Besuch im PSZ

Es war nur so ein Gefühl gestern in der Früh.
Ein Gefühl, dass es schwierig werden könnte in der Ambulanz. Dorthin zu gehen und zu sagen, dass alles gut ist und dass sie zurecht kommt, wäre genau das Gegenteil von dem gewesen, was gerade der Fall ist.
Sie kann nicht mehr. Schon seit Tagen hat sie den Termin im PSZ als feste Marke im Kopf, als Zielschild, zu dem sie gehen muss. Bis zu dem sie es noch schaffen muss.

Sie kann schlecht reden über das, was gerade ums sie herum passiert. Deswegen hat sie ihrer Therapeutin eine Mail geschrieben mit der Bitte, den Zettel vor der Stunde auszudrucken.

Und dann liegt der Zettel da zwischen den beiden.
Macht aus Buchstaben Worte, aus den Worten Sätze und insgesamt ergaben sie den Text, den sie nicht sprechen konnte.
Ihre Therapeutin stellt einige Fragen dazu, die sie kaum beantworten kann. Ihre Stimme ist zu einem Flüstern geworden, manchmal kann man nur erahnen, was sie eigentlich sagen möchte.

Klinik – dieses Wort steht heute von Beginn an im Raum. Sie wünschte, sie könnte einfach mal ja sagen. Einfach mal nicht an die Uni denken, nicht daran, dass sie das nächste Semester verpasst, dass sie es hinten dran hängen müsste. Dass sie sich noch einen Winter lang sich durch Eis und Schnee an die Uni durchschlagen müsste, stundenlang auf kalten, zugigen Bahnhöfen stehen wird. Dass all ihre Kommilitonen, mit denen sie zusammen in der Vorlesung gesessen hat, dann schon fertig sein würden und sie eventuell niemanden finden würde, mit dem sie zusammen dort sitzen könnte. Dass sie wieder zusammen mit ihrer Schwester studieren würde, wieder der ganze Leistungsdruck zwischen ihnen wäre und sie zusammen ihr zweites Staatsexamen schreiben würden.
Aber natürlich kann sie das nicht – einfach ja sagen. Sie ist nicht eine von denen die glaubt, dass sich der Rest finden wird.
Ihre Therapeutin ist sich heute unsicher, ob sie sie so gehen lassen kann. Deshalb geht sie einen Raum weiter zu einer Psychiaterin, die dort am späten Nachmittag noch sitzt und Briefe schreibt. (Mondkinds Timing ist heute in mehreren Hinsichten ziemlich beschissen... Freitagnachmittag... ).
Sie hört, wie nebenan die Absätze der Schuhe ihrer Therapeutin durch den Raum klappern, sie vernimmt zwei Stimmen, aber sie hört nicht, was gesprochen wird. Es scheint Mondkind eine Ewigkeit, bis die beiden wieder kommen. Mondkind ist schonmal froh, dass es sich nicht um die Ärztin handelt, vor der sie schonmal notfallmäßig saß – damals, weil etwas mit den Medikamenten nicht passte. Dort hatte sie sich ziemlich unverstanden gefühlt.
Diejenige, die jetzt mit einer roten Akte unter dem Arm vor Ihr steht, kennt sie vom Sehen. Mondkind sieht sie öfter durch das PSZ gehen, manchmal auch rauchend vor dem Gebäude stehen, aber zumindest vom Sehen her vermittelt sie einen ziemlich netten Eindruck. Manchmal – so hat sich Mondkind das ein oder andere Mal schon gedacht, wirkt sie beinahe wie ein Vorbild. Wie eben diese Art von Person, die Mondkind auch mal werden möchte, wenn sie fertig studiert hat.

