Ein Stück Frühling und die Klinikfrage

Seit Freitagabend war ich kurz mal wieder dort, wo ich wohne, wenn ich nicht gerade bei meiner Mama bin.
Ich wurde mit einer ganz innigen Umarmung begrüßt und auch die Tochter meiner Vermieterin sprang mir fröhlich in die Arme und meinte, dass es schön ist, mich mal wieder zu sehen. Sie hatte allerdings – angesichts der Tatsache, dass am Freitag ihr letzer Schultag war - auch eine Menge zu erzählen.


Wir haben dann alle zusammen trotz eines fast leeren Kühlschranks noch etwas gekocht und anschließend ging die Tocher auf eine Party und meine Vermieterin und ich haben im Wohnzimmer den Kamin angemacht. Ich konnte das was am Freitag passiert war, auch kaum noch für mich behalten und hatte in ihr eine geduldige Zuhörerin gefunden.


Gestern Vormittag haben wir – bevor ich wieder gefahren bin – noch eine Pflanzaktion gestartet. Meine Vermieterin suchte so viele Blumentöpfe, wie sie nur finden konnte und dann haben wir Tomaten, Pepperoni, Schnittlauch, Sonnenblumen, Ringelblumen und Bohnen gepflanzt. Am Ende habe ich noch Kaffeebaumsamen gefunden und durfte dann noch einen Kaffeebaum pflanzen. Mal sehen, was daraus wird.
Ich glaube gestern früh ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass tatsächlich Frühling geworden ist.
Es hat wirklich gut getan all die Sorgen die mich derzeit umtreiben, für einen Augenblick zu vergessen und sich dort wo ich war auch ein Stück weit angenommen zu fühlen.


Da hatten wir so das erste Viertel fertig. Im Wohnzimmer schaut es im Moment eher aus, wie im Gewächshaus 🌱


Dennoch gilt es – drängender denn je – die Klinikfrage zu beantworten.
Ich hatte mir überlegt eine Pro und Contra – Liste anzufertigen, glaube aber, dass das nicht sehr sinnvoll sein wird.


Auf der Pro – Seite gibt es eigentlich nur Eines - das Gefühl. Wenn ich mir vorstelle, dass ich jetzt erst mal nicht weiter studieren muss und die Tage nicht zwingend auf die Reihe bringen muss, fühlt sich das unglaublich entlastend an. Im Moment bin ich einfach nur müde und allein Aufstehen morgens ist ein wahnsinniger Zeitakt. Ich kann den Wecker nicht immer auf um 4 stellen, damit ich um 5 mal aufgestanden bin.

Der Verstand kommt auf die Kontra – Seite. Und der hat viel mehr Argumente: Es ist das letzte Semester. Ich habe es so weit geschafft, ich werde doch nicht auf der Zielgerade einknicken! Und dann müsste ich ein Semester hinten dran hängen, ich müsste den nächsten Winter wieder Pendeln und ich war so froh, das nicht mehr tun zu müssen. Ich müsste mit meiner Schwester zusammen das Staatsexamen schreiben, ich hätte im Sommer nach der Klinik relativ viel Leerlauf, ich wäre unproduktiv, hätte versagt – ganz am Ende doch noch.
Ich könnte nicht im nächsten Sommer im PJ sein, ich müsste im Winter da sein.
Außerdem kann ich mich doch einfach mal zusammen reißen, denn wenn es ging, dann geht es immer.
Und bitte was erzähle ich meinen Eltern? Meinem Vater, der eindeutig gegen ein Freisemester ist. Und einem guten Freund, der blöderweise in der Psychiatrie arbeitet, aber dem ich noch nie erzählt habe, wie fertig ich bin. Ich glaube, das wäre der Freundschaft nicht so zuträglich...
Und ganz im Ernst: Wäre ich nucht so lange zurück in mein Elternhaus gefahren, wäre es vielleicht nie so weit gekommen. Vielleicht bin ich einfach selbst Schuld...

