Von Helfersystemen und Coaching

Stehen bleiben.
Und Atmen.
Die ersten beiden Tage frei in diesem Jahr.
So krass ist das jetzt zwar auch nicht, wenn man am Wochenende schon wieder arbeiten muss, aber immerhin habe ich den Donnerstag kurzfristig frei  bekommen und somit ist dieser Tag dann doch irgendwie „Bonus“.

Und obwohl die Seele sich frei schreiben muss, werden die Texte „unrund“, drücken nicht aus, was da irgendwo ist. Zumindest habe ich das Gefühl.

Ich atme so oft in Welten, die nicht mehr Teil meiner Welt sind.
Immer schon. Ist mir mal aufgefallen.
Wenn das gegenwärtige Geschehen so unaushaltbar ist, dann bleibe ich irgendwo stecken. Als die Welt noch heiler war. Als ich glauben konnte, dass ich irgendwann heil werde.
Dann lebe ich in Parallelwelten. In der Welt, die nicht bleiben konnte und nur mit einem halben Sein in der Welt, die eben doch meine Realität ist.

Ich schaue diesem Wesen zu, das sich gefühlt jeden Tag ein bisschen mehr selbst verliert. Und abgesehen von diesen Wellen von Traurigkeit ist da mitten in der Erschöpfung kaum noch etwas übrig. Das fühlt sich an, wie eine Wand zwischen mir und der Welt, als würde ich nicht mehr drin stehen, in der Welt und in dem, was hier passiert.
Es ist ein stilles Registrieren, ohne zu bewerten.

Ich glaube irgendwann verschiebt sich der Fokus.
Weg von all dem, was nicht aushaltbar war. Und was auch gerade ohnehin nicht änderbar ist. Es nützt nicht viel so oft über all die Verluste, die Angst, die Traurigkeit, die Schuld, das was wäre wenn zu reden. Aber da ist es immer noch und ob ich es jemals integrieren kann, weiß ich nicht.
Und irgendwann spürt man den Körper, spürt die Rebellion woanders. Irgendwann tut nicht mehr die Seele weh, sondern der Kopf, der Magen, die Zähne (das ist wirklich nicht feierlich), irgendwann werden die Nächte lang und die Müdigkeit groß. Und ich möchte eigentlich nicht so eine 1A – Psychosomatik - Patientin werden. Das finde ich sehr undankbar. Als wäre man nicht fähig über das zu reden, was einen beschäftigt.

