Von Stier und Einhorn



Hallo Ihr Lieben,

irgendwie war mir gestern nicht mehr so sehr nach Schreiben. Es war anstrengend im PSZ.

Die Ärztin vom Freitag war plötzlich gar nicht mehr so nett und hat Mondkind am Ende noch damit herum gequält, wie genau sie sich denn umbringen würde.

Mondkind kann aber über manche Dinge nicht reden und das gehört definitiv dazu. Sie hätte es aufgeschrieben, aber sie musste es sagen und es hat bestimmt 10 Minuten gedauert, während sie ganz langsam die Worte aneinander reihte und ihr Rinnsääle von Schweiß den Rücken hinunter liefen.



Ganz am Ende ist die Entscheidung gefallen, dass Mondkind in die Klinik geht. Allerdings erst nach Ostern. Bis dahin fängt sie ganz normal an zu studieren.



Mondkind ist müde. Sie denkt so viel und in ihr kämpft es. Ein paar Worte hat sie schon darüber geschrieben. (Voraussetzung, dass man Mondkind jetzt nicht für völlig durchgeknallt hält ist, dass man die Geschichte „Das letzte Einhorn“ kennt. Es ist schon Jahre her, dass ihre Therapeutin Mondkind aufforderte für dieses Etwas das sie jagt, ein sprachliches Bild zu entwerfen. Da kam sie auf die Idee Stier und Einhorn aus eben dieser Geschichte zu wählen in dem Moment, in dem das der Stier das Einhorn durch die Höhle jagt).


***



„Mondkind, Du musst Dich noch ein bisschen vorbereiten für nächste Woche“, fordert etwas in meinem Kopf, das noch nicht verstanden hat, was hier derzeit los ist.

„Weißt Du – eigentlich muss ich gar nichts mehr vorbereiten – außer dem Treffen mit meinem Doktorvater. Nachdem ich monatelang um einen Termin gekämpft habe, muss ich morgen noch hin, bis dahin mir aber auch noch ein Konzept überlegen und ein paar Präparate mikroskopieren.“



Das Stimmchen dreht durch. Es ahnt seit Samstag, dass es verloren hat, seitdem ich irgendwie versuche zu einer Entscheidung zu kommen, die nicht auf einer Pro- und Contra – Liste beruht, weil deren Aufstellung mit dem Stimmchen ohnehin keinen Sinn hätte.

Stattdessen hole die Bücher her, die noch in die Bibliothek müssen und ein paar Klamotten, damit ich von hier aus den Koffer packen kann. Bauch und Herz haben sich in dem Moment entschieden, nur der Kopf hat es noch nicht realisiert und auch das „ja“ zur Klinik ist noch nicht zu ihm durchgedrungen. In seiner Unsicherheit sorgt er für eine Anspannung, bis sämtliche Muskeln schmerzen. Es ist das erste Mal seit langer Zeit, dass Essen unmöglich ist, weil die Anspannung zu groß ist.



„Kannst Du nicht wenigstens erstmal so tun, als würdest Du loslegen?“, fragt es.

„Naja, ähm…“

„Du wirst aber doch einsehen, dass Du Dienstag in die Uni fährst, oder?“

Wenn man das Stimmchen nochmal als den Stier und mich als das Einhorn betrachtet, dann kann ich mir geradezu bildlich vorstellen, wie er sich – vielleicht ein bisschen weniger Feuer seinen Körper umspielend und ein wenig mehr mit dem Aussehen eines tatsächlichen Tierwesens, neben das Einhorn legt.

„Weißt Du Einhorn, wir wissen doch beide, dass Semesterferien immer schwierig waren. Ich kann keinen Leerlauf ertragen und Du rennst zwischen Deinen Welten hin und her. Es entstehen Löcher, die wir nicht füllen können und wir beide werden verrückt dadurch, dass wir nur uns haben und das Leben außerhalb der Höhle stehen bleibt.

