Leben... - oder so


Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Aber weil es gerade nicht ganz so negativ ist, sage ich trotzdem etwas. Weil so da viel in meinem Kopf herum fällt. Die Worte noch nicht ihre Plätze finden wollen. Aber ich glaube… - es wird ein vorsichtiges… - okay? Vorsichtig, weil es manchmal schon wieder fällt, kaum habe ich es ein Mal laut ausgesprochen. Weil es doch nicht okay sein kann. Mitten in der schlimmsten Zeit. Oder doch?
Bergkamm. Man kann jederzeit links oder rechts runter fallen. Aber zwischendurch… - auch kurz atmen.

Urlaub.
Das erste Mal seit… - Ende Mai. Und wer sich an den Mai erinnert… - da habe ich nur versucht, der sich anbahnenden Katastrophe zu entfliehen. Was am Ende gelungen ist. Aber ganz anders als geplant.

Ganz vage war der Plan mal gewesen in den Norden zu fahren. Meine Schwester zu besuchen. Aber nach täglich 12 Stunden auf der Arbeit – mindestens – war mir auch schnell klar, dass das nicht geht. Also ist sie jetzt hier. Aber ich habe sie vorgewarnt. Das wird kein typischer Action – Urlaub. Wir können nicht jeden Tag in den umliegenden Städten herum springen. Oder in der Natur. Ich kann einfach nicht mehr. Die Akkus stehen vielleicht auf… - 10 %.

Also denn. Ein Montagmorgen. Nicht auf der Arbeit.
Ausschlafen. Weil ich im Moment so erschöpft bin, wie die letzten fünf Jahre nicht. Weil es sich anfühlt, als könnte ich niemals wieder wach werden. 10 Uhr. Dann mal in die Küche schlurfen. ( Wer sich erinnert – bis vor vier Wochen war das etwas, das ich morgens um kurz nach Fünf getan habe). Erstmal Kaffee. Sonst geht nichts. Dann Joghurt mit Banane löffeln. Und durchs Bad. Bis dahin ist es 12 Uhr. Und ich… - fühle mich halbwegs ansprechbar.

Wir wollten ja mal noch in den Möbelladen. Und weil meine Schwester gerade das Auto hier hat, fahren wir hin. Nachdem wir im Mai wie die Irren Barhocker, Tisch und Stühle gesucht haben, springt uns das jetzt geradezu an. Ein wunderhübscher pinienfarbener Tisch mit davon farblich abgehobener, dunkler Tischplatte – also passend zur Küche – mit zwei Bänken und zwei Stühlen. Und zwei dunkelgraue Hocker für den Bartisch in der Küche. Preislich auch absolut okay. Der Tisch kommt Freitag. Die Stühle und die Barhocker nehmen wir schon mit.
Den Blog schreibe ich das erste Mal in dieser Wohnung am Bartisch der Küche sitzend. 
Ich freue mich wahnsinnig darauf, endlich Tischdeko kaufen zu können. Herbst – Tischdeko. Die diesem grausamen Sommer endlich ein Ende setzt. Eigentlich mag ich den Sommer. Wirklich. Aber dieses Jahr war es furchtbar. Und der Herbst, der hat so oft schon ein bisschen Frieden gebracht. Ich weiß noch genau, das war 2018, wie der Neuro – Oberdoc im PJ zu mir sagte: „Jetzt machen wir uns einen schönen Herbst hier“. Die Sommer habe ich hier so oft schon versäumt. Aber wenn die Blätter fielen, war ich wieder da.

Am Nachmittag beschließe ich, dass wir jetzt Waffeln backen. Einfach, weil alles dazu in der Küche ist, das Waffeleisen in der Küchenschublade liegt und wir kein Mittagessen hatten. Dann eben Waffeln. Mit Vanilleeis und heißen Früchten. Einfach so.

