Ein - Tages - Wochenende, Therapie und Helfersystem


Ein Mondkind – Samstag neigt sich dem Ende.
Die Wohnung ist von oben bis unten geputzt und gewischt, es ist eingekauft, die Wäsche hängt im Keller auf der Leine, das Problem mit dem Internet – Vertrag ist erledigt und die ausstehende Rechnung ist überwiesen.
Für den Spaziergang hat es nicht mehr gereicht (wobei es zwischenzeitlich auch gewittert hat). Für das Lesen der neuesten Fachinformationen, die die Oberärzte gern als Mails verschicken, auch nicht.

Mein Wochenende ist vorbei. Morgen habe ich Dienst und wenn der um 18 Uhr vorbei ist, muss ich rüber in den Altbau an meinen PC und noch zumindest eines der beiden Video – EEGs auswerten, wenn es endlich mal ins System eingelesen ist. (Eigentlich hoffe ich, dass das nicht der Fall ist, dann könnte ich nämlich nach Hause gehen, aber dann bekommen wir spätestens Montag Stress…)

Ich würde gern irgendetwas total Kluges sagen über das Leben und mich. In Wahrheit weiß ich aber einfach nicht mehr, wohin mit mir.
Es ist irgendwie ganz komisch geworden, das Leben.

All die Jahre gab es die Hoffnung auf ein relativ einfaches und schnelles Ende von diesem Leid. Man wusste nie genau wann. Hat sich die letzten acht Monaten von Woche zu Woche gehangelt. Unter der Woche geglaubt, dass die potentielle Bezugsperson und ich die Dinge vielleicht in der regulären Arbeitszeit lösen müssen. Und am Wochenende geglaubt, dass man das in der Arbeitszeit einfach nicht schafft und wir es deshalb am Wochenende tun müssen.
Es wird noch eine Weile dauern. Bis ich das begriffen habe. Dass es so nicht funktioniert. Dass wir uns von Zeit zu Zeit mal sehen, vermutlich selten so richtig geplant. Uns mal zunicken, uns einen guten Morgen zuschmeißen, vielleicht mal fragen, wie es uns so geht. Dass manche Momente sich vermutlich nie wiederholen werden, weil wir wahrscheinlich beide keinen Boden für neue Missverständnisse schaffen wollen.
Um die Sehnsucht zu stillen, um mit diesem Familiending endlich abzuschließen, werde ich doch den therapeutischen Umweg gehen müssen. Nachdem das reale Konzept der Nachbeelterung, das wesentlich lebens- und realitätsnäher gewesen wäre nicht funktioniert, muss es jetzt ein gedankliches Konstrukt tun, so sich das noch ergibt.

Und neben dem ganzen Arbeiten hat man so gern vergessen, dass auch das Leben an sich so bald, so endlich ist. Dass man da irgendwie in einer Blase von heute auf morgen lebt. Vielleicht wird man ja bei der Dienstplanung vergessen. Hat man gehofft. Vielleicht passieren manchmal kleine und große Wunder im Leben. Aber natürlich passiert das doch nicht.
(Vermutlich unterstellen die mir wegen der Dienste allmählich doch eine gewisse Faulheit. Aber das ist es eben nicht...)