„Dann wechseln wir mal den Raum“, schlägt sie vor und nimmt Mondkind mit in den Nachbarraum. Sie entschuldigt sich für die Unordnung, obwohl Mondkind es gar nicht so unordentlich findet.
„Jetzt hat mir die Therapeutin ja schon einiges erzählt, aber vielleicht wiederholen sie nochmal mit ihren Worten, was gerade los ist.“
Mondkind fängt mit leiser Stimme an zu berichten. Erstaunt stellt sie fest, dass die Ärztin nicht auf ihrer Tastatur herum hackt, so wie ihr Arzt das immer macht, sondern tatsächlich handschriftlich mitschreibt. Irgendwie wird sie ihr dadurch gleich ein wenig sympathischer.
Trotz der Schwierigkeit der Situation schafft sie es irgendwie ein Wenig Ruhe hinein zu bringen und die ganze Situation ein wenig aufzulockern. „Können Sie mir versprechen, sich nichts anzutun?“, wird Mondkind gefragt. „Wenn die Situation so bleibt wie sie ist, ja“, erwidert Mondkind. „Und wenn sie nicht so bleibt?“, fragt die Ärztin. „Dann lasse ich mir etwas einfallen“, sagt Mondkind. „Und was“, fragt die Ärztin. Mondkind überlegt eine Weile.
Kurz vor Ostern ist halt ein beschissenes Timing. Alle Menschen, die in ihre psychiatrische Situation eingeweiht sind, verschwinden jetzt erst mal im Osterurlaub. „Ich weiß was“, sagt die Ärztin und reißt einen Zettel von ihrem Notizzettel ab. Sie schreibt die Nummer der Notaufnahme auf. „Dann versprechen Sie mir, dort anzurufen“, sagt sie. „Ja“, erwidert Mondkind. „Und lassen Sie sich da nicht abspeisen“, ermahnt sie. „Die sind manchmal ein wenig barsch am Telefon. Sie sagen dann einfach, sie sind Patientin von Herrn X (der mittlerweile zu einem der Oberärzte der Klinik geworden ist) und dann werden die oft ein wenig netter. Und damit sie das nicht vergessen, schreibe ich Ihnen alles genau auf den Zettel. Und jetzt geben Sie mir die Hand darauf.“
Mondkind legt ihre kalten Finger in eine warme Hand. Irgendwie ist das nochmal eine andere Dimension eines Versprechens.

„Sie sitzen da sehr angespannt“, sagt sie. Stimmt – jetzt wo Mondkind darauf achtet merkt sie selbst, dass sie gespannt ist, wie ein Flitzebogen. Ihre Halsmuskeln spannen sich an und lockern sich wieder, wenn sie eine Pause brauchen, ihr Magen schmerzt bereits und unterdrückt dadurch jegliches Hungergefühl, obwohl Mondkind den ganzen Tag noch nichts gegessen hat.
„Sie schlafen im Moment sicher nicht so viel“, sagt die Ärztin.
„Nein“, erwidert Mondkind.
Dann gabe ich ihnen jetzt mal ein kleines Beruhigungsmittel mit okay? Und da ja heute Freitag ist schaue ich mal nach, ob wir noch etwas da haben. Ich würde Ihnen gern Tavor geben. Kennen Sie das?“
„Naja, ich studiere Medizin, also ja“, meint Mondkind. Tavor als kleines Beruhigungsmittel zu bezeichnen, findet sie allerdings schon ein wenig gewagt.

„Wir kriegen das hin, okay?“, wiederholt sie am Ende wieder. Und irgendwie glaube ich ihr das sogar...

Wir einigen uns, dass Mondkind sich bis Dienstag überlegt, ob sie mit einer Akuteinweisung in die Klinik möchte und dann halt nicht – wie es eigentlich gepalnt wäre – mit dem neuen Semester loslegt. Dazu muss Mondkind allerdings erst mal nachdenken, eine Pro- und Contra – Liste aufstellen und auch ein wenig in sich hinein fühlen, wie sich über das Wochenende alles entwickelt. 

Alles Liebe 
Mondkind 

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