Was ist Beziehung?

 Eine dieser langen Nächte.
Einer dieser Nächte, in denen man eigentlich pünktlich im Bett war, aber sich seit drei Stunden von einer auf die andere Seite legt. Im Minutentakt. Auch wenn man nicht schläft, ruht man sich zumindest aus, sagte der ehemalige Freund dazu und ich versuche mich damit zu beruhigen, dass ich schon hoffentlich morgen nicht ganz in den Seilen hängen werde.
So viele Medikamente wie jetzt habe ich schon ewig nicht mehr genommen, um den Körper in den Rhythmus und durch den Tag zu zwingen, aber irgendwie bringt das alles nicht so viel.

Ich denk über Beziehung nach und was das so ist.
Ich denke daran, dass ich im Sommer oft ein sehr, sehr schlechtes Gewissen dem verstorbenen Freund gegenüber hatte. Weil ich das, was ich mit dem ehemaligen, lebenden Freund erlebt habe, mit ihm nie erlebt habe. Ich kann mich an die Anfangszeit erinnern. Als sein Puls bei 120 Schlägen pro Minute und aufwärts war und mein Herz so stark gegen die Brust gehämmert hat, dass es manchmal schon fast weh getan hat und man das Pulsieren des Blutes noch am Handgelenk gesehen hat. Wenn das keine Liebe ist, die unsere Körper sprechen bevor wir Worte dafür gefunden haben, dann weiß ich auch nicht, was es denn sein soll, habe ich mir damals gedacht. Und war so sicher – das mit uns, das bleibt für immer.
Mit dem verstorbenen Freund war es ganz anders. Ich kann mich an den ersten Spaziergang, an das erste Gespräch erinnern, das wir auf diesem Spaziergang geführt haben. Da war eine Vertrautheit, als würden wir uns mindestens unser halbes Leben schon kennen. Da war keine Angst, keine Zweifel, den anderen zu verlieren – von Anfang an nicht. Als wäre diese erste Begegnung der Grundstein für alles, was ab dann kam. Es war eine Horizontalität, wie ich sie davor selten erlebt habe. Und ein Gefühl von ganz, ganz tiefer Bindung.
Mit dem lebenden, ehemaligen Freund war das anders. Ich glaube, ich habe immer gehofft, dass wir ein Stadium erreichen, in dem wir ein Gefühl von tiefer Verbundenheit haben, keine Angst mehr haben etwas falsch zu machen, das den anderen zu unberechenbaren Reaktionen verleiten könnte. Da war das Gefühl dem anderen so viel geben zu müssen, mehr als ich objektiv leisten kann. Da war das Gefühl dem anderen gerecht werden zu müssen, damit diese Beziehung bleiben kann. Es ging gefühlt so selten um uns, um zwei Menschen, die sich lieben, sondern so oft um dieses Konstrukt, das darüber stand. Es ging um Idealvorstellungen und –anforderungen an eine Beziehung aber nicht um das, was wir waren. Das war, als würden wir immer etwas hinterher laufen, das einfach nicht zu erreichen war.

„Es gibt einen Unterschied zwischen lieben und verliebt sein“, merkte der ehemalige, lebende Freund kürzlich an und manchmal glaube ich, der verstorbene Freund und ich haben diese verrückte Phase, in der die Hormone machen was sie wollen, einfach übersprungen.
Ich habe mich schon immer Sommer teilweise gefragt, was nur mit mir los ist. Das war vollkommene Prioritätenverschiebung. Wichtig waren nur der Freund und ich und mal nicht all das, was drum herum ist. Ich glaube, wäre ich ein Teenager gewesen, wäre das der Punkt gewesen, an dem die Schule ordentlich gelitten hätte. Die Arbeitszeiten kann man nicht ändern, aber ich hätte schon die ein oder andere Fortbildung am Wochenende besuchen können und mich in manche Dinge mehr rein hängen können, aber es war mir einfach nicht mehr wichtig. Bei ihm zu sein war ein bisschen wie eine Sucht.