Dieses übermächtige Stimmchen in meinem Hirn beantwortet die Klinikfrage anders. Kann man das nicht in Narkose legen oder so? Zumindest für ein paar Wochen?


Und gleichzeitig denke ich mir (vielleicht wäre das wieder ein wenig pro - Seite): Wie stelle ich mir das denn vor? Ich habe keine Ahnung, wie das mit dem Examen gehen soll. Wir haben verdammt wenig Lernzeit und ich kenne viele, die schieben. (Wobei das jetzt nicht unbedingt das schlagende Argument ist, denn nach dem Freisemester für die Klinik kann ich nicht nochmal schieben, aber vielleicht habe ich dann zumindest mehr als knapp über die Hälfte von dem, was in allen Lernplänen vorgesehen ist).
Ich habe aber keinen Ort, wo ich in Ruhe fürs Examen lernen kann. Wenn mir an einem Ort aufgrund des Gefühls von Heimatlosigkeit jede Woche zwei Mal die Decke auf den Kopf fällt, wird das einfach nichts. Ich habe auch nebenbei noch die Dissertation und die schaffe ich in dem ganzen Lernstress vor dem Examen ohnehin nicht mehr fertig.
Warum stresse ich mich so ab? Ich kann auch jetzt in Ruhe in die Klinik gehen, danach die Doktorarbeit voranbringen, dann mein letztes Semester studieren und dann halt ein halbes Jahr später Examen machen.
Ich bin so jung – eine der jüngsten in unserem Semester. Ich kann mir das leisten ein halbes Jahr später fertig zu sein.
Und die im PSZ haben das jetzt alles schon ein wenig vorrangetrieben. Ich würde auf die Station kommen, auf der mein Arzt im PSZ Oberarzt ist und das finde ich ehrlich gesagt ganz gut, weil ich mit ihm wirklich gut zurecht komme.


Und ernsthaft: Das ist hier sowieso keine Dauerlösung. Ich kann nicht ewig mit Sertralin und Tavor als Bedarfsmedikation herum laufen. Ich möchte irgendwann auf eigenen Füßen stehen und gehen können.


Es ist so schwer, einfach mal Ja zu sagen. Einfach mal loszulassen, zu vertrauen. Diesen Sprung zu wagen und zu schauen, was da kommt. Meine Vermieterin meinte, all diese Argumente seien nur vorgeschoben. In Wahrheit ist es vielleicht einfach Angst. Angst, vor dem was hinter dem Studium kommt. Angst vor der Leere. Denn es gibt da derzeit einfach nichts.
Ich weiß genau, ich werde durchdrehen in den ersten Tagen in der Klinik. Aber dann sind ja auch Leute da, es ist ja okay, wenn auch nicht angenehm.


Trotz dessen, dass die Entscheidung noch nicht steht, habe ich schon Vorbereitungen getroffen. Bücher gestapelt, die in die Bibliothek gebracht werden müssen. Dann kann ich den anderen genau sagen, wo sie liegen, wenn ich selbst nicht mehr dazu komme.
Ein Stück weit bin ich schon darauf eingestellt.


Für mich fühlt sich das gerade so an, als sei das die Entscheidung meines Lebens. Ich soll ja mein Studium nicht abbrechen oder so. Nein, ich habe Pläne, wie es nach dem Studium weiter gehen soll und seitdem mir meine Eltern nicht mehr vorschreiben können, wie ich mich danach weiter ausrichten soll, macht es mir auch Spaß. Ich habe meine Nische gefunden.
Es geht einfach nur darum, ein halbes Jahr später fertig zu sein.
Und dann vielleicht ein wenig glücklicher mit dem Leben zu sein.

Alles Liebe
Mondkind

P.s. Eigentlich sollte dieser Blog in eine ganz andere Richtung laufen. Dass alles rund zwei Monate später so anders kommt, war damals irgendwie noch nicht abzusehen. Aber es ist jetzt so. Und irgendwann bin ich auch wieder in der Spur. Hoffe ich. 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen