Psychiatrie #54 Zeit


Einzelstunde. Gestern. Vielleicht die Letzte… - das weiß man noch nicht.
Ein zähes Gespräch. Eigentlich hatte ich mir meinen Text zurecht gelegt. Ich kam aber nur zu dem Punkt nochmal kurz die potentielle Bezugsperson zu thematisieren. Die die erste nette Mail seit Wochen geschrieben hat, die aber dennoch höchst verstörend ist, weil sie plötzlich meine Berechtigung nochmal eine Chance in der Ferne zu bekommen nicht kausal mit fachlichem Wissen koppelt, sondern mit der Tatsache, dass ich mich gegen die ganzen Vorwürfe auf sachliche Art gewehrt habe. Ich wüsste nicht, dass das neuerdings Voraussetzung für einen Job ist, auf eine auf privater Ebene absolut unhaltbare Weise geäußerte Kritik, die das Selbstbild doch sehr ins Wanken bringt, adäquat reagieren zu müssen.
Im Weiteren riss mich der Therapeut aber aus meinem säuberlich zurecht gelegten Konzept, als er anmerkte, dass wir die letzte Stunde – wenn es die denn nun wird – zur Verabschiedung nutzen müssten.
Was ich dann doch noch schaffte anzumerken war, dass doch einige Themen offen geblieben sind, was er jetzt für nicht so schlimm hielt, da es sich im Kern um dasselbe Problem und dieselben Muster handle, auch wenn wir nicht darüber gesprochen haben. Ich hingegen halte Trauer schon für etwas dezent anderes als „Funktionieren“, aber nun denn. Und vor allen Dingen haben wir bis heute nicht die heiße Kiste mit der Suizidalität besprochen. Laut Oberärztin sollte das ja so nebenbei von alleine besser werden – leider ist eher das Gegenteil passiert. Mir war klar, dass das mein ziemlich sicheres Todesurteil ist, wenn ich das in der Stunde nicht anspreche. „Reden Sie einfach mal so, wie Sie schreiben würden…“, versuchte mir Herr Therapeut auf die Sprünge zu helfen und schob hinterher, dass eine Sitzung schließlich nur 50 Minuten lang sei. Na danke auch. Wir saßen da eine Ewigkeit und ich weiß nicht, wie oft ich versucht habe, mit dem Sprechen loszulegen.
„Also ich weiß jetzt nicht, ob ich das sagen darf, weil ich glaube, dass es hier sehr verpönt ist, wenn ich das sage…“, habe ich irgendwann losgelegt. (Und ich glaube, es kann wirklich Keiner mehr hören, obwohl wir in einer Psychiatrie sind, aber es ging und geht um sehr viel…)
Und irgendwann hat er das dann begriffen, was ich sagen wollte.
„Kann ich Ihnen nicht sagen, solange ich nicht weiß, worum es geht. Da ich Sie mittlerweile eine Weile kenne weiß ich, dass Sie gerade etwas in Richtung Suizidalität andeuten….“
Und nach meinem Schweigen… „Mh… - Hundert Punkte für [Herrn Therapeuten]…?“ Damit war das Eis dann auch mal gebrochen. „Ja…“, brauchte ich nur noch sagen.
Um das an der Stelle abzukürzen weiß er jetzt, dass ich keine Ahnung habe, wie lange ich das zu Hause schaffe. Letzten Endes war die Devise immer – den Satz sagte der sehr geschätzte Herr Psychiater mal – „vorher ging es ja auch irgendwie – dann geht es jetzt auch…“ Am Anfang habe ich ihn wirklich gehasst für diesen Satz – aber er hatte Recht. Ich bin meist in das Umfeld zurückgegangen, aus dem ich kam. Diesmal ist das aber nicht so. Es war ja auch schon in den Monaten vor der Aufnahme grenzwertig und jetzt – danach – ist es nicht mehr, wie es war. Und es wird nie wieder, wie es war. Ich stehe jetzt einfach mit zweieinhalb bis drei Personen weniger da – je nachdem, ob man Herrn Therapeuten dazu zählt, oder nicht. Und mit einem Rucksack mit einem neuen Thema – Angehörige eines an einem Suizid verstorbenen Menschen zu sein – von dem ich noch nicht weiß, wie ich ihn tragen soll. Und selbst die wenigen zwischenmenschlichen Momente von Licht, das Gefühl zumindest von wenigen Menschen angenommen zu werden, ist nicht mehr da. Und in einem Menschen habe ich mich wohl auch noch sehr getäuscht.
Im Verlauf der nächsten Minuten haben wir dann ein bisschen die Ursachen für den aktuellen Zustand heraus gearbeitet. Für den sich am Ende ein Satz heraus kristallisierte.
„Ich glaube nicht, dass es tatsächlich keine Möglichkeiten mehr gibt. Ich sehe die schon. Aber ich habe keine Lust und keine Kraft mehr mich darum zu kümmern das anders zu machen.“ (Das bringt mich nicht weiter – das ist mir klar. Ist aber sehr ehrlich. Ich kann einfach nicht mehr. Gerade eben nicht).
„Das ist ein Statement. Das erklärt, warum wir gerade in dem Zustand sind, in dem wir sind“, entgegnete Herr Therapeut.