Im Nachhinein frage ich mich schon ein bisschen, was sich unsere verrückten Gehirne dabei gedacht haben. Dass eine neue Beziehung nicht alle Probleme in Luft auflösen wird, hätte mir schon klar sein können. Dass irgendwann der Punkt kommt, in dem ich die Dinge hinterfrage, in dem die Psyche auch mal wieder einbrechen wird, war abzusehen. Und wir hatten kein Konzept, was wir dann machen. Ich hatte keine Therapie mehr; um diese Beziehung zu rechtfertigen, haben wir einfach beschlossen, dass ich ab jetzt psychisch gesund bin, sonst wäre es nämlich auch mit der wohlwollendsten Auslegung der Berufsordnung für Psychotherapeuten nicht möglich gewesen. Und dass er nicht auffangen und mit mir aufarbeiten kann als Freund und Partner gleichzeitig, hätte man wissen müssen. Es hat dann halt auch überhaupt nicht funktioniert, wenn mal etwas war. Er ist meistens schon echt böse geworden, wenn ich einfach mal geweint habe, weil man Gehirn einfach überfordert war und er hat das dann natürlich auf sich bezogen ohne zu verstehen, dass ich gerade ganz woanders war und dass das natürlich etwas mit dieser Beziehung zu tun hatte, aber selten mit ihm als Mensch persönlich.

Manchmal glaube ich, vielleicht ist Liebe ganz unspektakulär. Nicht so, wie das überall dargestellt wird. Einfach nur ein tiefes Vertrauen in den anderen Menschen und ein Spüren dieser Verbindung, dass es kaum verbalisierbar ist.

Ich frag mich, wie viel Sexualität Beziehung ist. Der ehemalige, lebende Freund hat dazu kürzlich nochmal fallen lassen, dass zumindest für ihn Sexualität die Grundlage von Beziehung ist und dass er mit mir keine Beziehung führen kann, weil das offensichtlich nicht ausreichend gut funktioniert hat. Das war schon hart, das so zu hören. Es war halt neu für mich, ich hatte da auch viele Berührungsängste und habe mir in diesem halben Jahr einfach unendlich viel Mühe gegeben, damit er zufrieden ist. Aber ich hatte halt einfach überhaupt keine Erfahrung damit, weil es in meiner ersten Beziehung überhaupt keine Rolle gespielt hat. Wir wussten halt, wir müssen mal dran an dieses Thema, wenn wir irgendwann Kinder wollen aus rein praktischen Gründen, aber es war auch bis zu seinem Tod klar, dass es bis dahin noch der falsche Zeitpunkt war.
Ich weiß nicht, ob er mich als Freundin behalten hätte, wenn ich besser in diesem Thema gewesen wäre. Zu Versagen ist für mich übrigens immer noch ein ziemlich schlimmes Gefühl und das hat etwas damit zu tun. Als wäre ich selbst Schuld, dass ich mich um die wichtigste Bindung des vergangenen Jahres bringe, als hätte jemand ein „ungenügend“ erteilt und dann muss es natürlich sofort Konsequenzen hageln. Für mich kratzt das am Ende des Tages auch einfach sehr am Selbstwert, muss ich irgendwie zugeben.
Und vor allen Dingen überlege ich mir: Wenn das alle – oder zumindest die meisten Männer so sehen – habe ich dann noch eine Chance mal einen Partner zu finden?


Ein Anker in sich gegenseitig finden. Das ist für mich Beziehung.

Und am Ende bleibt die Frage: Gibt es Normen für Beziehung? Und ist das sinnvoll? Gibt es irgendetwas, das einem am Anfang schon ahnen lässt, ob die Richtung stimmt? Oder muss man einfach damit leben, dass man vielleicht sein Herz verliert und es kaum ein halbes Jahr später wieder mühsam zusammen flicken muss?

Der ehemalige Freund ist weiterhin der Meinung, wir könnten eine Beziehung ohne Bindung führen – auch ein Modell. Wohl eher ein Modernes. Und er findet es egoistisch, dass ich ihm gesagt habe, dass ich nicht weiß, ob ich das kann, weil ich etwas möchte, das er nicht möchte. Das sei doch irrational, wenn ich doch weiß, dass er keine Beziehung möchte, dann müssen mein Herz und meine Seele doch keine wollen. Aber ist es nicht genauso egoistisch, dass er mir das Herz bricht und ein Beziehungsmodell vorschlägt von dem er genau weiß, dass es gut für ihn ist, aber für mich der emotionale Untergang?
Er tut immer so, als würde er mich nicht darunter leiden sehen. Und vielleicht muss man das können, Herzen so zu brechen. Immerhin muss ja auch mal jeder an sich selbst denken.

Mondkind


Bildquelle: Pixabay

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