Erfahrungen auf der Intensivstation



Blockpraktikum auf der Intensivstation.
Nachdem der Tag für zwei Stunden durch eine Vorlesung unterbrochen war, mache ich mich schnell wieder auf den Weg zur Intensivstation.
Hier gibt es zur Abwechslung mal blaue Kleidung, in die ich schnell schlüpfe. Ich werfe den Kittel über, stecke das Stethoskop ein und befestige noch schnell mein Namensschild am Kittel, damit möglichst jeder sieht, dass ich Studentin bin und die Angehörigen dann hoffentlich nicht loslegen mit: „Frau Doktor, ich habe da mal eine Frage…“. Das ist dann immer umständlich sie zu unterbrechen und zu erklären, dass man gar nichts zu entscheiden hat (und in den meisten Fällen den Patient auch kaum kennt).
Gerade als ich den Flur betrete, kommt mir der Arzt, der mich schon am Morgen betreut hatte entgegen. Er hat einen Patienten im Intensivbett dabei und ruft mir zu: „Wir fahren ins CT – wollen Sie mitkommen?“
Ein CT in der Radiologie habe ich schon oft miterlebt, aber noch nie mit einem Patienten von der Intensivstation – also entscheide ich mich mitzukommen.

Man hat wirklich so gut wie das ganze medizinische Inventar aus dem Patientenzimmer dabei. Der Patient hängt natürlich im Monitor, sodass wir die ganze Zeit die wichtigsten Vitalparameter im Blick haben. Neben den wichtigsten Medikamenten, die gerade laufen (und die manchmal der wesentlich Grund dafür sind, dass der Patient überhaupt noch einen Kreislauf hat), haben wir auch zwei Sauerstoffflaschen dabei und das Equipment, das wir für eine Intubation benötigen.

Der Weg zum CT ist weit. Wir müssen einige Etagen hoch fahren, dort den Gang nutzen, der unser Gebäude mit einem anderen Gebäude verbindet. Im anderen Gebäude müssen wir wieder in den Keller fahren und dort in die Radiologie gehen.

Irgendwie fällt mir gleich auf, dass das ein heikles Unterfangen ist. Der Patient rauscht mit seiner Sauerstoffsättigung immer wieder ab und wir stecken den Clip ständig an einen anderen Finger in der Hoffnung, dass das auch ein bisschen was mit Unterkühlung der Gliedmaßen zu tun hat.
Wir sind schnell unterwegs, beim rasanten Kurven nehmen fällt immer mal wieder etwas vom Bett – sei das nun der verpackte Tubus oder die Patientenakte, die ich dann immer schnell wieder aufsammle.

„Der Patient steht kurz vor der Intubationspflicht“, flüstert mir der Arzt zu.
Also ich persönlich würde mich das mit einer solch niedrigen Sauerstoffsättigung nicht trauen mit dem Patienten durch das halbe Krankenhaus zu fahren und ich merke, wie mir bei dem ganzen Unterfangen vor Sorge ein wenig unwohl wird.
Hinterher frage ich ihn, was er denn gemacht hätte, wenn das jetzt zwischendurch gar nicht mehr vertretbar gewesen wäre. „Naja, dann hätten wir ihn intubiert“, antwortet er mir.
„Auf dem Flur oder wie?“, frage ich. „Na sicher“, kommt zurück.

Wir schaffen es in der Radiologie anzukommen und lagern den Patienten auf dem CT – Tisch. Den Monitor stellen wir so, dass wir ihn immer im Blick haben, auch wenn wir aus Strahlenschutzgründen den Raum verlassen müssen.
Was ist überhaupt das Problem des Patienten? Er verbraucht jeden Tag Blutkonserven und der Hämoglobin – Wert, der davon eigentlich steigen sollte, fällt immer mehr. Hämoglobin brauchen wir, damit der Sauerstoff in unserem Körper auch in den Zellen ankommt und eigentlich sollte sich das in den Gefäßen befinden. Wenn der Wert im Blut immer weiter fällt, ist davon auszugehen, dass die Blutkonserve irgendwo im Körper landet, aber nicht in den Gefäßen.

