Eines dieser Büro - Gespräche


Dunkles Büro. Mein Gegenüber hält wohl nicht so viel vom Lichtschalter. Aber vielleicht ist das nicht schlecht. Dann sieht man weniger, wenn Licht auf feuchte Augen trifft und sie glänzen lässt.

Lange nicht gesehen, außer mal irgendwo zwischen Tür und Angeln. Lange nicht gegenüber gesessen.
Ziemlich genau ein Jahr danach. Nach diesem Tag, der so viel Hoffnung war. Sitzen wir abends mit einem Kaffee im Büro. Reden so viel und sagen so wenig, das eine Mondkind – Seele beruhigen würde.

„Du bist jetzt übrigens immer noch in meinem Bereich… - nur ein bisschen weiter weg…“
„Man hört mal grob was voneinander…“, seufze ich. Und schon das ist eigentlich übertrieben.
„Genau…“, sagt er. Und irgendwie tut das verdammt weh. Ein Jahr später muss „grob“ reichen.

Zu der ganzen Kliniksache gibt es… - ein paar Statements. „Mondkind, Du kannst mal zwei oder vielleicht auch drei Wochen fehlen. Aber wie willst Du das erklären, wenn Du zwei bis drei Monate nicht da bist…? Wie stellst Du Dir das vor…? Das geht nicht…“
Wir kommen darauf zu sprechen, dass es gerade echt hängt mit der Klinikorganisation und ich auch einfach nicht weiß, ob ich dort in den nächsten Wochen hinkönnte. „Mondkind, die Psychiatrie und Psychiater sind auch etwas für psychisch kranke Leute. Das sind so Menschen mit Schizophrenie zum Beispiel. Du bist einfach nicht in dem Sinn psychisch krank. Und ich glaube auch, dass Du nie wirklich suizidal warst.“ Wow… - ich werfe ein, dass es doch schließlich auch noch andere psychische Erkrankungen außer die Schizophrenie gibt. „Mondkind, Du hast auch keine Verhaltensstörung oder Persönlichkeitsstörung. Du bist einfach nur ein bisschen einsam…“, erklärt er.
Ich weiß es nicht. Es ist nicht so, dass ich unbedingt den Stempel einer psychischen Erkrankung brauche. Aber klar – wenn man das so sieht, dann kann man den Psychiatrie – Plan schließlich auch nur verurteilen. (Von daher sehe ich davon ab anzumerken, dass wir doch da mal noch eine Pro- und Contra – Liste für die Klinik schreiben wollten).
Aber… - mal abgesehen von der kleinen Uneinigkeit, was in einer Psychiatrie behandelt gehört und was nicht, hat er im Prinzip zwischen den Zeilen gesagt, dass ich den Job massiv gefährde, wenn ich in die Klinik gehe. Und dass gerade heute Morgen in der Frühbesprechung wieder Thema war, dass wir über dem Stellenplan sind (was eben einfach zu wenig geplante Stellen sind, wir sind trotzdem zu wenig Leute), macht es nicht besser.

Es geht um Familie. Eltern. Bezugspersonen. Um den Schmerz, den dieses ganze Thema täglich mit sich bringt. Und, dass ich nicht weiß, wohin damit. Darum, dass Freunde das nicht auffangen können – auch, wenn ich gern Freunde gehabt habe und zwischenzeitlich echt mal ein ganz gutes Netz hatte. Nicht groß, aber wir konnten uns aufeinander verlassen. Aber das was mir fehlt, ist eine ganz andere Ebene. Die Freunde nicht stopfen können.
„Ich weiß, was Du meinst Mondkind. Und du sollst Dich damit abfinden. Und aufhören zu jammern, dass es so ist. Du hast zu Deinen Eltern nicht so eine innige Beziehung, wie Du das möchtest. Die Gründe dafür kenne ich nicht. Und jedes Mal bist Du wieder erschüttert und traurig."
Und nach einer kurzen Pause: "Dein ganzes Leben versuchst Du die Situation mit Deinen Eltern zu ändern – aber das wird nichts. Das bringt auch nichts… Da drehst Du Dich nur immer wieder rein in den Schmerz. Das bringt nichts die Energie in etwas zu investieren, das nie passieren wird. Lass das mal los. Das kriegst Du von denen nicht…“
Sagt ausgerechnet der Mensch, der ein bisschen „Ersatz – Bezugsperson“ werden sollte. Und eigentlich weiß er das. Ich habe das so oft verschriftlicht in den letzten Monaten; mit dem Aussprechen ist es immer ein bisschen schwierig. Ich nehme ihm wirklich nicht ab, dass er keine Ahnung hat, was er in der Geschichte für eine Rolle spielt. Ich muss mich so sehr bemühen, dass mir nicht ständig die Stimme weg bricht.

