Zwischen Praxis und Klinik

Er lässt mich dort sitzen, für einen kurzen Moment, setzt sich selbst dazu.
Niemand sagt etwas.
Der Blick ist nach Innen gerichtet.
In diesem Raum wurde die Seele einst getragen. Durfte sichtbar sein mit dem, was sie so sehr verletzt hat. In diesem Raum habe ich ab und an mal kritisch einen Blick auf die Uhr an der Wand geworfen und mich still gefragt, wie lange er mich eigentlich noch ertragen möchte.
In diesem Raum ging es um Schuld, um Trauer und die Frage, ob das Leben so noch lebenswert ist.
Dieser Raum war so sicher wie kaum ein Ort die letzten zwei Jahre davor.
So oft hat es mich dort hoch gezogen. Von meinem Zimmer aus war es nicht weit. Einmal rechts um die Ecke und die Treppen nach oben über den knarrenden Holzfußboden, der mich verraten hat, bevor ich geklopft hatte.
In diesem Raum gab es Hoffnung. Dass ich es vielleicht doch irgendwann schaffen kann. Den Weg zurück ins Leben. Dass ich vielleicht der Mensch werden kann, der ich mal gewesen bin. Vor dieser Katastrophe. Die so Vieles für immer verändert hat. 


Das Zimmer von damals. So wohnlich, wie es eben ging...



***

„Mondkind, wir müssen nicht nur die Pflanzen aus der Praxis holen, wir müssen auch eine der Pflanzen in mein Büro in der Klinik bringen.“
Okay, wir steigern das heute also alles noch ein bisschen.
Wenig später sitzen wir im Auto. Fahren zuerst zurück zur Praxis. Das geht sogar alles ganz gut. Auch, wenn es sich komisch anfühlt. Das letzte Mal als wir beide hier waren, war das Leben so okay. Ich glaube, das mit dem ehemaligen Freund, diesen Weg einer Beziehung einzuschlagen, war mutmaßlich das Zweitmutigste, das ich je getan habe. Nach meinem Auszug von zu Hause. Mit diesem Schmerz in mir, dieser Verletzbarkeit, diesem Wissen, dass eine Trennung die absolute Vollkatastrophe wird – auch, wenn ich immer betont habe, dass das schon okay sein wird – eine neue Beziehung anzufangen war, als hätte ich so Vieles auf eine Karte gesetzt.
Und am Rande: Zwei Palmen, von denen eine vielleicht so 1,30 m und die andere 1,10 m hoch ist, passen in das Auto. Dann noch eine Stehlampe dazu, die wir auseinander gebaut haben, noch eine etwas kleinere Pflanze und ein bisschen Kleinkram.

Wenig später fahren wir an der Klinik vorbei. Dass ich jemals mit einem Auto auf dieses Klinikgelände fahre, hätte ich bei der Entlassung damals auch nicht gedacht. Das Leben hat sich so gedreht und es hätte so okay werden können.
Und dann stehen wir in diesem Raum, sitzen uns kurze Zeit später gegenüber, wie damals, nur, dass ich auf dem Stuhl sitze auf dem er saß und er auf dem, auf dem ich immer saß. Ich hatte immer den Fuß auf die Sitzfläche gestellt, mein Knie angezogen, als müsste ich mich irgendwie festhalten, während die Worte den Weg in den Raum finden. Und manchmal war es hinterher eine Weile ganz still. Und ich wusste, dass das Gesagte irgendwo zwischen mir und ihm bleibt, dass ich es gerade nicht alleine tragen muss, dass der Schmerz mal kurz sichtbar sein darf, dass ich sichtbar sein darf mit mehr als der Fassade, die dort immer steht.

Am Abend kochen wir gemeinsam und dann bin ich sehr froh, mich hinlegen zu dürfen. Emotional ist das doch alles sehr, sehr anstrengend. Er sitzt auf dem Sofa hinter mir, lässt mich einfach schlafen und weckt mich erst um Mitternacht wieder, weil wir noch unsere Zähne putzen müssen, ehe jeder in seinem eigenen Bett verschwindet.

***
Können wir die Zeit anhalten?
Nur für einen Augenblick?
Können wir mal kurz vergessen? Vergessen, dass es ist, als würde man sich immer und immer wieder den Kopf anstoßen. Nicht am Außen, aber am Innen. Mit dem Kopf gegen die Wand, als wäre jede Rebellion für ein lebenswertes Leben zu viel und muss sofort unterbunden werden. Und manchmal weiß ich nicht, ob das Leben nochmal mehr werden wird, als dieser Balanceakt. Als sei es ein ständiges Wegräumen, sortieren und Integrieren der Trümmer, aber irgendwie werden es immer nur mehr. Und daneben hat bitte das Außen zu funktionieren. Als wäre Leben ein permanentes Verlieren. Wie oft habe ich meine Welt verloren in den letzten Jahren, neu aufgebaut, neu vertraut und wieder verloren?

