Von Stricken, Masken und ganz viel Erschöpfung


Langsam bekomme ich Angst. Vor der ganzen Situation. Und vor mir.
Der Körper schreit nur noch nach dem Bett. Das Hirn nur danach, in Ruhe gelassen zu werden. Sich mit den eigenen Themen beschäftigen zu dürfen.

Arbeit. Telefon. Non – stop.
Schwestern. „Frau Mondkind, die Medikation im System ist falsch angegeben; wir bekommen abrechnungstechnische Probleme – können Sie da bitte ändern…?“ „Da hat mich doch schon gestern jemand von Ihnen angerufen; bei mir steht es richtig angegeben; das muss irgendein Übertragungsproblem sein und das muss dann die EDV oder weiß ich nicht wer lösen – auf jeden Fall nicht ich. Kümmern Sie sich darum…“ Noch im selben Moment tut es mir leid, dass ich nicht – wie so üblich gesagt habe „Ich kümmere mich darum“, aber ich kann einfach nicht mehr.

Blutabnahme. Mit einer Patientin. „Welchen Arm soll ich nehmen?“, frage ich. „Naja so dass ich mit rechts noch etwas machen kann“, sagt die Patientin. „Okay, dann also den Linken“, antworte ich. Sie hält mir ihren rechten Arm hin. „Ich dachte, wir wollen links nehmen“, sage ich irritiert. „Mit rechts wollte ich noch etwas machen können“, bekräftigt die Patientin. „Na wenn sie Sie mit rechts noch etwas machen wollen, dann müssen wir den linken Arm nehmen“, sage ich etwas harscher, als ich es eigentlich tun wollte, worauf hin sie wortlos den Arm wechselt.

Einer meiner Patienten. Subdurales Hämatom im MRT. Hatte ich nicht erwartet. War ein Zufallsbefund.  Der Patient ist ganz aufgelöst. „Haben Sie noch eine Minute Zeit?“, fragt er. „Ja“, knirsche ich vor mich hin. Er wählt aufgeregt eine Telefonnummer. Seine Frau. Die er mir direkt weiter reicht. „Und was machen wir jetzt…?“, fragt sie am Ende meiner Erklärung. „Wir warten auf die Stellungnahme der Neurochirurgen…“, entgegne ich. „Und was machen die Neurochirurgen…?“, fragt sie. Mir reißt fast die Hutschnur. Woher soll ich das wissen? Ich könnte nur noch schreien, ich kann nicht mehr.

Nächster Patient. Lumbalpunktion. Er ist schmerzempfindlich. Sehr schmerzempfindlich. Und kaum habe ich mit der Nadel den Rücken berührt, geht er ins Hohlkreuz. So wird es überhaupt nichts. Ich rufe die Kollegin an. Ich kann das einfach nicht mehr. Ich kann jetzt nicht eine halbe Stunde auf ihn einreden und dann vielleicht noch mit Tavor um die Ecke kommen, bis er sich punktieren lässt.
Am Ende schafft es die Kollegin. 

Jetzt gibt es also nicht nur Therapeuten - Tee, sondern auch noch einen Strick dazu. Und ganz viel Erinnerung. An Momente, die gut waren. Getragen haben. In diesem ganzen Chaos von Klinikaufenthalt mal kurz Sicherheit vermittelt haben. Die ich mir krampfhaft versuche noch mal wach zu rufen.


Kaum sind drei Wochen vorbei, bin ich mit den Nerven mindestens so am Ende, wie kurz vor meinem Ausfall. Ich kann nicht mehr. Ich kann echt nicht mehr.
Nächste Woche habe ich Urlaub… - ob mich das rettet… ? Man weiß es nicht.

Jeden Abend wenn ich das Gebäude verlasse und wieder Internet habe, fällt der erste Blick in die Mail. Nichts.
Ich erinnere mich an die letzte Begegnung mit Herrn Therapeuten. Er stand morgens nochmal in der Tür und hatte einen Strick dabei. An dem einen Ende hat er mich aufgefordert zu ziehen, während er das andere Ende in der Hand gehalten hat. „Es ist immer Jemand da, der am anderen Ende zieht. Sie müssen sich nur bemerkbar machen…“ Das war so ein tragender, wärmender und erhebender Satz, dass ich mit einem Mal so einen Kloß im Hals hatte, dass ich echt nichts mehr sagen konnte. Wenn so etwas nur ein Mal bleiben würde. Wenn man nur nicht für Bruchteile von Sekunden dieses grenzenlose Vertrauen spüren würde, das man so gern als Gefühl behalten würde und von dem man weiß, dass das nicht die Realität ist.
Ich glaube, ich hätte mehr Geduld mit ihm – Urlaub hat er gerade nicht, das weiß ich, allerdings kann ja auch sonst immer mal was dazwischen kommen oder er ist einfach überbeschäftigt – wenn wenigstens Frau Therapeutin zurück geschrieben hätte. Vielleicht hat die Stationsoberärztin ja nicht nur beschlossen, dass Herr Therapeut und ich unsere Geschreibselgrundlage nicht mehr haben dürfen, sondern gleich dazu, dass diese Institution die Mondkind nicht mehr unterstützen kann, weil die Mondkind nicht brav genug dem Behandlungskonzept folgen konnte.
Wenigstens ein „Ich habe es gelesen und melde mich“, wäre nett. Beruhigend. Damit ich nicht das Gefühl habe, diese komplette Klinik und alle Menschen die daran hängen, verloren zu haben. Scheiße man… - wie abhängig ich immer noch davon bin. Weil halt auch sonst gerade wenig bleibt.

