Stundenplan

Mondkind hat sich heute mit dem Stundenplan des neuen Semesters beschäftigt. Zumindest mal mit dem für die nächsten acht Wochen. Sie schiebt das immer so lang es geht, vor sich her. Fünfeinhalb Jahre, in denen alles am Ende doch funktioniert hat, haben sie nicht gelehrt, dass sie keine Angst vor den neuen Herausforderungen haben muss, die da kommen. Sie hat auch die blödesten Stundenpläne geschafft, trotz aller Pendelei und hat immer einen Weg gefunden, damit umzugehen. Das wird schon auch im letzten Semester an der Uni irgendwie funktionieren.
Eine der wichtigsten Fragen, die es dabei zu beantworten galt war, ob denn mit den nächsten Terminen im PSZ bei Therapeutin und Psychiater alles passt. Mondkind war nicht umhin gekommen die zu vereinbaren, bevor sie den Stundenplan kannte. Teilweise wird es eng hat sie festgestellt und sie wird ziemlich über den Campus rasen müssen, aber sie hat Glück und es gibt keine Überschneidungen mit Seminaren.
Das ist erst mal das Wichtigste gewesen.



Ihr Leben läuft inzwischen wieder in Etappen. Das war schon einmal so. Als sie noch eine viel intensivere Beziehung zu ihrer damaligen Therapeutin hatte, die mittlerweile zu einer Freundin geworden ist. (Naja... sie hören relativ selten voneinander und sehen sich noch viel seltener, aber das hört sich einfach besser an...)
Damals gab es nur diese Termine und dazwischen ein Existieren, das daraus bestand den Alltag möglichst ohne größere Katastrophen über die Bühne zu bringen. Die Termine waren extrem unregelmäßig. Manchmal lagen einige Wochen, manchmal einige Monate dazwischen und Mondkind wusste wenn sie nach einem Termin ging oft nicht, wie lang sie es schaffen musste.
Wenn sie die Räumlichkeiten dort betrat führte ihr erster Weg sie meist in die Küche und sie durfte sich einen Tee kochen, während ihre Therapeutin meist noch irgendwelche Telefonate erledigte.
Und das war der Moment, in dem sie verstand, dass sie es wieder geschafft hatte. Wie, das wusste sie selbst oft nicht genau. Sie fühlte, wie die Spannung von ihr abfiel, wie es ruhig in ihr wurde.
Natürlich musste immer ein Thema gefunden werden, über das geredet wurde, denn die Treffen sollten Mondkind ja vorwärts bringen – obwohl das durch die Unregelmäßigkeit im Prinzip gar nicht möglich war.
Für Mondkind hätte es aber auch ausgereicht, wenn sie einfach nur eine Stunde nebeneinander gesessen hätten. Sie hätten nicht mal reden müssen. Sie hat das Gefühl genossen, für den Augenblick nicht fallen zu können und nicht auf der Flucht vor ihr selbst zu sein.

Mondkind wollte diese Art von Abhängigkeit nie wieder erleben. So gut wie diese Momente auch waren, so lohnte es sich irgendwie doch nicht all diese Stunden, Tage, Wochen und Monate dazwischen nur für diese Momente zu verleben. Einige Jahre lang konnte man die guten Momente des Jahres an einer Hand abzählen, weil das eben bis auf ein oder zwei Ausnahmen diese Termine waren.
Ernsthaft – ohne diese Momente würde sie nicht mehr leben, aber wie viel Verschwendung von Lebenszeit das war... und wir haben das alles nur ein Mal...
Mondkind weiß bis heute nicht, ob ihre damalige Therapeutin je wusste, wie extrem das war. Für Mondkind war auch immer klar, dass sie ein Ende dieser Beziehung nicht überleben würde. Gesprochen hat sie nie darüber. Sie glaubte das einem anderen Menschen nicht antun zu können, da es etwas von Erpressung hat, ohne dass es so gemeint war. Es war pure Verzweiflung.
Dafür dass es aber doch eine Seite in Mondkind gibt die unbedingt leben will spricht allerdings, dass sie sich um Alternativen bemüht hat, als sie gemerkt hat, dass die beiden eventuell nicht mehr allzulange zusammen gehen. Heute könnte sie ein Ende der Beziehung zumindest überleben.

Und jetzt ist sie doch wieder da. Die Abhängigkeit. Mondkind zählt oft die Tage, die zwischen den Terminen im PSZ liegen. Zwischen der einen Stunde Ruhe, die ihr vergönnt ist.
Auch hier fühlt sie, wie sich im Wartebreich langsam eine gewisse Ruhe über sie legt.

Mondkind fragt sich manchmal, ob sie das nicht doch ansprechen sollte. Therapie sollte Lebenshilfe sein und nicht Überlebenshilfe. Auch die Stunden im PSZ sollen Mondkind nach vorn bringen, obwohl sie das derzeit kaum tun, weil die Abstände so lang sind und akut so viel anliegt, dass die beiden kaum dazu kommen über langfristige Lösungen zu sprechen.
Es gab eine Zeit, in der angeregt wurde, dass Mondkind sich doch woanders nach einer Therapie umschauen solle, was sie artig gemacht hat. Und als dann alles in trockenen Tüchern war und sie eine neue Therapeutin hatte, fühlte sie, wie ihr auch hier der Boden unter den Füßen weg gerissen wurde. Wieder von vorne anfangen. Wieder erklären. Wieder die Etappen nach anderen Regeln aufbauen und vielleicht würde ja die neue Therapeutin am Ende den entlastenden Effekt gar nicht haben – Mondkind hatte nämlich von Beginn an Schwierigkeiten mit ihr.
Und wieder die Sorge: Vielleicht würde sie diesen Wechsel nicht mehr überleben. Denn wenn auch die winzigen Verschnaufspausen wegfallen: Was bleibt dann noch?
Ganz am Ende hat die neue, noch sehr junge Therapeutin sich mit ihr ein wenig überfrodert gefühlt und nach einem Gespräch zwischen ihrer jetzigen und der neuen Therapeutin meinten auch die am PSZ, dass sie erst mal dort bleiben solle.

Letzen Endes kann sie ihr Überleben langfristig nicht abhängig machen von anderen Menschen und Institutionen. Sie muss sie in sich selbst tragen – die Fäden des Lebens. Nur wie beginnt man damit, wenn man sich dieser Welt einfach nicht gewachsen fühlt? Muss sie nicht vielleicht erst mal lernen wer sie ist und welche Fähigkeiten sie hat, bevor sie langsam in einer großen Welt selbstständig einen Fuß vor den anderen setzen und überleben kann?

Mondkind weiß gerade nicht, wie das alles weiter laufen soll. Und welche Strategie Sinn hätte und ihr irgendwann ein Leben ermöglicht. 

Alles Liebe
Mondkind 

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