Ein Monat...
So… - mal wieder vorweg. Wer sich gerade nicht zu viel
Negativität antun möchte, liest den Blogpost heute einfach mal nicht…
***
25. Juni’s…
Scheinen bedeutsame Tage zu sein.
Heute vor einem Jahr hatte ich den ersten Termin bei Herrn
Kliniktherapeuten. Am Anfang der Stunde war ich einfach nur super genervt von
ihm. Er war absolut nicht informiert und nach fast drei Wochen Aufenthalt, in
denen ich mich darum bemüht habe verstanden zu werden, konnte ich von vorne
anfangen.
Aber… - auch wenn er die Geschichte sicher in der ersten Sitzung nicht
erfasst hat, hat er doch die emotionale Not gesehen. Und vermutlich war das für
eine Mondkind, die in den ersten drei Wochen dort dem Personal absolut nicht
begreiflich machen konnte was los war, auch wichtiger. Gesehen werden. Gehört
werden. Angenommen werden.
Und entlassen werden mit einem Zettel, für mich da zu sein. Und der
Aufforderung, ihn zu testen. „Sprechen Sie mich ruhig mal auf dem Flur an, wenn
Sie etwas brauchen und testen Sie, ob ich auch wirklich für Sie da bin…“
Ehrlich gesagt wusste ich am Anfang nicht, ob er das ernst meint. Das war zu
viel Fürsorge für eine Mondkind.
Es war einer dieser Tage, die so viel Hoffnung generiert haben. Auf
ein gutes Ende. Das man immer wieder glaubte, nicht zu erleben. Licht in den
Tagen. Irgendwann. In der Zukunft. Wenn das Grau, die Angst um dieses winzige
bisschen Leben, nur noch eine Erinnerung an das Gestern ist.
Ein Jahr später.
Ich stehe gerade im Patientenzimmer, habe im zweiten Versuch eine
Lumbalpunktion erfolgreich gemeistert und ziehe dem Patienten die Nadel aus dem
Rücken, als das Telefon klingelt. Mit der einen Hand drücke ich den Tupfer auf
den Rücken, mit der anderen Hand gehe ich ans Telefon. Der
dienstplanverantwortliche Oberarzt. „Mondkind, zwei Dinge: Zum Einen trägst Du Dich
bitte für die Wochenend – Dienste ein…“, erklärt er. „Ja ich weiß, dass ich das
machen soll und das ist dieses Wochenende schon der dritte Dienst“, erkläre
ich. „Ja, aber Mondkind das reicht nicht – Du sollst jedes Wochenende arbeiten…“,
entgegnet er. Ja wow… - das ist ja mal ein Statement. (Später werde ich
feststellen, dass sich für den verbleibenden Juli – Wochenenddienst schon
Jemand anders eingetragen hat, aber wir warten wieder auf Anrufe…) „Und die
zweite Sache…“, setzt er erneut an, „Du trägst Dich ab August in den ersten
Dienst ein. Wenn ich den Dienstplan freigebe, setze ich Dich auf den Verteiler…“
Er sagt noch ein paar andere Dinge und am Ende kommt: „Mondkind, Du weißt, dass
ich Dich schätze…“ „Naja, nicht mehr lange…“, denke ich, als ich das Telefon in
der Tasche des Kasacks versenke und mich wieder dem Patienten zuwende.
Ich muss mich bemühen, die Stimme zu behalten, als ich den Patienten
anweise, sich hinzulegen. Er ist zum Glück nicht die hellste Kerze auf der
Torte und merkt nicht, dass ich nur noch kurze Sätze sprechen kann, wenn ich
sie zu Ende sprechen will. Herzrasen. Angst. Nicht vor den Diensten. Nicht
mehr. Sondern, weil auch eine Mondkind schließlich nur ein winziges Bisschen
Leben haben wollte.
Der Tag geht weiter. Und eine Mondkind funktioniert…
Natürlich wusste der Oberarzt nicht, was er mir da gerade gesagt hat.
Es ist ja vermutlich auch schließlich das, was ich daraus mache. Nur schaffe
ich es einfach nicht. Nicht in dieser fragilen Verfassung. Wo ich sowieso jeden
Tag 12 Stunden arbeite, am Wochenende auch noch, gar nicht mehr zur Ruhe komme.