Wir sprechen über das Leben zwischen den Welten. „Mondkind, Du bist immer noch so halb in der Studienstadt. Du musst Dich mal entscheiden. Wo willst Du sein? Hier oder dort…? Und das bedeutet dann auch, dass Du in der Studienstadt mal das ganze Helfersystem los lassen musst. Das geht über die Distanz ohnehin nicht – das merkst du ja…“
Wo will ich sein? Ganz einfach – dort, wo es irgendwo und irgendwann mal ein zu Hause für eine Mondkind – Seele gibt. Im Moment ist das weder hier noch dort der Fall. Und vielleicht ist es im Moment sogar so, dass ich weder hier noch dort so richtig lebe. Dort löst sich langsam alles auf. Die Freundschaften werden loser, gerade nach dem letzten Monat ist klar, dass das Helfersystem über die Distanz tatsächlich sehr viel schlechter funktioniert, als ich das gewohnt war, als ich noch dort war. Und dann ist ein professionelles Helfersystem ehrlicherweise auch kein Grund, den Ort zu wechseln. Diese Menschen können nicht bleiben, das muss man sich immer wieder klar machen.
Nur werde ich an diesem Ort hier auch nicht finden, was ich suche. Vermutlich. Freundschaften vielleicht noch. Irgendwann. Wobei ich das auch kritisch sehe, wenn ich jeden Tag 12 Stunden auf der Arbeit hocke. Aber kein Seelen – zu – Hause.

„So Mondkind, ich muss jetzt hier noch kurz etwas machen und dann muss ich mal nach Hause…“, sagt er. „Ich muss noch kurz nach meinem herzinsuffizienzen Patienten schauen und dann sollte ich mich auch mal auf die Socken machen…“, sage ich.
Fast… - , aber nur fast hätte ich gefragt, ob er mich ein Stückchen mitnimmt. Dann muss ich nicht so weit durch den Regen nach Hause laufen. Aber die Zeiten, in denen er das gelegentlich getan hat, sind längst vorbei. Und ich bin selbstverständlich nicht in der Position, das zu fragen.
Es ist schon dunkel draußen, als ich den letzten Eintrag für diese Woche schreibe. Meine i.v. – Therapie gegen die massiven Wassereinlagerungen hat geholfen und der Patient braucht vorerst keinen Sauerstoff.
Übrigens...- nur mal so am Rande haben wir gestern eine Mail mit abgeleisteten Überstunden bekommen. Ich weiß nicht warum, aber ich bin ernsthaft die Einzige auf der Liste mit Minusstunden. Die dann auch noch rot hinterlegt waren und somit jedem sofort ins Auge springen. Ich habe erstmal einen Anfall vor meinem PC bekommen, was auch dem jetzt für mich zuständigen Oberarzt nicht verborgen blieb. „Mondkind, das muss irgendwo ein Fehler im System sein. Aber gerade bei Dir, die hier im März nicht selten bis 22 Uhr in der Notaufnahme saß – da ist das schon eine Frechheit, solche Mails durch die Gegend zu schicken…“ Ist es eben wirklich. Irgendwie kommt es mir so vor, als würde der ganze Einsatz für die Patienten überhaupt nicht gewürdigt werden. Dass ich meine ganzen ellenlangen Gespräche am Patientenbett nicht bezahlt bekomme, das ist schon in Ordnung und das weiß ich auch. Aber Minusstunden aufzuschreiben, ist noch mal eine andere Nummer. 

Bild von einem der Ausflüge letzte Woche


Auf dem Weg nach Hause mache ich mir so meine Gedanken. Es war irgendwann im Februar. Ein kalter Freitagabend. Einer dieser Abende, an dem er mich mit dem Auto den Berg hinunter gefahren hat und mir damit die Hälfte der Strecke erspart hat. Ich habe gerade ganz langsam die Sitzheizung unter mir gespürt, als er plötzlich sagte: „Mondkind, ich habe mir da mal etwas überlegt…“
Es gab danach das ein oder andere Telefonat. Die ein oder andere Mail, wie man das organisieren könnte. Wir waren auf einem guten Weg. Gerade noch rechtzeitig, bevor ich die Station wechseln würde und die Kommunikation einschlafen würde, wenn wir sie nicht langsam auf eine andere Ebene legen. Wenige Tage danach kam die Mailaktion. Und hat dieses ganz dünne Band, das wir da gerade gewebt haben, innerhalb von Minuten auseinander gerissen. Und nicht nur das. Jeglicher Boden, den wir unter den Füßen hatten und von dem wir immer wieder vorsichtig antesten mussten ob er trägt, wurde mit weg gerissen.
Am Anfang dachte ich noch, man könnte das retten. Wenn ich reagiere. Die Situation kläre. Und erst schien das machbar. Und es kann auch sein, dass wir uns beide echt bemüht haben. Ich glaube nicht, dass er nicht begreift, was ich gehofft habe, dass das mit uns werden soll. Aber da hat man ihm versucht eine Verantwortung zu übergeben, die er nicht tragen kann und sollte. Das war zu viel, um nochmal eine Basis zu finden. Innerhalb der wenigen Zeit, der blieb. Immerhin haben wir bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir unmittelbar davor waren, fast vier Jahre gebraucht.