Am Tag vor der Dienstnachricht hatte ich noch Herrn Therapeuten an der Strippe. War mal wieder ein Tag zu früh…
„Was erwarten Sie sich denn von dem Gespräch?“, war eine seiner ersten Fragen. Naja… - nicht viele Lösungen. Dass es keine Lösung der Situation gibt, haben wir ja schon Anfang Mai geklärt. Vielleicht…  brauchte ich nur einen Zuhörer. Jemand, der die Story von der potentiellen Bezugsperson kannte, mit dem ich darüber reden konnte und der auch ein bisschen die daraus resultierende Orientierungslosigkeit nachvollziehen kann. Das ist natürlich keine Antwort, die einem Therapeuten gefällt…
Er hat immer noch nicht aufgegeben, habe ich festgestellt. Kleine Übungen eingebaut, um mir mein engstirniges Denken ein bisschen bewusst zu machen. Und zwei interessante Aspekte aufgerollt. Es ging um Hoffnungen. Und darum, dass es mittlerweile dazu übergegangen ist, nicht mehr die Hoffnungen zu betrachten, weil die sich allzu oft nicht erfüllen. Sondern lieber die Chancen betrachtet. Weil man die ergreifen kann, oder auch nicht. „Die Frage, die Sie sich also stellen müssen ist die, wo Sie mehr Chancen haben…“, erklärte er.
„Meine Hand ist immer noch da…“, sagte er am Ende des Gesprächs. „Aber nehmen müssen Sie sie selbst. Und sicher wird der Start dann auch einfacher, weil sofort klar ist, wer Ihr Bezugstherapeut wird und Sie nicht alles von vorne erklären müssen." Wie gern ich das einfach so machen würde…
„Wie geht es jetzt akut weiter…?“, fragte er am Ende. Woah… - Wiederholung der Frage vom Mai. Das war noch vor dem Gespräch über die Dienste. „Weitermachen und schauen, wie weit man kommt…“, war meine Antwort. Kein Suizid - Szenario jetzt, 400 Kilometer weit weg.

Ich muss mal neue Fotos machen... auch noch ein Ausflugsfoto...


Nach den neuesten Ereignissen muss ich mir sehr genau überlegen, wie ich mit dem Helfersystem umgehe. Denn die Menschen aus der Schusslinie zu bringen heißt auch, sie nicht in den nächsten vier Wochen ständig mit der Not zu konfrontieren. Das würde mal bedeuten, den Mund zu halten. Und die Finger still zu halten. Ob ich das wohl schaffe… ?
Eigentlich war auch eine Überlegung im nächsten Urlaub wieder in die Studienstadt zu fahren (wann auch immer das ist – Ende Juli oder Anfang August…). Wen ich da langsam noch besuchen soll weiß ich nicht, aber man könnte bei Herrn Therapeuten vorbei schauen, wenn er da ist. Es ist viel emotionales Chaos, dieses Klinikgelände, aber auch ein bisschen Sicherheit. Im Normalfall. Aber wenn mir da dann schon klar ist, dass ich das keine zehn Tage mehr überlebe, würde ich ihn ja quasi mit jedem Satz anlügen. Und wenn ich das durchblicken lasse, würde er mir vermutlich unterstellen, ihn instrumentalisiert zu haben, sodass er das mit der Einweisung am Ende doch regeln muss, obwohl ich das ja selbst tun soll. Allerdings weiß ich immer noch nicht, wie ich das machen soll. Wenn ich beim nächsten Mal Anrufen in der Klinik auch diese Schreckschraube von Pflegerin in der Leitung habe, die mich erstmal darüber ausfragt, was zur Hölle ich denn in einer Klinik 400 Kilometer weit weg will und das alles für eine ganz schlechte Idee hält… - was soll ich da machen? Manche Pfleger da hatten echt Ahnung, waren sehr einfühlsam, bemüht und empathisch und haben auch echt viele Therapieangebote auf die Beine gestellt. Und freilich kann nicht jeder diesen Job als seine Lebensaufgabe betrachten. Aber dann muss man eben auch nicht Hobbypsychologe spielen und die Leute noch mehr verunsichern.

Und manchmal… - manchmal würde ich einfach die Mondkind von damals an die Hand nehmen. Die möglichst schnell in den Ort in der Ferne wollte. Mit ihr eine Runde über das Klinikgelände spazieren gehen. Irgendwo stehen bleiben und sagen: „Mondkind, ich will Dir gar nicht sagen, was da auf Dich zukommt. Aber weißt Du was: Genieß einfach den Sommer. Auch, wenn es ein Psychiatrie – Sommer ist, was nach dem Examen nicht die Form von Freiheit ist, die man sich wünschen würde. Aber besser wird’s nicht mehr.“ Und dann würde ich diese Mondkind von damals ganz fest in den Arm nehmen.

Mondkind

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