Wenn jetzt noch die Angst vor den Diensten dazu kommt, die Selbstzweifel, die
Angst da Menschen nachts nicht versorgen zu können… die Dienste selbst, die
Energie, die die Notaufnahme immer exponentiell aus mir raus gezogen hat, noch
verloren geht... Die Nächte, die einfach fehlen werden, weil ich das mit diesen
massiven Schlafstörungen, mit denen ich mich sowieso schlaftechnisch verhalten
muss wie eine Omi, damit ich irgendwie das Energieniveau aufrecht erhalten kann, nicht kompensieren kann…
- es funktioniert nicht. Es geht einfach nicht.
Dass das kommt, wussten wir immer. Seit Ende Dezember war das jedes
Mal am Ende des Monats die Angst vor diesem Gespräch. Man hat immer gehofft,
dass es noch einen Monat wird. Dass man… - vielleicht noch einen Frühling
erleben darf. Einen Sommer. Am Ende wird es ein halber Sommer.
Es ist ein bisschen zu viel, das hier in den letzten Wochen zusammen
gebrochen ist. Selbst für eine Mondkind, die trotz aller Angst das nicht zu
überleben, immer weiter gekämpft hat. Seit Anfang Mai gab es eine Hiobsbotschaft
nach der Nächsten. Und letzten Endes gibt es keinen Weg daraus. Die Klinik kann
nicht helfen – das geht sich zeitlich nicht mehr aus, die Therapeuten können
aus der Ferne nicht viel tun, erst letzte Woche ist die wichtigste Idee
zusammen gebrochen, die am Ende oft doch noch leise angeklopft und gefragt hat:
„Mondkind, Du hättest nie gewusst, ob es nicht doch hätte okay werden können,
wenn Du noch ein bisschen länger durchgehalten hättest.“
„Fishing for moments“. Immer die Devise, wenn sonst nichts mehr geht.
Das große Ganze kann nicht mehr okay werden. Aber an den wenigen freien Tagen
morgens mit einem Kaffee bafuß im Wintergarten am offenen Fenster stehen, das
geht noch. Die Tee – Momente zelebrieren und nebenbei erinnern. Die Dankbarkeit
so mancher Patienten zu vernehmen, die einem manchmal tatsächlich suggerieren,
dass man seinen Job ganz gut macht und man vielleicht darin bestehen könnte,
wäre nicht die Angst zu versagen so stark gewesen. Nochmal raus gehen. In den
Park gehen, um die Stadtmauer laufen. Und vielleicht nochmal eine Umarmung
spüren – obwohl das in Corona – Zeiten nicht wahrscheinlich ist; das war schon
vorher selten, aber seit Mitte März gibt es das für mich nicht mehr.
Und nebenbei das Geschreibsel fertig machen in der wenigen freien Zeit.
Um alle, die dann hier bleiben, so weit es mir möglich ist, aus der Schusslinie
zu bringen. Und nebenbei nicht zu sehr verzweifeln. Wir haben es lange gemacht.
Sehr lange. Eigentlich war ich mir schon sehr sicher gewesen, das Abi nicht
mehr zu erleben. Und immerhin haben wir es acht Jahre länger geschafft.
Heute bin ich etwas früher gegangen. Ich konnte einfach nicht mehr.
Ich habe noch zwei 24 – Stunden – Video – EEGs. Aber das EEG – Programm hat
heute sowieso gesponnen und ging nicht – da hat auch ein Anruf bei der Technik
nichts geändert.
Pro forma muss ich mir jetzt mal Gedanken machen, wie ich mich in
diesen Plan eintrage. Alle Wochenenddienste sonntags und den ersten Dienst… -
ich weiß es nicht. Schauen wir.
Mal wieder ein Ausflugsfoto... |
Heute vor einem Jahr saß ich vermutlich abends auf der Dachterrasse
der Klinik. Habe mich vielleicht gelegentlich gefragt, wie der erste Sommer mit
emotionalen Rückhalt in der Ferne wird. Und nicht bedacht, dass wir in einem
Jahr arbeiten, bis wir abends ins Bett kippen und langsam die Tage rückwärts
zählen.
Mondkind
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