Können wir für einen Augenblick vergessen, dass wir wahrscheinlich beide nicht wissen, was das hier sein soll? Dass es sich manchmal so anfühlt, als hätten wir uns nie getrennt? Und dass es andererseits doch so ist, als würde da bei jeder Begegnung eine unsichtbare Wand zwischen uns stehen. Als könnten diese Begegnungen die Sehnsucht nicht mehr stillen, das Schreien der Seele nicht beruhigen, den Schmerz nicht in einen tiefen Frieden verwandeln, weil es sich vielleicht doch kurz mal anfühlt, es hätte sich das alles gelohnt.

Ich glaube, ich habe mich selten so verloren gefühlt.
Es ist so viel, das noch da ist und gleichzeitig so viel, das fehlt.
Es ist ein zwischen den Stühlen stehen, wobei ich auch nicht weiß, welcher nicht unter mir zusammen bricht, wenn ich mich drauf setze und dort eine Weile sitzen bleibe.
Manchmal denke ich, vielleicht wird es ja, vielleicht waren wir zu schnell, vielleicht war es zu eng und zu viel, vielleicht tut es uns beiden gut, dass wir gerade keine Ansprüche mehr aneinander haben. Vielleicht nehmen wir gerade nochmal Anlauf, vielleicht loten wir gerade aus, wie viel wir dem anderen geben können und wollen und vielleicht sieht die Welt im Sommer schon wieder anders aus. Vielleicht sind die guten Momente aus dem letzten Jahr doch nochmal wiederholbar – auch, wenn wir dann eben noch ein Jahr stecken bleiben dort, wo wir waren. Wenn es eben dieses Jahr keinen gemeinsamen Urlaub gibt, wenn wir nicht mit Möhrchen in Richtung Toskana fahren, auch wenn es so schön gewesen wäre nach all den Jahren wieder mal mit dem Auto nach Italien zu fahren, die Sonne des Südens auf der Haut zu spüren, den Sand unter den Füßen, das Salz in der Luft riechen zu dürfen und es so schön gewesen wäre, zwei Wochen lang neben dem Menschen aufzuwachen, der der Wichtigste des Lebens geworden war.
Und was ist, wenn es alles nicht so ist… ? Wenn das hier ein sehr langer Abschied ist. „Machen Sie das nicht wie so ein Alkoholiker Frau Mondkind“, war die Ermahnung des Herrn Intensiv – Oberarztes der nicht weiß, wo ich mein Wochenende verbracht habe. Und dass etwas fehlt, wird immer noch dann bewusst, wenn eben Selbstverständlichkeiten weg fallen. Der Kuss vor dem Gehen, das „ich liebe Dich“, das zumindest mir auf der Zunge liegt und das nicht gesagt werden darf und durch ein „Du wirst mir fehlen“ ersetzt wird. Die Tatsache, dass jeder für sich selbst plant, dass ich meistens gar nicht weiß, ob er das nächste Wochenende da ist, wenn ich nicht explizit frage. Dass wir Gemeinsamkeiten, die eben so gedacht sind, nicht mehr gemeinsam planen. Er ist Ostern bei seinen Eltern und die zwei Wochen davor auch, ich muss an dem Ostersamstag arbeiten – es gibt keine Chance, das wir uns irgendwie an diesen Tagen sehen und es ist immer die Einsamkeit an solchen „Familien – Tagen“, die so unglaublich brutal ist.

Was ist, wenn das frisch etablierte Helfersystem am Ende doch nicht halten kann? Es ist anstrengend, weil Helfersysteme etwas mit Abhängigkeit zu tun haben. Weil die ja nur da sind, weil ich mich selbst nicht halten kann. Weil die Fluch und Segen gleichzeitig sind. Ich war nie so froh wie im letzten Sommer, als ich das alles endlich los war. Als das eigene System getragen hat, als es kein Außen brauchte, um das Innen zusammen zu halten.