Und am Ende blieb uns nicht mehr, als die Entscheidung in der Oberarztvisite heute abzuwarten.
Ich habe mal so gedacht… - die lesen mal, was gestern gewesen ist. Aber so richtig… 



Die Oberarztvisite heute war nämlich… ernüchternd. Das Thema Trauer und Suizidalität kam überhaupt nicht zur Sprache.
Es gibt immer noch keine Entscheidung. Seit anderthalb Wochen drehen wir uns um dieses Thema. Morgen Nachmittag ist nochmal ein Gespräch mit der Oberärztin geplant. Im Zeitraum meiner Musiktherapie. Kann also sein, dass die letzte Musikstunde dem Drama um den Entlasstermin zum Opfer fällt. Und wenn ich bleibe kann es sein, dass die mich auf eine andere Station legen müssen, weil sie es organisatorisch nicht hinbekommen.
Die Oberärztin erklärte, dass mich natürlich auch ein Alltag wieder ein Stück weit stabilisieren könnte und dieser Konflikt zwischen „Ich muss und möchte eigentlich arbeiten, aber ich kann nicht“ bei einer Verlängerung des Aufenthaltes auch nicht weniger werden würde. Da hat sie schon Recht, das sehe ich auch. Aber was die nicht sehen ist, dass das hier primär eine Entscheidung um das Überleben wird. Wie zwei weitere Wochen hier mich noch soweit stabilisieren sollen, dass ich danach wieder ganz minimal Kraft dazu habe zumindest das, was vorher war aufrecht erhalten zu können, weiß ich nicht – aber es wäre zumindest mal noch eine Mini – Chance.

Ich hoffe einfach, dass mir das zugestanden wird. Aber man kann es nicht wissen. Seit so vielen Tagen drehen wir uns um die Frage, wie viel die mir hier zugestehen können und wie viel ich mir zugestehen kann. Es ist ja nicht so, dass nicht schon ganz am Anfang klar war, dass das Entlassdatum bei den Belastungsfaktoren und der veranschlagten Zeit sehr sportlich ist, aber damit musste ich auch hinsichtlich des Jobs erstmal arbeiten. 
Und langsam kann ich einfach nicht mehr. Suizidalität ist ein beschissenes Thema. Begleitet mich, seitdem ich 11 Jahre alt bin. Macht mich seit 16 Jahren zu einer Art Außenseiter, die ständig mit einem Schatten auf den Schultern herum läuft.
Und aktuell geht es um so viel mehr, als um zwei Wochen mehr oder weniger Klinik. Es geht um die Frage, ob ich noch eine Chance auf ein Leben bekomme, oder nicht. Ob dieses jahrelange Kämpfen, Funktionieren, Grundlagen legen für ein erfülltes Leben, so es denn mit der Stimmung irgendwann mal besser wird, sich gelohnt hat, oder am Ende doch entwertet wird.
Seit anderthalb Wochen drehen wir uns um die Frage, wie oft ich wohl noch die Sonne aufgehen sehe. Und wahrscheinlich diskutiere nur ich die Frage auf dieser Ebene.

Naja… - abwarten und (Therapeuten-)Tee trinken.

