Der eigene Wert nach einem Suizid im Umfeld
They say the brightest stars
Are the ones that burn out first
And I was quick to give my heart
Turns out that you kept yours
(Christina Grimme - Cry wolf)
Aus: Chis Paul - Warum hast Du uns das angetan? Ein Begleitbuch für Trauernde nach einem Suizid
Bücher lesen soll helfen.
DAS… - beschreibt den Zustand, für den ich wochenlang keine Worte
gefunden habe.
Mein Schweigen in den letzten Wochen in der Klinik kann man sicher
vielfältig interpretieren, aber ich würde mal sagen – das ist ein Teil davon.
Es ist vermutlich schwierig einem Menschen in der Situation, in der
der Freund bei unserem letzten Telefonat wenige Stunden vorher gewesen sein
muss, noch etwas wie rationales Denken zu unterstellen. Und vielleicht
funktioniert diese Verknüpfung dann nicht mehr, von der ich gehofft habe, dass
es die gibt – aber wenn man einen Menschen so unmittelbar mit dem drohenden
Unglück konfrontiert, wie er das mit mir getan hat, dann sollte einem die
Verantwortung bewusst sein, die man da in die Hände des anderen liegt.
Ich dachte es geht, weil wir uns haben. Weil er mir versprochen hat,
dass das was am Ende passiert ist, nicht passiert. Weil jeder von uns dem
jeweils anderen ein Stück seines Herzens geliehen hat und klar ist, dass ein
Teil des eigenen Herzens mit stirbt, wenn der andere geht.
Weil – wenn man so konfrontativ mit dem Thema umgeht, der andere mehr
Verantwortung trägt, als man selbst. In dem Fall war ich das. Und was habe ich
vor diesem Telefon gesessen. Am Tag danach. Wie oft habe ich ihn angerufen? Vierzig
Mal?
Wie lange hatte ich Angst, dass ich neben dem menschlichen Problem
noch ein rechtliches Problem habe? (Und zwischenzeitlich habe ich mir
paradoxerweise sogar gewünscht, dass ich es bekomme…)
Und irgendwann kriecht diese Frage unweigerlich hoch: Wieso hat das
nicht gereicht, dass wir uns hatten? Er hat doch immer betont, dass ich der
wichtigste Mensch für ihn bin. Wie kann das plötzlich keine Rolle mehr spielen,
dem anderen für den Rest des Lebens die Last aufzubürden, nicht gehandelt zu
haben?
Und kann man mich mit dem was ich da getan habe, mit diesem verantwortungslosen
Handeln, mit dieser Schuld, die ich aufgeladen habe, noch akzeptieren? Von
Lieben wollen wir ja gar nicht erst reden.
Ich glaube nicht mal, dass das in der Situation so bewusst war, aber
ich glaube das war der Grund, warum ich die Geschichte nur stückchenweise
erzählt habe. Immer näher an die Wahrheit gerückt habe. Wie gehen die Menschen
mit dem nächsten Stück Wahrheit um? Ich hatte wirklich Angst, dass der
Therapeut mich verurteilt und um wenigstens diese Bindung zu schützen, konnte
ich nicht ehrlich sein.
Und dann habe ich das Team – glaube ich auch nicht ganz bewusst –
immer wieder getestet. Wie viel Rebellion gegen das Team gesteht ihr mir zu,
bis ihr die Reißleine zieht? Irgendwann haben sie die gezogen. Das war auch ein
ziemlich blöder Test, ehrlich gesagt. Aber nicht ganz bewusst.
Und das war die Bestätigung von dem, was ich zu dem Zeitpunkt gesucht
habe. Ich bin als Mensch nicht genug wert, als dass ein Team in der Psychiatrie
für mich versucht zu kämpfen. Am Ende lösen sie es mit Verlegung. Geben die
Verantwortung ab.
Holy shit, diese Bücher hätte ich viel, viel eher lesen sollen. Die
erklären mir gerade echt meine Welt. Bremsen mich auch. Ich muss nicht jeden
testen, ob er mich tatsächlich noch mag. Ob ich gemocht werden kann. Sie finden
Antworten auf die Frage, wie mit negativen Gefühlen dem Verstorbenen gegenüber
umgegangen werden kann, von denen man sich ja nicht mal eingestehen möchte,
dass man sie hat. Ich fühle mich nicht mehr ganz so sehr wie ein grünes
Männchen mit Antennen. Vieles von dem was ich lese, habe ich genauso erlebt
oder gedacht. Und das ist okay.
Irgendwo steht tatsächlich auch geschrieben, dass die ganze Beschäftigung,
die das Thema auslöst – mit dem anderen, verstorbenen Menschen, mit der
Beziehung, die man da geführt hat (oder auch nicht) und mit sich selbst so viel
Energie frisst, dass viele Menschen sich einfach nur extrem ausgelaugt und müde
fühlen.
Auch das passt. Ich schlafe nicht mal schlecht im Moment. Aber es
reicht dem Körper hinten und vorne nicht. Ich fühle mich dauerhaft wie vom LKW
überrollt, könnte gefühlt in jeder Ecke schlafen.
Und das mache ich jetzt auch. Morgen habe ich Dienst. Und wir haben
etwas wie… - Prominenz auf unserer Station. Ich hoffe, ich schaffe den Dienst
morgen.
Mondkind
P.S. Vielen Dank übrigens für die ganzen Kommentare in letzter Zeit, das freut mich sehr.
P.P.S. Das Lied von Christina Grimmie ist ganz neu. Keine Ahnung, woher sie die Studio - Version gefischt haben. Hört Euch das mal an; ist richtig gut. Und passte jetzt gerade irgendwie...
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