Und wenn es ruhig wird, dann denke ich nochmal über die letzten drei Monate nach.
Es war eine bewusste Entscheidung, das alte Helfersystem in der Studienstadt zu lassen. Ich bin doch groß, ich schaff das doch selbst. Und weil das niemand so wirklich geglaubt hat, durfte ich zurückkommen, wenn die Hütte brennt. Der Tod des Freundes war nicht im Plan, aber da hat wirklich ein Anruf genügt. Und natürlich konnte mich niemand bei sich zu Hause hinsetzen, bis der Kopf ruhiger wird, das musste ich schon in der Psychiatrie aushalten, aber immerhin hatte mein alter Therapeut ein Auge auf mich, hat geduldig gewartet, bis ich soweit war, hat im Hintergrund ein Bett frei gehalten und mich danach auf die Station geholt, auf der er zu dem Zeitpunkt gearbeitet hat. Und dann saßen wir uns wieder gegenüber. Wenige Wochen nachdem wir uns zuletzt gesehen hatten und doch war alles anders. Und eben weil alles anders war, haben wir auch nicht mehr richtig zueinander gefunden. Aber wir haben nochmal viel diskutiert, ob ich so gut aufgehoben bin 400 Kilometer weit weg ohne professionelles Helfersystem, was die Studienstadt mir hätte weiterhin bieten können.
Bin ich, habe ich beschlossen. Ich habe es gehasst, dieses Gefühl von Abhängigkeit Menschen gegenüber, die eigentlich nicht Teil meiner Welt sind. Die sich mehr und besser kümmern, als die eigene Familie, die meine Lebensgeschichte der letzten Jahre, mein Erleben und Fühlen besser durschauen, als die Menschen, die am nächsten dran sein sollten. Die waren alle nicht glücklich, aber sie haben mich gehen lassen und ich wollte dieses Gefühl von Abhängigkeit verlieren. Meine erste Therapeutin hat mir weiterhin angeboten mich zu melden, wenn etwas ist. Aber ich war kaum noch da. Es gab eben auch wenige Gründe zurück zu fahren, zumal ich in Düsseldorf selbst anderthalb Jahre nicht mehr sein konnte, weil die Erinnerungen zu schwer waren. (Ich habe ihr vor rund einem Monat mal noch eine Mail geschrieben, aber da kam nichts mehr zurück).
Und als dann der ehemalige Freund in mein Leben kam, wollte ich dieses Kapitel dann endgültig schließen. Nicht, weil ich nicht dankbar gewesen wäre all die Jahre irgendwo einen Halt zu haben, sondern weil das auch immer wehgetan hat. Weil ich immer wusste, dass diese Menschen ein bisschen Ersatz sind für etwas, das mir im realen Leben fehlt. Und am Anfang hat sich ein Leben ohne dieses Helfersystem wie ein Befreiungsschlag angefühlt. Wir haben es gut hinbekommen am Anfang, diese Mischung aus „normalen“ Alltag, in dem wir uns die Geschichten vom Tag erzählt haben und diesen stillen Momenten, die ich manchmal gebraucht habe, in denen ein Teil von mir irgendwo war, nur nicht im Jetzt. Und ich dachte, ich kann das langsam integrieren. Die Vergangenheit Teil meines Lebens sein zu lassen und trotzdem zuversichtlich in die Zukunft zu schauen. Das war schon strange manchmal, wenn ein paar von seinen Arbeitskollegen zum Essen abends bei uns waren und ich inmitten von einem Haufen Psychologen saß, von denen die meisten auch wussten, unter welchen Umständen Christian und ich uns kennen gelernt hatten und ich aber nicht mehr das Gefühl hatte, ich brauche einen von denen auf irgendeiner fachlichen Ebene. Das war so die Zeit, in der ich zu der Idee gekommen bin, die Fachrichtung zu wechseln und irgendetwas in Richtung Psychiatrie / Psychosomatik zu machen. Weil ich es fachlich wirklich interessant finde, das Gefühl habe, ich muss meine eigene Geschichte nicht mehr durchkauen und ich möchte Menschen einen Raum geben, in dem sie bleiben können, bis sie ein Umfeld gefunden haben, in dem sie sich selbst tragen können – so wie ich es selbst erleben durfte. Ich glaube, dieses externe Helfersystem hat mir wirklich das Leben gerettet.
Und das alles fiel dann im Dezember wieder zusammen. Das war mehr als die Trennung von diesem Menschen. Das war ein Lebensgefühl, ein sicherer Raum, eine Idee von „ich habe es geschafft“, das wieder verloren gegangen ist und das zu erreichen war immerhin seit Jahren das Ziel. Heute kann ich das mit Sicherheit sagen; zwischendurch war ich manchmal verunsichert von den Menschen, die mir vorgeworfen haben, mich „in der psychiatrischen Hängematte auszuruhen.“ Ich bin da bis heute empfindlich und manchmal glaube ich heute würde ich lieber tatsächlich in einer Akutsituation die Psychiatrie meiden und damit ein gewisses Risiko auf mich nehmen, als mir so etwas nochmal anhören zu müssen. Es ist ein seltsames Paradoxon, dass die Menschen ständig gemeint haben ich würde Urlaub machen, während der Krieg in meinem Kopf teilweise wochenlang nicht so aussah, als würde ich das am Ende überleben.