Geh doch einfach nächste Woche wieder los. Setze Dich mit den anderen in den Hörsaal, zwischen sie, lausche in den Pausen, was sie in den Semesterferien getan haben. Verbringe Deine Tage an der Uni und Deine Abende mit Lernen und höre endlich auf mit Denken. Du weißt selbst, dass Dir das gut tun und Dich wieder einfangen wird.“



„Aber Stier, ich kann einfach nicht mehr. Ich habe so lange versucht die Welten zu verbinden und es gelingt mir nicht. Ich habe versucht ein zu Hause für uns zu finden. Ich habe so oft versucht die Sommer sinnvoll zu verleben, nicht nur die Schwere der Hitze zu fühlen, sondern die Leichtigkeit, mit der die Natur diese Jahreszeit versieht und immer noch graut es mir davor, wenn die Bäume wieder grün werden. Ich bin so lange vor der Angst weg gerannt, so schnell mich meine Beine trugen und doch holt sie mich immer wieder ein. Und ich habe so oft versucht glücklich zu sein.



Der Stier steht auf und das Einhorn lässt sich mit gesenktem Kopf auf den Boden fallen.



„Aber Einhorn manchmal geht es darum nicht. Und das wirst auch Du merken, wenn das Studium wieder los geht. Wenn wir das jetzt durchziehen, ersparen wir uns die nächsten Semesterferien. Oder hast Du da nochmal Lust drauf? Und dann würde ich vorschlagen, ehe wir im Sommer dieselbe Krise noch mal verleben: Augen zu und durch. Ich meine das Staatsexamen. Du bereitest das doch schon vor, fasst in jeder freien Minute zusammen, hast Dich nach 3 langen Monaten mit wirklich mühevoller Hilfe eines Freundes pro – Examen entschieden.

Du glaubst doch nicht, dass wenn wir die ersten Tage Uni geschafft haben und zusammen auf dem aufsteigenden Ast sind, Du das abbrichst. Das willst Du doch selbst nicht.

Weißt Du Einhorn, ich verstehe nicht, wie Du das innerhalb eines Wochenendes alles hinschmeißen kannst. Diesen geradlinigen Überflieger – Weg, den wir immer genommen haben.

Auch die Sache mit dem PJ: Wolltest Du da nicht immer Sommer hin? Mit Freisemester gehst Du im Winter. Und hattest Du nicht überlegt, dass Du die Weihnachtszeit 2018 zum Umziehen nutzen willst und dann dort im Januar 2019 anfängst zu arbeiten?

Einhorn – ganz im Ernst: Du hast mich wirklich untergraben bei der Entscheidung. Du hast mich nicht mal gefragt. Und sorry – aber das wird Dir noch leid tun.“



„Aber Stier weisst Du, Du denkst zu sehr in die Zukunft.

Wie wollen wir das Examen vorbereiten, wenn wir ständig aneinander rasseln?

Was ist denn, wenn wir da niemals ankommen? Ich kann mir auch nicht vorstellen, mit Dir vier Monate nach Bayern zu gehen, ohne die Möglichkeit zwischendurch mit jemandem sprechen zu können. Vier Monate sind zu lang für eine Etappe. Und wir wollen doch beide nicht, dass es daran scheitert und deshalb müssen wir eben an uns arbeiten.



„Ich werde Dich da schon irgendwie durchbringen. Ich verspreche Dir, Du wirst da jeden Tag auf Station stehen und das ein oder andere Wochenende in der Notaufnahme.

Ich diskutiere darüber jetzt auch nicht mehr mit Dir. Du bist zu weit gegangen. Es wird nicht so laufen, wie Du das willst und ich werde das schon zu verhindern wissen. Du scheinst ja selbst gar nicht zu realisieren, was damit gerade alles auf der Kippe steht.

Und jetzt geh und bereite den Kram für morgen vor. Wenn ich das richtig im Kopf habe, hast Du ewig nicht mehr durchs Mikroskop, geschweige denn ins Laborbuch geschaut. Ich dachte, Du wolltest morgen grundlegende Planungen auf den Weg bringen. Das kommt nicht von allein.“



Das Einhorn verschwindet. Tief im Inneren fühlt es, dass der Stier stärker ist. Und vielleicht auch vernünftiger. Plötzlich kommt es sich so klein, schwach und elendig vor. Der Stier hat Recht: Es sollte stark genug sein, den Weg zu gehen. Und es will die Erleichterung nicht mehr fühlen, die sich gestern durch den Nebel ein wenig breit gemacht hat, dass es bald nicht mehr rennen muss.

Es hat nur eine Daseinsberechtigung, wenn es rennt.

Alles Liebe
Mondkind 

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