Von den guten Momenten

 „Ich habe noch vier Nachtdienste und einen Regeldienst und dann sehe ich meinen Freund. Da weiß man ja wenigstens, wofür man das macht.“
Meine Schwester hat mir eine Sprachnachricht geschickt, in der sie genau diesen Satz sagt, an dem ich hängen bleibe. Sie kommt Mitte nächster Woche hier runtergefahren und dann verbringen die beiden fünf Tage Zeit miteinander.
Und das erinnert mich so an meine eigene Zeit im letzten Sommer. Ich frage mich so manchmal, ob ich die Intensivstation gepackt hätte, wenn ich mich nicht immer wieder hätte daran erinnern können, dass es zwischendurch ganz sicher die guten Momente gibt, für die es sich lohnt. Ich brauchte keinen Kalender, ich hatte alles genau im Kopf. Wie viele Tag-/Spät/Wochenend- und 24 – Stunden – Dienste zu absolvieren waren, bis wir uns wieder sehen.
 
Es hat jetzt lange gedauert – immerhin über zwei Monate – bis ich eingesehen habe, dass ich zurück muss. Zurück in diese Welt, wie sie vorher war. Es tut weh zu sehen, wie aus dem Winter ganz langsam ein Frühling wird und zu wissen, dass es diesen Frühling in mir drin dieses Jahr nicht geben wird. Wie so viele Jahre meines Lebens auch schon.
Aber ich weiß, ich habe es so viele Jahre überlebt; das schaffe ich auch dieses Jahr.
 
Es ist ein bisschen schwer all die Blogeinträge der Monate aus dieser Beziehung zu lesen. Ich kann regelrecht spüren, wie da über die Monate wieder ein ganz minimales Vertrauen in das Gute im Leben entstanden ist und wie ich jede Regung in diese Richtung in mir auch sehr bewusst wahrgenommen habe. Wie eine Schildkröte, die sich ganz langsam traut den Kopf wieder aus dem Panzer heraus zu strecken.
Heute tut es schon sehr weh von diesen Pirouetten im Licht zu lesen. Ich kann mich noch erinnern, als wir mal zusammen in meinem Lieblingspark unterwegs waren, dass ich am liebsten der Mondkind aus dem Winter davor gesagt hätte, dass sie nur noch ein bisschen durchhalten muss, dass alles gut wird, dass sie wieder glücklich werden wird. Und heute müsste ich wohl der Mondkind aus dem letzten Sommer sagen: „Speicher jeden guten Moment. Speicher, wie er sich angefühlt hat, speicher seinen Geruch in Deiner Nase, speicher die ersten Umarmungen, wenn wir uns eine Weile nicht gesehen hatten und speicher diese kleinen Dinge: Das Hochziehen seiner Augenbraue, wenn er Dich angesehen hat, wie Du ihm still zugesehen und in Dich hinein gelächelt hast, weil es so schön war. Speicher diesen Frieden eines Sonntagmorgens in Dir, wenn Du am Tisch saßt und Obstsalat geschnibbelt hast, weil Du noch zu müde zum Stehen warst und er auf der anderen Seite der Küche stand und dort geschnibbelt hat. Speicher – während wir in der Küche auf die Mikrowelle gewartet haben – wie er Dich von hinten in den Arm genommen hat und wir dann – lange her – einen Kuss ausgetauscht haben. Speicher dieses Gefühl in Dir, als Du in jeder Sekunde wusstest, nicht mehr alleine zu sein, den Menschen, den Du am meisten liebst neben Dir zu haben. Es ist keine Selbstverständlichkeit und das wird es nie sein.“


Lieblingspark... - letztes Jahr um ungefähr die Zeit. Vielleicht fahre ich mal hin und gehe eine Runde spazieren. Und erinnere mich still ein bisschen.



Manchmal hoffe ich immer noch auf ein Wunder. Und ich weine auch immer noch viel. Und wenn er morgen vor meiner Tür stehen würde, dann würde ich rein lassen.
Aber ich weiß, das wird alles nicht mehr passieren.

Er ist nicht der erste Mensch, den ich gehen lasse. Ich habe so viele Menschen gehen lassen müssen. Immer und immer wieder. Und immer wieder hat es sich angefühlt, als würde ein Teil von mir sterben. Ich find’s immer noch sinnlos, ich finde, wir hätten es anders lösen können. Aber danach fragt Keiner. Denn wie ich schon im letzten Frühling gesagt habe: Es ist ein Wunder, wenn zwei Menschen sich gegenseitig im Leben haben wollen und das nicht einseitig ist.


Ich glaube, das Coaching fängt auch langsam an, Sinn zu machen. Ich muss mir halt sehr viel Mühe geben, mich drauf einzulassen. Die Frau kann nämlich ordentlich unbequem werden und ich gehe dann mal gern aus dem Kontakt.
Wir haben uns mal Gedanken über Leitsätze gemacht, die mich geprägt haben und wie ich mit so viel Druck umgegangen bin. Was meine Strategien waren, darauf zu reagieren. Ich habe das immer sehr auf die Leistungs- und Jobschiene bezogen, aber auch die private Ebene und insbesondere Beziehungen leiden darunter natürlich enorm. Das habe ich nie so gesehen und mir wird so einiges klar. „Wir hätten vielleicht noch ein bisschen Therapie zusammen machen sollen, bevor wir eine Beziehung führen“, sagte der ehemalige Freund mal. Abgesehen davon, dass ich immer noch nicht mit einer Beziehung ohne Bindung leben kann, verstehe ich langsam, was er gemeint hat.


Und der Herr Intensiv – Oberarzt ändert langsam seine Empfehlungen. „Vielleicht melden Sie sich doch mal bei einer Partnerbörse an. Also einer Seriösen. Da wird viel Unfug getrieben, das stimmt schon und Sie sollen auch nicht übermorgen einen neuen Freund haben; das ist auch viel zu früh. Aber, dass Sie einfach mal dazu kommen, sich auszutauschen, vielleicht treffen Sie mal wen, vielleicht finden Sie mal raus, was Sie sich eigentlich von einer Beziehung wünschen.“ Puh… - ich denk mal drüber nach.


Mondkind


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