Es war nicht der Plan, jetzt wieder so zu leben. Die Uhren zurück zu drehen. Auch, wenn ich natürlich so meine Erfahrungen gemacht habe im letzten Jahr. Es war nicht der Plan, mit einem neuen Helfersystem zu leben, auch wenn ich dankbar bin, dass es gerade existiert. Es war nicht der Plan, dass die Menschen die gerade am meisten halten, wieder in vertikalen Beziehungen stecken, dass es Termine und Planung und einen Blick in den Dienstplan braucht, um die Seele sprechen zu lassen und ein „Wie geht’s Dir eigentlich?“, keine Frage ist, die man gestellt bekommt – oder auch stellen kann – zum Freitagabend auf dem Sofa.
Und ich frag mich jetzt manchmal, wie lange das jetzt so bleiben kann, wie lange ich hier sicher bin, wie viel Zeit es brauchen mag, bis ich wieder auf eigenen Füßen stehen kann und wie lange das dann wohl gut gehen mag. Ich frag mich manchmal, ob sich nicht meine Ursprungsfamilie nochmal verbinden kann, ob es nochmal möglich sein wird, nicht irgendwo „Ersatz“ zu suchen. Und manchmal frag ich mich auch, warum die Menschen das so verwerflich finden. Es redet selten jemand darüber, dass das irgendwie komisch ist, immer wieder die Verbindung zurück zu seiner Familie zu finden, aber oft kommt das Kommentar, dass es nicht okay ist, irgendeine Bezugsperson zu brauchen und es doch fast logisch ist, die extern zu suchen, wenn es die im internen System nicht gibt.

Und manchmal, in diesen langen Nächten frage ich mich, ob ich nicht doch ein bisschen zu kaputt für das Leben bin. Nicht auf einer funktionalen Ebene, das geht sehr, sehr lange gut. Aber auf einer emotionalen Ebene.
Letzte Woche gab es eine Nacht, in der ich dachte, ich würde es nicht schaffen. (Ich war so verzweifelt, dass ich selbst beim ehemaligen Freund um ein Ohr gefragt habe, aber der hatte gerade keine Zeit). Ich hab’s geschafft, aber ich habe mich ziemlich einsam gefühlt, denn ich habe auch nicht erwähnt, wie schwer es wirklich ist. Ich denke oft, das kann ich keinem zumuten, das geht erst hinterher, wenn die Welle von diesem Schmerz abgeklungen ist, wenn es ruhiger ist; es reicht schon, wenn es mir nicht gut geht, es muss nicht den Menschen um mich herum auch noch mulmig sein – aber natürlich hilft das in der Akutsituation überhaupt nicht, in der man diesen Schmerz zumindest gern auf zwei Schultern teilen würde. Und irgendwie habe ich es doch gelernt, mich von Moment zu Moment zu bewegen, mich auf den winzigen Rest zu verlassen, der weiter leben möchte, auch wenn der Kopf so laut schreit. Es sind diese Wellenspitzen, die so gefährlich sind und meist dauern die nur, bis der Tag die Nacht ablöst und man – wenn auch wiederwillig – irgendwie zurück in diesen Alltag kommt und morgens in der Frühbesprechung in der Mitte der Menschen, die man zumindest oberflächlich kennt, sitzt und den Boden wieder unter sich spürt.


Ein Ort der getragen hat, wenn sonst nichts mehr ging. Ich bin schon dankbar, dass es den gab.


