Endlich... - das lang ersehnte, klärende Gespräch

Unsre Geschichte ist erzählt
Unsre Themen sind verbraucht
Es gibt nichts, was mich noch quält
Es gibt nichts, was mich noch hält
Alle Wege zu verbaut
Unsre Geschichte ist erzählt
Und das Ende steht jetzt fest
Haben uns viel zu lang verstellt
Und am Ende festgestellt, dass sich's doch nicht ändern lässt

(Revolverheld – Unsere Geschichte ist erzählt)

Sein Name auf dem Display.Der potentiellen Bezugsperson
„Mondkind, kannst Du in 30 Minuten da sein?“
Schlechtes Timing. Ganz schlechtes Timing. Ich habe so viele Patienten, wie noch nie in meinem Leben. Ich schwimme. So richtig. Und wenn ich gerade ein was könnte, dann wäre es vor meinem Arbeitsplatz zusammen brechen, weil ich einfach nicht mehr kann.
Es sind noch drei Aufnahmen zu schreiben. Ich werde jetzt zugeschmissen mit Epilepsiepatienten. Teilweise mit langjährigen, therapieresistenten Fällen, die schon in unzähligen Kliniken waren, in denen sehr viel Diagnostik gelaufen ist, die es gilt aufzuarbeiten.
„ich vergesse immer wieder, dass Du ja noch Anfängerin bist…“, sagt der Epilepsie – Oberarzt meist irgendwann, wenn ich längst nur noch Bahnhof verstehe. Und auf mein „Ich glaube ich habe nicht im Ansatz gewusst, auf was ich mich hier einlasse“, entgegnet er ein – denke ich – aufrichtig gemeintes: „Entschuldigung Mondkind. Das war damals nicht so geplant, dass ich jetzt gehe und dass es jetzt so ein Chaos mit der Epilepsie wird. Ich wollte Dich da wirklich entlasten, von dem Wahnsinn da oben. Ich kenne das. Du musst es mir gar nicht erzählen…“
 
Also das Chaos auf dem Schreibtisch liegen lassen und rüber gehen. Dort erstmal eine Weile warten, weil er noch beschäftigt ist. Und dann… - sind es im Prinzip wenige Sätze, die wirklich wichtig sind.
Es geht nicht. Zumindest nicht so, wie ich mir das gedacht habe. (Und ich weiß, dass jetzt alle denken werden: Ja, aber das hätten wir Dir doch sagen können, Mondkind). Die berufliche und private Situation ist zu kompliziert, um daraus irgendetwas wachsen zu lassen, das eine Mondkind – Seele heilen könnte.
 
Er versucht, Lösungen zu finden. Und, nachdem es jahrelang hieß: „Ich hoffe, du entscheidest Dich für diesen Ort“, heißt es nun: „Mondkind, wenn Du in der Studienstadt die Chance hast, in der Anatomie zu arbeiten, dann wäre es eine Überlegung, ob Du nicht zurück in die alte Heimat gehst. Ich denke, das könnte viele Vorteile haben.“
 
Ich glaube, mir ist noch absolut nicht klar, was das jetzt bedeutet. Dass es kein Mondkind – Seelen – zu – Hause geben wird. Dass wir vier Jahre für eine Zukunft gekämpft haben, die es jetzt ganz klar nie geben wird. Dass die Geschichte zu Ende erzählt ist. Das Kapitel vorbei ist. Von dem wir nicht wissen, ob es das Letzte in diesem Leben war.
 
Denn auch in diesem Gespräch geht es um die Dienste. Man verdrängt viel, wenn man – mittlerweile selbst ohne Mittagspause – 12 Stunden, oder oft auch länger – auf der Arbeit ist. Die Kollegen würden schon fragen, sagt er. Und zwischen den Zeilen merkt man, dass er weiß, dass mich das Thema extrem  stresst.
Man hangelt sich von Tag zu Tag. Ohne viel nachzudenken. Und der Gedanke, dass es eines Tages zu Ende geht mit mir und diesem Leben wird allmählich weniger schreckhaft. Wir wissen das. Das ist, wie so ein Ungeheuer, das einem täglich einmal über den Kopf segelt und uns dann doch verschont. Denn es gibt da ja noch die Hoffnung. Die ziemlich gut darin ist, Ungeheuer zu blenden. Für den Tag zu vertreiben.
Es wird uns dennoch  fangen. Vielleicht schon bald. Vielleicht dauert es auch noch eine Weile.
 
Wir werden versuchen, der Hoffnung in den nächsten Tagen ganz, ganz langsam klar zu machen, dass ein Großteil ihres Lichtes erlöschen wird. Und… - ich glaube, so lange wie dieser Mensch noch räumlich hier ist, wird es immer ein bisschen Licht bleiben. Das zwischendurch leider auch all die Schatten sichtbar machen und unglaublich weh tun wird. Und vielleicht zumindest noch ein paar Ungeheuer – Angriffe abwehren kann.
 
Ich bin dann doch relativ „früh“ nach Hause. Und muss morgen umso früher auf den Berg. Aber es war zu viel für die Mondkind – Kinder. Die einfach nur in den Arm genommen werden und hören wollten: „Ich bin für Dich da…“ Das war so viele Jahre lang der allergrößte Wunsch.
 


"Wissen Sie eigentlich, was Sie machen, wenn dieses Gespräch nicht so klappt, wie Sie sich das vorstellen?", fragte der Herr Therapeut einst mal, der zufällig einen der vielen Versuche mitbekommen hatte. "Nein", habe ich entgegnet, aber auch nicht wirklich geglaubt, dass das nötig sein würde. Da war zu viel Vertrauen in die potentielle Bezugsperson.  Dass er mehr nachgedacht hat über seine Worte.
Heute wünschte ich doch, ich hätte mal darüber nachgedacht. Vielleicht machen wir eine Lesenacht. Blicken nochmal zurück. Damals. 2016. Als Herr Psychiater anregte, dass man doch die Famulatur in der Ferne noch mal mitnehmen könnte, ehe man sich umbringt. Schließlich würden 30 Tage Leid mehr oder weniger es nun auch nicht mehr tun. Wie sauer ich auf diesen Satz war. Und wie sehr sich das gelohnt hat, es doch zu machen. Die Tagebucheinträge, in denen das Licht eingezogen ist. Vier lange Jahre. Mit so viel Hoffnung, dass auch eine Mondkind mal glücklich wird. Und zwischen den Zeilen wird das bleiben. Bis zum Ende. 
Mondkind

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