meines Lebens so bleiben. Das hört sich sehr groß an jetzt, aber er war nach dem verstorbenen Freund der Mensch, der der Wichtigste meines Lebens geworden war. Und solche Menschen bleiben. Immer. Auch wenn sie fehlen. Und jedenfalls – ich habe auch da alles versucht. Ich bin sogar nochmal in die Studienstadt gefahren, um mit meiner ehemaligen Therapeutin, die die letzten sechs Jahre nicht mal wusste, dass das ein schwieriges Thema ist, darüber zu reden und zu überlegen, wie man Lösungen finden kann. Aber letzten Endes hat ihm das alles nicht gereicht. Und es ist schwierig immer wieder als Mensch nicht gewollt zu werden, eben weil man wahlweise Bedürfnisse hat oder weil man in einem Punkt nicht angepasst genug ist. Aber er hat mir am Ende keinen Raum zum Atmen mehr gelassen. Die Ansage war wortwörtlich „wenn das weiterhin für Dich ein Problem ist, dann müssen wir uns trennen.“ Und ich konnte das nicht in Luft auflösen. Diese eine Sache nicht. Und ich glaube, das wäre noch einfacher zu akzeptieren gewesen, hätte ich zumindest mal ein Eindruck gehabt, er hätte sich mit meinem Standpunkt auseinander gesetzt und zumindest mal gewürdigt, wie sehr ich mich bemüht habe. Als wir uns getrennt haben, war ich schon so auf dem halben Weg.“
Vielleicht hatten wir auch ein Problem in unserer Kommunikation von Bedürfnissen, sagt sie. Vielleicht war er da zu einengend und vielleicht habe ich zu wenig gesagt. Vielleicht hätte er sich sogar gewünscht, dass ich mehr sage, wirft die Frau des Oberarztes ein.
Wir klären das nicht mehr zu Ende, denn es ist Zeit zum Gehen…

Und ich bin jetzt sehr müde.
Das waren turbulente Tage.
Mondkind


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