Zwischen die Welten

Die Kollegen wollen mir weniger Patienten geben.
Wogegen ich mich vehement wehre.
Ich muss genauso viel tun, wie die anderen.
Aber die glasigen Augen verraten mich.

In der Frühbesprechung sehe ich den Intensiv – Oberarzt.
Ich vermeide es, ihn anzusehen.
Das muss mehr Kraft kosten, als ein Mensch haben kann, mich zu halten.
Er hat es versucht, aber diese Woche war er still.

Ich spüre, wie ich mich in dieser Welt ändere.
Wie ich mir selbst zusehe, wie ich über die Flure renne.
Und gleichzeitig mit jedem Schritt etwas weiter aus dieser Welt rücke.
Die ich schon kaum noch spüre.
Da bleibt nichts mehr übrig, als dieser immense Schmerz, wenn die Welten fallen.

Ich hab das Handy in der Hand. Seh die Nummer. Drücke fast auf den grünen Hörer. Aber nur fast. Wir sollen das nicht tun.

Ich hab Sonntag Dienst.
Das hält mich gerade. Ich kann die Kollegen nicht hängen lassen.
Ich soll noch ein bisschen hier bleiben.



***

Das fühlt sich an, wie eine zweite Trennung.
Ich dachte, vielleicht brauchen wir Geduld. Vielleicht muss ich einfach warten, bis er soweit ist. Bis er auch den Mut hat, Pirouetten zu tanzen.
Aber es geht nicht um Mut. Und nicht um Pirouetten.
Es geht darum, dass er einfach nicht will. Und darum, dass ich Menschen nicht festhalten soll. Wobei er mir vorgeworfen hat, ich hätte die Trennung ja auch schließlich einfach akzeptiert. Was hat er geglaubt, das ich mache? Ich achte die Grenzen meiner Mitmenschen bei allem, was ich tue. Zumindest bemühe ich mich. Ich würde nicht ungefragt bei ihm auf der Matte stehen, wenn klar ist, dass ich das nicht soll.

Die Menschen sind komisch.
Heute saß ich mit der potentiellen Bezugsperson im Arztzimmer. Die anderen waren schon nach Hause gegangen. „Mondkind, wenn Du eine Therapie gemacht hast, können wir uns vielleicht mal wieder treffen. Und vielleicht mal wieder ein bisschen zusammen im Garten arbeiten.“ Es ist okay jetzt, weil ich akzeptiert habe, dass es das nicht mehr geben wird. Er hat mich langsam auch tatsächlich zu oft verletzt.
Gestern Abend kam die Frau des Oberarztes zu der Idee mir zu schreiben, nachdem ich ihr in der Stunde erzählt hatte, dass wir die Praxis des Freundes ausgeräumt haben. Sie wollte die Adresse wissen und hat schon mal angedeutet, dass sie nicht so zufrieden mit ihren Räumlichkeiten ist. „Sie können ihn ja anrufen“, habe ich ihr geschrieben. Den Kommentar konnte ich mir nicht verkneifen, ich hoffe, das hat sie nicht zu persönlich genommen. Aber des fehlt mir gerade noch, dass wir in der Zukunft dort herum sitzen sollen, wo ich einst mit dem ehemaligen Freund saß.
Und der ehemalige Freund, der sagte in unserer letzten Diskussion vor der Trennung, dass die Beziehung bleiben könnte, wenn das Thema Sexualität kein Problem mehr ist.

Ich frag mich still, ob die Menschen mal aufhören können, mich zu benutzen. Ob es irgendwann mal aufhören wird, dass ich in Vorleistung gehen muss, um bleiben zu dürfen.

Ich hab den Menschen gehabt, an dessen Seite ich bleiben durfte. Aber der ist schon gegangen. Darf ich nicht einfach auch...? Wenn die Zeit reicht, um die Dienste neu zu besetzen, die ich dann nicht mehr machen kann. Damit der Schmerz irgendwann mal aufhört. Ich hab immer gehofft, dass es nochmal besser wird. Aber es wird nicht mehr besser. Es wird nur eine Verlängerung von Leid.

Mondkind

Wer hätte gedacht, dass das die letzten Pirouetten werden? Der letzte Tanz. Noch eine Explosion von Licht bevor die Welten fallen. Dieser Moment war Glück


Kommentare

  1. Was Du erlebst, sind schlimme emotionale Schwankungen nach unten - die IMMER besser werden, aber sich in dem Moment anfühlen, als würde es nicht mehr besser.

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  2. Hoffen wir das mal. Lange halte ich das so nämlich nicht mehr aus. Das ist so krass, wie sehr man einen Menschen vermissen kann. Und er ist ja noch da, lebt und atmet und es wäre kein Problem, diese Sehnsucht ein bisschen zu stillen. Ich glaube das ist das, was mein Gehirn nicht so ganz versteht. Bei dem verstorbenen Freund war es klar; der war einfach nicht mehr im Leben. Aber wie es einfach sein kann, dass ein Mensch, der eben noch im Leben ist, gleichzeitig von der Bildfläche verschwindet, ist schwer zu begreifen. Und ich glaube, da wird für immer die Hoffnung sein - sollte ich noch mal in der Stadt sein - dass wir uns noch mal über den Weg laufen und vielleicht wie Fremde noch mal anfangen können. Und vielleicht wird diese Vorstellung auch immer ein bisschen weh tun. Es ist so hart, dass ich einfach nichts tun kann. Ich reiche ihm nicht und es wird irgendwann Zeit werden, sich mit dem Gedanken anzufreunden.
    Ich bin mir nicht sicher, ob er jemals für mich genauso empfunden hat, wie ich für ihn. Es spielt auch eigentlich weniger eine Rolle, weil es glaube ich auch immer mehr um die Liebe geht, die man geben kann. Aber manchmal bin ich trotzdem neugierig. Er tut immer so abgebrüht, aber ich frag mich manchmal, ob er das wirklich ist.

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