Die Nächte vor den Wochenenddiensten

Vor den Diensten – und wenn es im Moment auch „nur“ die Wochenend- / Feiertags - dienste sind, wache ich immer irgendwann in der Nacht auf. Auch, wenn ich so müde bin, dass ich keine Kapazitäten habe, mir aktiv Gedanken um das Morgen zu machen – der Kopf kann das auch ohne, dass ich das weiß.
Stellt immer wieder dieselben Fragen: „Mondkind was ist eigentlich, wenn Du morgen Jemanden reanimieren musst? Hast Du das Schema im Kopf? Weißt Du, wie Du das Notfall – Team ran bekommst (nein, ich hoffe, die Schwestern wissen das?), weißt Du, welche neurologische und kardiologische Diagnostik Du dann machen musst? Weißt Du, auf welche Station Du den Patienten dann verschiffen kannst und musst? (Das gibt es immer Theater, auf welche Intensivstationen die Patienten dann gehen…)
Mondkind, was ist eigentlich, wenn Du morgen Jemanden transfundieren musst? Offiziell darfst Du es ja immer noch nicht…
Was ist, wenn so simple Dinge passieren, dass Jemand sich den Zugang zieht und so schlechte Venen hat, dass Du keinen Neuen legen kannst?

Im Prinzip kommt es einem vor, als sei man verantwortlich für alles und kann nichts. Ist es da ein Wunder, dass man eigentlich nur noch müde ist…?
Das ist im Prinzip auch das tägliche Brot auf der peripheren Station, auf der ich jetzt seit anderthalb Monaten bin und zwei Wochen davon im Urlaub war. Jedes Mal, wenn ich mir den Kalender mit den einbestellten Neuaufnahmen anschaue, kriege ich einen Anfall. Bei den meisten Patienten weiß ich nicht, was ich mit denen machen soll. Man fängt dann mal irgendwie an. Und manchmal fügt es sich. Wobei ich glaube, dass ich derzeit exorbitant lange Liegezeiten meiner Patienten habe. Weil die Diagnostik halt zu langsam zu Stande kommt. Da hat man mal hier noch was vergessen oder kann da etwas nicht interpretieren.
Es gibt Geschichten, die enden wirklich schön. Gestern habe ich eine Ärztin entlassen. „Bleiben Sie einfach so, wie Sie sind. Sie werden eine sehr gute Ärztin. Und glauben Sie mir – ich kann das einschätzen…“ Da hatte ich doch fast ein paar Tränen in den Augen.
Es gibt aber auch die anderen Seiten. Jetzt habe ich eine Patientin, bei der eine multiple Sklerose abgeklärt werden sollte. Ich musste sie bei ihr eine Nervenwasseruntersuchung machen. Bei einem BMI irgendwo im Nirwana und einem LWS – Syndrom, sodass sie mir schon quasi vom Bett gehüpft ist, als ich versucht habe am Rücken den Punkt zu ertasten, an dem ich stechen muss, war das von vornherein ein fast aussichtsloses Unterfangen. „Ich glaube, ich hasse Sie…“, fluchte sie auf dem Bett vor sich hin, während ich versucht habe das Nervenwasser zu bekommen und irgendwann den Verdacht hatte, dass die Nadel einfach zu kurz ist.

Ich schaue meinem Hirn ein bisschen zu. Wie es sich dreht. Fragen stellt, die ich ihm auch nicht beantworten kann. „Du weißt ja schon Mondkind, dass Du das nicht überleben wirst…“, ist irgendwann das Resultat. „Klar kann man das noch ein paar Monaten vor sich her schieben, aber Du merkst doch, dass es immer enger wird. Dass Jeder Versuch, paradoxerweise jeder Kontakt zur „alten Welt“ in der Studienstadt, Dich weiter von Lösungen entfernt…“
Das ist der Moment, an dem die inneren Kinder auf die Barrikaden gehen. Denn die wollen leben. Und irgendwann liegt eine Mondkind dazwischen mit Tränen in den Augen, weil sie die Spannungen nicht mehr händeln kann.   

Interessanterweise habe ich diesen Punkt, dass die Arbeit mich völlig fordern und zu großen Teilen überfordern wird, nie so ganz gesehen.
Aus gegebenen Anlasse habe ich noch mal all die Fragebögen aus dem letzten Klinikaufenthalt durchgesehen. (Ich habe die alle abfotografiert, damit ich hinterher selbst noch weiß, was ich geschrieben habe… - das konnte sich ja keiner alles merken…) Da gab es irgendwo die Frage, wie man denn selbst seine Lage verbessern kann. Da steht unter anderem. „[Im Ort in der Ferne] in einer sich selbst abgeschlossenen Welt erstmal zur Ruhe zu kommen.“ Das war übrigens nicht meine Formulierung, wenn ich mich richtig erinnere. Das hatte die potentielle Bezugsperson mal so gesagt. Mit der Idee, dass ich erstmal eine relativ reizarme Umgebung brauche, um zu mir selbst zu finden und in ein paar Jahren wieder raus ins Leben und vielleicht auch zurück in die Großstadt ziehen kann, ohne dass mich das überfordert.
Übrigens finde ich das sehr erstaunlich, wie ehrlich ich auf diesen Fragebögen war. Die habe ich am ersten Wochenenede ausgefüllt, das wegen eines Feiertags auch noch verlängert war. Da ist es umso erstaunlicher, dass es da wochenlang Missverständnisse hinsichtlich meiner Situation gab. Obwohl ich irgendwie auch befürchte, dass die nie Jemand gelesen hat dadurch, dass ich relativ früh den Therapeutenwechsel hatte. Die erste Therapeutin hat es vermutlich nicht mehr geschafft vor ihrem Urlaub und der Herr Therapeut hat vermutlich gedacht, dass das schon gemacht wurde. Eine Auswertung, so wie alle anderen, habe ich dazu nämlich tatsächlich nie bekommen.
Und so hasenfüßig wie ich bin… - wollte ich nicht nachfragen und dem Herrn Therapeuten noch mehr Arbeit machen. Der hatte schon genug zu tun mit mir.

So… ich muss jetzt los zum Dienst – und mich beeilen. Es regnet, also muss ich laufen. Ich bin gespannt. Ich hoffe, ich habe nicht non – stop zu tun, sonst wird es ein langer Abend. Ich muss noch ein paar Briefe für Freitag vorbereiten und ich habe eine Patientin, die bis heute Mittag ein 24 – Stunden – Video – EEG bekommt und morgen gehen soll. „Wie soll ich denn das bis Freitag auswerten…?“, habe ich meinen Oberarzt gefragt. „Ich habe noch zehn andere Patienten…“ „Mondkind, sie geht Freitag. Sie bleibt nicht, weil Du es nicht geschafft hast, das EEG auszuwerten…“ Das war deutlich…

Mondkind

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