Von einer Begegnung in der ZNA

„Jetzt sag doch mal Deiner zukünftigen Schwägerin Hallo“, höre ich es von draußen.
Ich sitze im Schwesternstützpunkt und dokumentiere dort.
Der Freund meiner Schwester arbeitet ehrenamtlich im Rettungsdienst und hat heute Spätschicht – das hatte sie mal irgendwann beiläufig erwähnt. Ich habe am Morgen kurz mit der Pflege gesprochen, die mir dann verraten haben auf welchem Rettungswagen er heute fährt und als ich eine Anmeldung von denen im System sehe, trabe ich nach vorne (weil die Neuro am Ende der Notaufnahme liegt und man sich na niemals „zufällig“ über den Weg läuft) und dokumentiere dort weiter.

Ich möchte wissen, wie er aussieht. Dieser Mensch, der mir irgendwann im letzten Sommer einen Zettel an mein Auto geheftet hat auf dem stand, dass er mich gesehen hat und mich gern kennen lernen würde.
Aufgrund ein paar Verwechslungen in der Folge ist er dann aber bei meiner Zwillingsschwester gelandet und ich war okay damit. Zu dem Zeitpunkt hatte ich ja gerade meinen ehemaligen Freund. Gekriselt hat es glaube ich damals schon zwischen uns und ich hatte mir kurz überlegt, ihn selbst anzuschreiben, habe mich aber dann dagegen entschieden. Das konnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. (Damals wusste ich noch nichts von Beziehung ohne Bindung, Polygamie und all diesen Dingen, sonst hätte ich mir das genauer überlegt… - aber ich bin ja eine kleine treue Tomate…)
Bisher habe ich von meiner Schwester nur immer gehört: „Mondkind, er hat Dir einen Patienten heute gebracht.“ „Mondkind, er hat Dich beim Joggen gesehen“.

Es ist ein bisschen verrückt, dass meine Schwester 600 Kilometer von ihm entfernt wohnt und ich in fünf Minuten mit dem Auto bei ihm wäre.
Dass wir uns jetzt in der Situation begegnen, wo meine Schwester so viel dafür geben würde, dass die sich sehen können.

Wir stehen uns ein bisschen unbeholfen gegenüber. Was sagt man denn zum Freund der Schwester? Das Erste, was er wissen möchte ist, ob ich weiß, ob der Plan, dass sie übernächstes Wochenende zu Besuch kommt, noch steht. „Ich habe nichts Gegenteiliges gehört“, entgegne ich. „Und Ihr wolltet Euch dann vielleicht Freitagfrüh noch sehen?“, fragt er. „Naja, das wird ein bisschen knapp vor einem 24 – Stunden – Dienst (und mir auch ehrlich gesagt zu emotional; wir haben uns über ein halbes Jahr nicht gesehen, obwohl sie ständig hier ist und dann mal so zwischen Tür und Angeln…); mir wäre der Donnerstagabend lieber“, entgegne ich. „Aber da sind wir schon verplant“, sagt er. Er spricht noch kurz von ihr, dann verabschieden wir uns wieder und später bringen er und sein Kollege mir noch einen neurologischen Patienten. 


Telefon in der Ladeschale heißt.... - Dienstschluss!!!👌


Ich komme erst nach Dienstschluss – bis dahin ist es weit nach Mitternacht – dazu über dieses Gespräch nachzudenken.
Meine Schwester hat mir erzählt, dass er schon mal mit einem Zwilling zusammen war und da hat es wohl richtig viel Eifersucht gegeben und deswegen auch eine Trennung. Deshalb würde er mich gern etwas auf Abstand halten und meine Schwester mich eben auch – sonst merkt er vielleicht irgendwann mal noch, wem er diesen Zettel an das Auto geheftet hat.
Und ehrlich gesagt – nach dieser Begegnung bin ich okay damit. Ich habe meine Schwester erlebt und ich habe ihn erlebt – wenn auch nur kurz. Es war erstaunlich zu sehen, wie sich seine Gesichtszüge verändert haben, als er von ihr gesprochen hat. Wie viel Zauber, wie viel Zuneigung und Liebe zwischen den Beiden liegt. Ich habe mir versucht die beiden vorzustellen, wie sie im Flur stehen, wenn sie sich wieder für einige Zeit verabschieden und ich kann mir das vorstellen.

Und auch wenn ich mich bei dem Gedanken ertappe, dass ich so etwas auch noch gern hätte und dass es natürlich super praktisch wäre einen Freund zu haben, der um die Ecke wohnt, der im Rettungsdienst arbeitet und auch ein bisschen Verständnis für die Arbeitsbelastung hat und medizinisch ein bisschen Ahnung hat – aber wer wäre ich, wenn ich mich irgendwie zwischen die beiden stellen würde? Und das würde auch Niemandem etwas bringen. Ich würde doch nicht meiner Schwester den Freund weg schnappen und nur weil es mit den beiden klappt, hieße das ja nicht, dass wir beide auch zurecht kämen.
Meine Schwester und ich haben zwar nicht die allerbeste Beziehung und wir sehen uns selten, aber ich spüre, dass es mich glücklich macht, dass es ihr aktuell so gut geht. Dass sie einen Freund hat, von dem sie wirklich geliebt wird, der sie und ihre gemeinsame Zeit, die Exklusivität der Beziehung verteidigt – auch, wenn ich dann eben weniger zum Zug komme. Und ich möchte den Beiden alles Glück der Welt wünschen, ich hoffe, dass das trotz der Fernbeziehung so lange hält, bis meine Schwester den Facharzt hat und näher zu ihm ziehen kann.
Sie hängt so an ihm und gerade am Anfang, als das noch ein bisschen holprig war, hat sie mich manchmal angerufen, nachdem sie stundenlang geweint hatte aus Angst, dass es über die Ferne nicht geht. Ich wünsche ihr so sehr, dass die Pläne Realität werden. Dass die beiden wirklich ganz lange glücklich miteinander werden. Und wenn ich ab und an mal daneben stehen darf und den beiden zuschauen kann, wie sie ihre Pirouetten tanzen, wird das zwar vielleicht immer ein bisschen weh tun, weil ich es nicht leugnen kann, das für mich selbst zu vermissen, aber ich genieße es auch, das anschauen zu dürfen und zu sehen, wie glücklich mein Schwesterherz ist.

So – ab heute startet wieder eine Spätdienstwoche; wenn ich Glück habe, werden mein Intensiv – Oberarzt und ich uns mal irgendwann sprechen die Woche, weil es mir leider immer noch überhaupt nicht gut geht.  

Mondkind

 

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