Das CT bedeutet den Patienten alleine zu lassen und obwohl man ein CT natürlich abbrechen kann, können wir dennoch ein paar Sekunden nicht in den Raum und irgendwie wird mir echt mulmig bei dem Gefühl. Wenn die Sättigung sowieso schon so weit unten ist, hat man auch nicht viel Zeit, wenn sie noch weiter abrauscht – da zählen Sekunden dann halt.
Die Unruhe des Arztes merkt man lediglich daran, dass er ein wenig unruhig von einem Fuß auf den anderen tritt und die Radiologen zur Eile antreibt, als sie noch nach den Nierenwerten des Patienten schauen.

Schon auf den ersten Blick durch die Bilder erkennt man eine Blutung im Bauch und es wird entschieden, dass der Patient sofort in den OP geht. Da der CT – Raum gebraucht wird, müssen wir raus und stehen mit unserem Patienten erst mal auf den Flur, bevor wir einen kleinen Raum entdecken. Wir wissen nicht, wofür der gut ist, entschließen uns aber mit unserem Patienten dort hinein zu fahren.

Der Patient wird schnell über die OP aufgeklärt und ist verständlicherweise ein wenig aufgeregt und unruhig, was seinen Vitalparametern nicht unbedingt gut tut.
„Und jetzt ist Feierabend“, murmelt der Arzt und erklärt dem Patienten, dass er jetzt schon mal schlafen dürfe.
Drei Minuten später liegt der Patient in Narkose und ist intubiert.
„Ich habe das hier unten auch noch nie gemacht“, erklärt mir der Arzt hinterher. „Ich kenne die Räume der Radiologen gar nicht so genau, aber es hat ja alles gut geklappt.“

Irgendwie bin ich ziemlich beeindruckt.
Was hat der Typ für eine Ruhe?
Insgesamt hatten wir seit dem Losfahren jetzt eine Stunde gebraucht und die ganze Zeit stand der Patient wirklich auf der Kippe. Ich merke erst jetzt, wie platt ich eigentlich bin, weil mich diese Situation, die jederzeit hätte kippen können, so angespannt hat.

Ich muss ganz ehrlich sagen – die Intensivmediziner bewundere ich wirklich. Auf der Intensivstation liegen Menschen, deren Leben teilweise schon am seidenen Faden hängt. Vielleicht wächst man ja da hinein, lernt mit der Zeit eine gewisse Ruhe zu haben, weil man in seine Fähigkeiten vertraut und eben weiß, dass man einen Patienten jederzeit irgendwo auf dem Flur intubieren kann.
Und dass man nicht völlig fix und fertig ist, wenn auf der Station der Reanimationsalarm los geht und man schnell, aber geordnet reagieren muss, um den Patienten möglichst wieder ins Diesseits zu holen.
Ich frage mich ein wenig, wie man mit diesem Job umgeht. Sicher – man kann viele Menschen retten. Gerade wenn man als Intensivmediziner im Rettungsdienst unterwegs ist, kann man wirklich Leben retten. Und gleichzeitig verliert man auch viele Patienten, die man tagelang, manchmal auch wochen- oder monatelang betreut hat. Es muss doch ein ständiger Wechsel zwischen dem Gefühl sein, wirklich etwas bewirken zu können und dem Gefühl der Ohnmacht, wenn alle medizinischen Maßnahmen doch nicht ausreichen.

Wie ich schon mal geschrieben habe – wäre mein erstes Praktikum nicht so blöd gelaufen, wäre in mir vielleicht eine Anästhesistin verloren gegangen… und ein paar Jahre Anästhesie und Intensivmedizin können vielleicht tatsächlich nicht schaden – das schiebt dann den Facharzt nur noch weiter nach hinten.

Alles Liebe
Mondkind

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