Der Seelsorger. Hatte mal ein bisschen Zeit. Interessantes Gespräch. Wenn auch wenig entlastend. „Wie traurig sind Sie gerade auf einer Skala von 1 – 10?“, fragte er. „Vielleicht so 7“, habe ich entgegnet. „Wenn ich Ihnen das mal spiegeln darf, kommt bei mir eine 3 an“, erklärt er. Und was ist jetzt? Übertreibt die Mondkind jetzt schon wieder?
Er möchte wissen, warum da diese Diskrepanz entsteht. Warum Maskenmondkind wieder so aktiv ist. „Ich glaube“, beginne ich, „auf der Geschlossenen ist das umgeschlagen. Innerhalb von Minuten musste die „alte“ Mondkind am Start sein. Da durfte keine Trauer um den Freund sein. Der durfte mich nicht so einnehmen, mein Gefühlsleben ausmachen. Das hat niemand verstanden und akzeptiert. Das tun bis heute die Wenigsten. Letzten Endes mache ich mich mit Ehrlichkeit nur noch angreifbarer. Und noch einsamer. Ich bin schon einsam ohne den Freund. Aber die Abwendung, die mir für meine Ehrlichkeit entgegen gebracht wird, macht mich noch einsamer. Sei das nun vom privaten Umfeld oder dadurch, dass es selbst in der Psychiatrie nicht möglich war zu sagen „Ich bin noch nicht bereit, weil das mit dem Freund noch so ein großes Thema ist.“ Das hätte ich nicht sagen können.“ Und abgesehen davon war Traurigsein auch schon in der Kindheit nie erlaubt. Dafür gab es Taschengeldabzug. Maskenmondkind wurde seit frühester Kindheit trainiert. Und wenn bei Mondkind eine Träne rollt, dann sind wir bei Traurigkeit 10 von 10. Dann funktioniert das nicht mehr mit das Maske. Trotz ganz viel Bemühen.
Farbenlehre. Macht der Seelsorger gern. Was da jetzt so in mir ist, möchte er wissen. Ganz viel Trauer, die ich schwarz nenne. Und dahinter ein eigenartiges Zittern im ganzen Körper. Angst. Unruhe. Dass es knallt. Dass die Maske nicht mehr hält. Das mache ich rot. Weil das so bedrohlich ist.
„Interessant“, sagt der Seelsorger, „das Herz ist normalerweise rot – und bei Ihnen ist es schwarz.“ „Ein Teil von mir ist eben mitgestorben. Glaube ich“, entgegne ich. Und das entlockt mir doch fast eine Träne. Hier läuft so viel schief. Hinter der Maske. Ich muss mich bessern. Morgen. Gegenüber den Patienten und der Pflege.

Und dann ist morgen Freitag. Ich arbeite spätestens freitags immer meine Mails der Woche ab. Aber das handhaben sicher nicht alle so.
Irgendwer muss doch mal irgendetwas sagen können, das eine Mondkind langsam einfängt. Ihr einen Raum gibt. In dem sie einfach nur weinen und sein darf. Alle Hoffnungen auf morgen. Bis man das Gebäude verlässt. "Hast Du den Freund eigentlich bwundert für das, was er getan hat?", fragte der Oberarzt mal. Ja tue ich. Echt. Ich kann weder leben noch sterben. Also vegetiere ich so vor mich hin. Versuche es mit dem Leben. Aber er hat wenigstens mal irgendwann irgendetwas gemacht. Kein seltsames Dazwischen hängen. Kein immer wieder versuchen und doch immer wieder scheitern. Irgendwie war es auch ein Statement, das er das gesetzt hat. Für ihn. Und für alle anderen, die ihn nicht halten konnten, mit seinem Schmerz.

Mondkind

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