Immer mehr befürchte ich tatsächlich, dass die Geschichte von diesem Ort zu Ende erzählt ist. Vielleicht sind alle Lichter, die es hier geben konnte, eingefangen. Vielleicht werden sie zwischen den Zeilen immer leuchten. Es gibt so viele Erinnerungen, die irgendwo auf den Fluren liegen. Wie ein Foto, das man immer wieder von der Kommode nimmt und sich anschaut. Und für einen Augenblick, nur für den Bruchteil einer Sekunde schmeißt einen das zurück in den Moment, den man damals hatte. Ganz kurz nochmal ist das Licht so hell, dass es fast blendet. Ehe der Schmerz hinterher zieht. Weil es nur noch Bilder sind. Im Kopf. Die Erinnerungen ergeben. Ich soll mich auf das Licht dabei konzentrieren, hat der Herr Kliniktherapeut gesagt und das versuche ich wirklich. Es sind wertvolle Bilder – auch wenn sie weh tun.
Und so sehr ich mich auch weigere, das einzusehen. Das, was die potentielle Bezugsperson über die Eltern gesagt hat, hat sie im Prinzip auch über sich selbst gesagt.

Es hat niemand gesagt, wann ich diese Station auf der ich gerade arbeite, wieder verlasse. Die einfach auch sehr, sehr schwierig ist – das ist nicht nur meine Wahrnehmung, wie mein Gegenüber sagte. Und wenn es soweit ist, lande ich sicher auf den Intensivstation.
„Hi neues Leben…“, denke ich mir, während die Regentropfen auf den Schirm prasseln. Und die neuen Schuhe gerade die Regenprobe bestehen. Das erste Mal in meinem Leben, in dem ich zwei Paar Turnschuhe besitze. 
Das ist es jetzt also. Das „Leben Danach…“ Von dem ich immer gehofft habe, das wir diese Erfahrung nicht brauchen werden. Nicht so schnell. Nicht schneller, als wir selbst loslassen können. Denn die Idee war so gut. Damals. Die von ihm entworfen wurde. So logisch, wie eine Mondkind – Seele heilen soll. Dazu braucht es keine hundert Jahre Therapie. Sondern nur ein bisschen Nachbeelterung. Ein bisschen Fürsorge. Ein bisschen Seelen – zu – Hause. Bis die Mondkind dann von alleine auf die Idee kommt, sich davon zu lösen. Immer noch mit Seelen – zu – Hause im Hintergrund. Aber mit weniger Bedürftigkeit. Abnabelungsprozess der Zweite. Weil der Erste so gar nicht funktioniert hat.

Aber nun: Neues Leben. Das Leben Danach.
Ganz viel Arbeiten, ganz viel Einsamkeit. Und wahrscheinlich werde ich nie aufhören zu hoffen, dass diese „alten Zeiten“ nochmal zurückkommen. Was sie natürlich nie wieder tun werden.

Auf den Herrn Kliniktherapeuten und dessen Information wie – einheitlich gesprochen – das Aufnahmeprocedere gerade aussieht, warten wir noch. Aber die Worte waren deutlich. Zwei bis drei Wochen. Nicht Monate. Und auf so etwas lassen die sich natürlich nicht ein. Auch wenn zumindest ein kurzer Unterstand, ein Hauch von einem sicheren Ort besser ist, als das gar nicht zu haben. Aber das sehen die dort natürlich anders. Wir werden sehen, ob irgendwo aus dem Dickicht noch eine neue Perspektive kommt. Im Moment wüsste ich nicht, wie die aussehen soll.
Morgen jährt sich die Klinikeinweisung. Mal sehen, ob es einen Blogpost gibt. Schwierig wird der Tag in jedem Fall.
Wir versuchen tapfer zu sein. Tag für Tag. Und Schritt für Schritt. Auch wenn wir gerade nicht wissen, warum wir gehen. Und wohin wir gehen.

Mondkind

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