Abends gehen meine Schwester und ich, als die Sonne beinahe unter geht, noch eine Runde um die Burgmauer. Das erinnert mich an meine letzten Spaziergänge hier. Als ich noch den Freund am Ohr hatte.
Heute glaube ich, dass ich viel zu sehr an ihn geglaubt habe. Er wollte ja ein „Ex – in“ werden – dafür muss man ja eine gewisse Stabilität haben. Irgendwie dachte ich, er wisse, wie diese Krankheit funktioniert. Er sei der Stärkere von uns beiden. „Wir haben ja noch uns“, hat er immer wieder gesagt. „Wir dachten, mit Liebe geht das…“, das hat schon Teresa Enke gesagt und feststellen müssen, dass das nicht reicht. Ich hätte es doch wissen können. Dass es so nicht geht.

Apfelbäume. Tief stehende Sonne am frühen Abend. Herbst. Endlich. Das Kapitel "Sommer" vorbei.


Und dann müssen wir ja noch überlegen, was wir zum Abendessen essen. Wir haben kaum noch Geschirr, weil der Geschirrspüler nicht lief. Und spülen und noch kochen, wo ich doch schon wieder zu müde bin… ? Also muss es heute Abend eine Falafelrolle vom Dönerladen tun. Ich war hier erst ein Mal seitdem ich hier wohne; da darf ich sicher noch ein zweites Mal vorbei.

So viel Spontanität an einem Tag. Mal wieder etwas für die Wohnung getan. Ein Schritt in Richtung „Hierbleiben“. Ein Tag Leben, den selbst eine müde Mondkind noch irgendwie für sich nutzen konnte. Der irgendwie okay war.

Abends. Unter der Dusche. Die Gedanken schweifen ab. Daran, wie gern ich dem Freund erzählt hätte, dass es ein bisschen wohnlicher wird. Eigentlich wäre das sein Part gewesen. Er hätte jetzt hier bei mir wohnen sollen und auf die Möbellieferanten warten sollen. Mit dem Tisch kommen sie Freitag. Da muss ich eventuell einen Termin umschieben, aber sonst passt es gerade zum Glück. „Ich koche dann immer abends für Dich, wenn Du nach Hause kommst…“, hat er immer gesagt. Und ich… - habe immer lachend entgegnet, dass ich das erstmal sehen will.

Morgen in der Frühbesprechung wird der neue Dienstplan fertig gemacht. Ich frage mich, an welchen Positionen ich darin stehen werde. Ich habe letztens gehört, dass es nicht so selten vorkommt, dass das Medizinstudium noch gut bewältigt wird, aber Menschen mit so wenig Selbstbewusstsein wie ich es habe dann scheitern, an den Diensten. An diesem letzten Schritt zum „vollwertigen Arzt“. Und irgendwie… - ist es ja wahrscheinlich nur eine Sache von Einstellung. „Nur“ meine Angst. Nicht wirklich die Tatsache, dass ich es nicht kann.
Und dann denke ich so, während ich unter der Dusche stehe und das Wasser auf mich prasselt: „Mondkind – was war Deine größte Angst? Dass Du da Jemanden nachts umbringst, weil Du etwas falsch machst. Und klar hat man da immer noch ein rechtliches Problem – aber auch ein Problem mit der menschlichen Verantwortung. Aber Du… - Du hast doch jetzt das Schlimmste erlebt, das Du erleben konntest. Du konntest nicht mal im privaten Bereich genug auf die Menschen aufpassen, die Dir wichtig sind. Was soll noch Schlimmeres passieren… ?“

Für morgen hat meine Schwester sich gewünscht, dass wir eine Stadt besuchen, in der ich das letzte Mal mit dem Freund war. Eine Stadt, von der er sich sehr gewünscht hat, dass wir beide zusammen sie nochmal besuchen. Was wir nicht mehr geschafft haben.
Es wird hart, glaube ich.