Mondkind

Bildquelle: Pixabay

Kommentare

  1. Ich finde es ehrlich gesagt erschreckend, dass Suizidalität sogar in der Psychiatrie mit ausgebildeten Fachleuten so ein Tabuthema ist. Das kann und darf doch eigentlich nicht wahr sein... Wenn man mit diesen Menschen nicht offen darüber reden kann, mit wem dann?

    Ich kann mir nur ansatzweise vorstellen, wie viel Kraft das kosten muss, seine Geschichte immer wieder von Neuem erzählen zu müssen, aber glaubst du, du kannst vielleicht nochmal mit einem Therapeuten neu anfangen? Vielleicht sogar direkt im Ort der Ferne? Dass eine Therapie für dich extrem wichtig ist, werden deine Vorgesetzten ja spätestens jetzt unterschreiben und eine ambulante Therapie unterstützen, im Sinne von dir zu ermöglichen die Termine auch wahrzunehmen mit den schwierigen Arbeitszeiten...

    Liebe Grüße. Viel Kraft.

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    1. Hallo,
      Lieben Dank für Deine Worte erstmal.

      Die Kraft wird gar nicht mal primär dafür benötigt, immer und immer wieder dieselbe Geschichte zu erzählen. Sondern viel mehr, immer wieder die "heißen" Themen anzuschneiden, sie darzulegen, sich selbst so angreifbar und verletzbar damit zu machen und dann dennoch nicht zu spüren, dass man da in irgendeiner Weise ernst genommen wird, bzw. wenn, dass dann "nur" Konsequenzen folgen, die mir und meinen Bedürfnissen nicht gerecht werden. Es hat im stationären Setting nie eine zwingende Notwendigkeit bestanden, mich auf eine geschützte Station zu stecken, oder mir das indirekt anzudrohen, wenn ich das Thema nochmal anbringe. Ich bin immer absprachefähig, solange ich daran glaube, dass ich Hilfe bekomme und es besser werden kann - was in einer Klinik nun mal gegeben ist, sonst kann man sich die Therapie ja sparen. Es besteht aber wohl eine Notwendigkeit sich ein Mal mit mir und dem Thema zu beschäftigen. Dass es mal so eben "nebenbei" als Selbstläufer besser wird, glaube ich nicht.

      Klar brauche ich theoretisch einen Therapeuten. Jetzt ist das natürlich im Ort in der Ferne, in dem kleinen Kaff, das es nun mal ist, wenn man noch dazu kein Auto hat nicht so einfach. Aber ich wollte mal meine neue Hausärztin um Rat bitten; das sollte ich auch nicht lange vor mir herschieben.
      Ob der Chef das unterstützt, wird man sehen...

      Mondkind

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  2. Ich finde das klingt total nachvollziehbar (generell eigentlich die große Mehrheit, die du schreibst/erzählst). Es wundert mich, dass du nicht ernst genommen wirst, da du mMn so selbstreflektiert bist und du ziemlich genau ausdrücken kannst, was du brauchst, wo es schmerzt und was dir auf dem Herzen brennt für ein Gespräch und was nicht.
    Kann das in Therapiestunden nicht so rüber gebracht werden wie hier, gehen die Therapeuten lieber auf Dinge ein, die sie für wichtig halten in deinem Therapiefortschritt oder fehlt es einfach an Zeit, dass über solche Themen nicht gesprochen werden kann? (Tut mir leid, falls das idiotische Fragen sind, aber ich habe noch absolut keine Erfahrung in diesen Bereichen).

    Ich habe manchmal das Gefühl, deine Therapeuten müssten "einfach" deinen Blog lesen...

    Liebe Grüße.

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    1. Hey,
      Ich denke ich kann es in den Therapiestunden überhaupt nicht rüber bringen und dann fehlt da sowohl meine Info, als auch die Zeit. Was mir beispielsweise ganz wichtig gewesen wäre, wäre Unterstützung im Trauerprozess insbesondere deswegen, weil ich mich eben mit dem Tod des Freundes so sehr identifizieren konnte und kann auf so vielen Ebenen. Das wurde hier aber gar nicht gesehen, wobei ich das eben ein Mal gesagt habe, aber dann eben auch nicht mehr, weil ich vermute, dass jeder da immer so seine Gründe hat auf etwas einzugehen oder eben nicht.

      Wenn Geschreibsel erlaubt wäre, wären wir definitiv weiter gekommen ... das sehe ich auch so.

      Mondkind

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