Ich fühl so viel Schmerz, dass ich mein Herz kaum zusammen halten kann.
Die letzten Male ging es mit dem ehemaligen Freund, da dachte ich, ich werde es irgendwann einfach akzeptieren können, dass auch diese Pläne wieder zusammen gefallen sind. Wenn wir durch die Siedlung spazieren gegangen sind, habe ich mich schon immer mal gefragt, wie unser Häuschen für unsere kleine Familie später vielleicht mal aussehen wird.
Aber Tatsache ist, mein Herz liebt ihn einfach. Und dem kann ich hundert Mal sagen, dass das keinen Sinn mehr hat. Es liebt trotzdem. Es trägt sich selbst voller Beharrlichkeit durch die Trümmer meines Lebens. Es hat nie den Mut verloren. Trotz all der Verluste, trotz all der Narben die es schon trägt, trotz all dem, dass die Seele so oft und immer wieder jede Minute aufgeben wollte, weil das einfach zu viel ist.

Der ehemalige Freund gibt mir heute einen Kerzenständer – so ähnlich wie er die auch hat - und ein paar Kerzen mit.
Vielleicht werde ich mich doch wieder trauen, in meiner Wohnung Kerzen anzuzünden.
Ich mag es sehr gern, Dinge von Menschen in meiner Wohnung zu haben, die eben gerade nicht da sein können. Dann fühle ich mich irgendwie näher.

Morgen ist Dienst. Wie auch immer das gehen soll. Ich weiß noch nicht. Aber am Ende geht es immer.
Mondkind

Kommentare

  1. Vorab, liebe Mondkind, mag ich Dir sagen, dass du Dich für Mich wie eine gute Freundin anfühlst, ich folge Dir schon so lange....Gute Freundinnen aber sagen einander aber auch die Wahrheit, auch wenn sie schmerzt...Nach Aussen kommt mir Eure "Beziehung ohne Bindung" (genau das, was er ja die Ganze Zeit wollte & Du eigentlich auch den Stolz Deiner Unabhängigkeit - die Du gewonnen hast, Durch dein erfolgreiches Abnabeln von Deinem enorm destruktiven Elternhaus - gerade in einer massiv selbst-destruktiven & aber auch fast schon einer sadomasochistischen Art , mit Füssen trittst...- Du trugst (&das macht mMn eine Frau unglaublich sexy, bin selbst ne Frau...) diesen Stolz als mMn sehr unabhängige, junge Frau, indem Du Dich auch erfolgreich selbst ernst genug nahmst, als ihr noch offiziell ein Paar wart...ib der Beziehung & Dich selbst vertreten hast & Deine Bedürfnisse, Wünsche, Sehnsüchte etc.) Ausserdem um zur Aussenwahrnehmung Dieser "Verbindung" zw. Euch zurückzukommen: Es kommt mri wie eine "Psychose Zu Zweit" vor ("Follie à deux"). Ihr beide woölz nicht die Realitäten des Anderen anerkennen. Wenn er es wirklich mit DIr ernst meinen würde, liebe Mondkind, dann hätte er sivh auf diePAartherapir eingelassen & dich nicht so verletzt. Jm nun deine Schwächen auszunutzen (Gefüjle für ihn), damit es füt ihn stimmmt..Denn das was ihr da lebt, das wolltw er ja immer- wie erqāhnt. Du aber bist auch in Deiner eigenen Psychose gefangen, denn wenn Du wirklich Ihn als Mann lieben würdest, dann würdest Du Dich in seine Gemeinschaft, in dwr er ja ist & die ja auch die Basis seiner Weltanschauungen & Beziehungen ist (Monogamie anscheinend dort in der Gemeinschaft eine Lüge Unserer kaptialistischen welt. Menschen angeblich nicht für die Monigamie erschaffen, sondern um mit mehreren Menschrn eine Liebesbeziehung zu führen...Ich tät micg ja NULL wundern, wenn erauf ner Dating-App aktiv wār & da bald ne Frau auftaucht, die seine (sexuelmen) Wünsche erfüllen kann # DIch aber dennoch noch haben wollte, als eben naka EIne unter Vielen...Scheint das Credo dieswr Gemeinschaft zu sein!! Mwrkst du , dass Du dir deine mühsam aufgebaute(finanzielle, emotionale, soziale&) Unabhägigkeit nun kaputt machst. Es ist eine reine Sadomasochistische Beziehungsform, die ihr d a lebt.. Mondkind, bist Du DIr seöber denn nichts wert !&?

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  2. Hey hey,
    Danke für das lange Kommentar.
    Ich glaube, ich hab's gerafft jetzt... Siehe den neuesten Blogeintrag. Manchmal müssen Menschen mir das mehrfach sagen. Und ich weiß auch noch nicht, ob ich das jetzt endlich mal durchziehen kann und mich da auch wirklich nicht mehr bemühe. Ich vermisse ihn halt. Das ist einfach so. Und selbst in Zeiten der größten Sehnsucht die Finger still zu halten; das ist die Kunst...

    Mondkind

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