Aber all das darf nie Thema sein in den Gesprächen, die ich mit der Frau des Oberarztes führe. Im gestrigen Termin habe ich mal angedeutet, dass die Ostertage sicher schwer werden. Ich kam aber gar nicht mehr dazu das zu erläutern, dann kam direkt ein „Dann reden wir da nicht drüber.“ Dabei wird eben an genau solchen Festen in denen die Familie zusammen kommt (insbesondere natürlich an Weihnachten, das wir ja gerade zum Glück nicht haben), das Fehlen, die Einsamkeit, die Lücke so präsent.
Dafür haben wir über Glaubenssätze geredet. Über den Satz „Ich darf keine Fehler machen.“ Und dann ging es darum, dass das nicht nur im Beruf stresst, sondern, dass es auch dort die Weiterentwicklung verhindert. Etwas wie Vertrauen ins Leben, Entfaltung immer aus der Angst heraus es nicht zu schaffen. Und – es behindert auch soziale Beziehungen. Wir reden eine Weile über die Beziehung zum ehemaligen Freund und dass die sich irgendwann – als ich gemerkt habe, dass er viele Ansprüche an diese Beziehung hat und ich das Gefühl hatte denen nicht gerecht werden zu können – komplett in eine vertikale Beziehung verlagert hat und das wahrscheinlich der Anfang von Vielem war. Ich war ständig gereizt und wütend, weil ich jetzt nicht nur im Beruf, sondern auch im Privaten gefühlt der Situation ständig hinterher gelaufen bin und habe mich gleichzeitig nicht mehr getraut, für mich einzustehen und Wünsche zu äußern, wie ich es denn gern hätte. Und dann ist diese Beziehung eine einzige Belastung geworden, weil sie mich immer mit meiner Unzulänglichkeit konfrontiert hat, weil ich das Gefühl hatte, da nur etwas rein stecken zu müssen, ohne etwas zurück zu bekommen. Weil ich das Gefühl hatte, wie so oft im Leben, die kleine Idiotin zu sein, die nichts auf die Reihe bekommt und – wie immer – die wichtigsten Menschen nicht im Leben halten kann und irgendwann war das absehbar, dass sein Gehen nur eine Frage der Zeit war. Und dann ist das anstrengend geworden. Und weil wir das irgendwie scheinbar beide nicht gerafft haben, dass da eher alte Erfahrungen, als die Realität uns behindern, haben wir nicht drüber geredet. Über das Oberflächliche, das ja. Darüber, dass er unzufrieden ist, dass er Bedürfnisse hat, denen ich nicht nachkommen kann – darüber haben wir geredet; mehr als genug. Aber nicht über die Ebene, die drunter liegt.

Und je mehr ich verstehe, was da gelaufen ist ohne dass wir uns verstanden haben, desto mehr spüre ich auch, dass die Liebe für diesen Menschen im Grunde nie verloren gegangen ist. Dass das Schwierigkeiten waren, die wahrscheinlich eher biographisch zu erklären sind und erstmal nichts mit dem zu tun haben, was sich da zwischen uns entwickelt hat.
Und in dem Moment fange ich an, ihn so sehr zu vermissen. Uns beide. Bevor das eine Krise nach der anderen war. Und ich frag mich still, ob ich noch mal einen Menschen finden werde, auf den ich mich freitags so sehr freuen werde. Ich hab die langen Umarmungen, den ersten Kuss, nachdem wir uns die ganze Woche nicht gesehen hatten in meinen Erinnerungen und in meinem Herz.
Es gibt so viele Typen bei uns Krankenhaus und die Kollegen sind der Meinung ich brauche eine neue Beziehung und versuchen ständig mich zu verkuppeln (deshalb werde ich häufig mit einem der Neurochirurgen auf Visite geschickt, der schon – zugegeben – recht niedlich ist), aber ich kann es mir ehrlich gesagt noch mit niemand anderen vorstellen. Gut, das habe ich vor dem ehemaligen Freund auch gesagt. Aber ich glaube, solche Menschen müssen einfach ins Leben rein trampeln, vor einem stehen und dann – in dem Moment – muss man das Herz fühlen. Das war mit dem ehemaligen und dem verstorbenen Freund so. Das hatte nichts mit Verstand zu tun. Das war so ein Gefühl. In diesem ersten Moment, in dem wir uns begegnet sind, das Herz kurz gestochen hat und ich wusste, dass dieser Augenblick hier gerade etwas ganz Besonderes ist. Und so etwas passiert halt nicht ständig im Leben.

So… - Möhrchen war heute schon in der Werkstatt; dem geht es gut. Ich muss noch die Wohnung putzen und danach helfe ich bei einem Umzug (ich verfluche mich schon dafür. Gestern war ich mal ein bisschen wacher, heute bin ich wieder total erschöpft…) und am Wochenende – wie gesagt – Dienst.


Mondkind


Uralter Zettel (naja von 2019) von meinem damaligen Therapeuten. Den habe ich sogar noch. Der hat mich wahnsinnig berührt damals, das weiß ich noch.


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