Es war ein Tag, der erstaunlich okay war in diesem Grau und schwarz hier. Schon fast macht das ein schlechtes Gewissen mal wieder etwas wie „okay“ zu fühlen.  
Und dennoch hoffe ich immer noch auf irgendein Licht. Aber was die letzten Wochen auch gezeigt haben: Es kann und wird mich niemand retten. Keine Therapeut, keine Klinik, keine Institution die für Menschen gedacht ist, die gerade ihren Weg verloren haben. Am Ende habe ich nur mich selbst. Aber auch nur dieses Leben. Am Ende kann ich versuchen, das Projekt Wohnung fertig zu bringen. Und ich kann versuchen, den Job als stetiges Lernen und Wachsen zu sehen und nicht als etwas, gegen das ich kämpfen muss.
Und wenn all das nicht funktioniert, dann kann ich immer noch sterben. Aber ich würde nie wissen, wie eine Wohnung aussehen würde, die ich eingerichtet habe, wenn ich es nicht fertig mache. (Meine Mutter fände diesen Tisch und die Bänke (!!!) absolut furchtbar). Und ich würde auch nie wissen, ob eventuell nicht ganz am Ende eine Mondkind den Arztberuf schaffen würde.
Und alleine dafür lohnt sich der Kampf, solange es geht.

Zu viele Worte für wenig Take – Home – message. Aber ich hoffe Ihr wisst, was ich sagen möchte. 

Mondkind

Kommentare

  1. Liebe Mondkind,
    wie schön ein bisschen Lebensoptimismus zu lesen.

    Zwischen den Zeilen scheint es mir, als hättest du ein schlechtes Gewissen dem Freund gegenüber, dass es heute okay war. Was glaubst du, würde er dir sagen, wenn er deinen Tag heute sieht? Wäre er nicht stolz darauf, wie du weitermachst?

    Das schwierige und das Leid bleibt und das spricht dir auch niemand ab, so ein okay macht es zwischendurch ein wenig leichter zu ertragen. Und das ist wichtig!

    Ich wünsche Dir viel Kraft und genieße die Momente, die okay sind ��

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    1. Guten Morgen,
      Danke erstmal für die lieben Worte :)

      Naja, ich habe schon oft ein schlechtes Gewissen. In den zwei Monaten bevor er gestorben ist, habe ich halt wirklich nur gearbeitet und jetzt hatte ich einen ganzen Sommer lang so viel Zeit und heute fahren wir sogar in die Stadt, die er so gern nochmal mit mir besucht hätte... weiß ich nicht, wenn er das sehen könnte, was er dazu sagen würde. Andererseits hatte ich eben zu der damaligen Zeit wirklich wenig Zeit und wäre das Ereignis nicht dazwischen gekommen, wäre es sicher nicht mehr geworden. Es fühlt sich so "falsch" an, aus seinem Tod so viel zu lernen und - glaube ich - auch erstmalig zu begreifen, dass ein Tod wirklich das unumkehrbare Ende ist und es dann - natürlich neben all dem Schmerz - die kleinen, guten, hellen Momente aber auch nicht mehr gibt und so viele Projekte nie ein Ende finden und ich vielleicht nie herausfinde, wer die Mondkind wirklich ist und was sie möchte. Zu leben weil er gestorben ist ist immer noch eine Tatsache, die ich kaum ertragen kann.

      Ich glaube auch, man muss wirklich akzeptieren, dass es den Schmerz und das "okay sein" nebeneinander geben kann. Nicht nur das Eine, oder das Andere. Ich habe immer so das Gefühl, dass das Umfeld sofort denkt "Ah okay, jetzt ist alles wieder gut und spätestens jetzt müssen wir uns nicht mehr mit der Mondkind abgeben", wenn ich einmal sage, dass es okay ist. Aber eigentlich... - lebt ja niemand meine Wirklichkeit und ich sollte mir die wenigen guten Momente vielleicht nicht damit verwehren, sie aus verschiedensten Gründen nicht wahrnehmen zu dürfen. Die schweren Augenblicke kommen schnell genug hinterher. Und es darf auch einfach mal okay sein. Kleine Pause zum Atmen, da hast Du Recht, Danke Dir.

      Mondkind

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