Selbstfürsorge im Medizinstudium?
Thematisch hat
dieser Studienblock es wirklich in sich.
Auf der einen
Seite steht die Rechtsmedizin. Es gab eigentlich keine Vorlesung, in der nicht
das Wort „Suizid“ gefallen ist und in einigen Seminaren und Vorlesungen wurden
uns wirklich grauenhafte Bilder gezeigt und damit verbunden auch immer wieder
Methoden, wie man sich am Einfachsten aus dem Leben katapultiert.
Auf der
anderen Seite steht die Palliativmedizin, in der wir uns mit Fragen
beschäftigen wie: Wie stelle ich mir meinen eigenen Tod vor? Und was ist
eigentlich für mich ein „gutes Sterben“? Welche Formen von Sterbehilfe gibt es
und neben der Frage, was rechtlich erlaubt ist: Wie stehe ich persönlich dazu?
Gerade hinsichtlich Fragen wie ärztlich assistierten Suizid oder aktive
Sterbehilfe.
Ich habe mich
gefragt, ob es wohl einigen Kommilitonen ähnlich ging und geht wie mir.
Mittlerweile hat sich das alles schon wieder ein wenig beruhigt, aber es gab
Tage, an denen habe ich wirklich nicht geglaubt, dass ich die Nacht außerhalb
der Klinik überlebe, ohne mir etwas anzutun. Und dem Team dort beizubringen,
dass ich das ernst meine und das nicht nur eine Methode ist, um den
Klinikaufenthalt zu strecken, war eine schwierige Angelegenheit –
beziehungsweise eine Angelegenheit, die am Ende auch nicht funktioniert hat.
Zurück zur
Frage: Ob es wohl einigen Kommilitonen ähnlich geht?
Ich habe mir
dazu mal die Studienlage angesehen und bin fündig geworden.
Erst im
Dezember 2016 wurde eine Meta – Analyse veröffentlicht, die die Prävalenz von
Depressionen und Suizidalität unter Medizinstudenten eruiert.
Für die depressive
Symptomatik wurden 167
Querschnittsstudien und 16 Longitudinalstudien aus 43 Ländern zwischen den
Jahren 1982 - 2015 mit einbezogen. Beinahe alle Studien verwendeten dazu Fragebögen,
die auf einer Selbsteinschätzung der Studierenden beruhen.
Die Prävalenz
von Depressionen oder zumindest depressiven Symptomen lag in der Studie bei 27,
2%, wobei die Zahlen über die Jahre relativ konstant waren mit einer leichten
Tendenz nach oben. Die Zahlen unterschieden sich nicht signifikant zwischen vorklinischen
und klinischen Abschnitt des Studiums.
Immerhin waren
rund 15, 2 % der Betroffenen in Behandlung, was aber eben nur knapp über die
Hälfte ist.
Um die
Suizidalität zu beurteilen wurden in dem Zeitraum 24 Querschnittsstudien aus 15
verschiedenen Ländern heran gezogen.
Die Prävalenz
von Suizidalität liegt im Schnitt bei 11, 1 %, was erschreckend viel ist, wie
ich finde.
Allgemein wird
darüber diskutiert, warum die Zahlen bei Medizinstudenten und auch bei fertig
ausgebildeten Medizinern höher sind, als in der restlichen Bevölkerung, aber
das soll uns an der Stelle mal nicht interessieren.
Im Klartext
heißt das aber: Wenn die Rechtsmedizin eine Vorlesung hält, in der rund 100
Studenten sitzen, weisen rund 30 Zuhörer eine Depressive Symptomatik
auf und 11 Studenten haben Suizidgedanken, die durch die Vorlesung mit
Sicherheit nicht ausgelöst, aber zumindest sicherlich vermehrt getriggert
werden.
Ich bin also
vermutlich nicht alleine mit der Thematik.
Und jetzt
stelle ich mir gerade die Frage: Was wäre ein vernünftiger Weg, damit
umzugehen?
Ich glaube,
den Dozierenden ist es kaum bewusst, dass psychiatrische Erkrankungen auch –
und vielleicht sogar in höherem Maß -Medizinstudenten betreffen – sonst würden einige Sätze da mit Sicherheit
nicht fallen. Es steht ja auch niemandem auf die Stirn geschrieben - und wer studieren kann, ist schließlich gesund. Das ist ja immer die verbreitete Meinung.
Natürlich ist
es wichtig, dass wir lernen zu erkennen oder zumindest einen Verdacht zu haben,
auf welche Art ein Mensch gestorben ist, wenn wir zu einem Leichenfundort
gerufen werden. Zur Leichenschau ist nämlich jeder Arzt verpflichtet – egal, ob
Rechtsmediziner oder nicht.
Und um das
vernünftig einschätzen zu können, muss man wissen, wo man nach Hinweisen für
welche Todesart suchen muss und wo überhaupt die gängigsten Hinweise zu finden
sind. Dazu gehört ein Grundlagenwissen dazu und auch, einige Bilder gesehen zu
haben, damit man weiß, wie es aussieht.
Ebenso kann
man es in der Palliativmedizin wahrscheinlich nicht vernachlässigen, sich mit
dem Sterben auseinander zu setzen. Letzten Endes kann man den Patienten nur
vernünftig begegnen, wenn man weiß, wie die eigene Haltung zu bestimmten Themen
ist und von daher ist es wichtig, im Rahmen des Studiums einen Standpunkt dazu
zu entwickeln.
Aber wie
begleitet man die Studierenden jetzt dadurch? Wie erkennt man, ob dem
Studierenden das Thema gerade schwer fällt oder nicht? Wenn man
Anwesenheitspflicht hat, kann man eben nicht einfach weg bleiben und hinterher
mit dem Gedankenkonglomerat wieder in die Welt geschickt zu werden, ist nicht
hilfreich – wenn nicht sogar in gewisser Hinsicht rücksichtslos.
Ich kann mich
erinnern – als wir mit unserem Präparierkurs in der Uni begonnen hatten, gab es
dazu ein freiwilliges Begleitseminar. Mit einem Körperspender zu arbeiten, ist
nämlich gar nicht so einfach.
Damals habe
ich mir auch viele Gedanken gemacht. Ich habe überlegt, was Menschen motiviert,
sich dafür zur Verfügung zu stellen. Und ob das wirklich freiwillig war (viele
Menschen machen das durchaus aus Kostengründen und nicht, um der Wissenschaft
einen Gefallen zu tun). Und wie sie wohl vorher gelebt haben, wie sie gestorben sind? Wie ich würdevoll mit
diesem Menschen, den man uns da gegeben hatte, umgehen kann. Und ob mich das
nicht selbst in eine gewisse moralische Verpflichtung bringt, der Wissenschaft
das zurück zu geben, was ich von ihr bekommen habe? Und ob ich das überhaupt
für mich selbst wollen würde, ein Körperspender zu sein?
In diesem
Seminar haben wir unsere Gedanken und Gefühle in Bezug auf den Präparierkurs
mit anderen Kommilitonen und mit den Kursleitern besprochen. Mir persönlich hat
das damals sehr geholfen.
Und vielleicht
wäre das für die Rechts- und Palliativmedizin auch eine Idee. Man muss dem Kurs
ja jetzt auch nicht irgendeine abgefahrene psychiatrische Überschrift geben.
Man kann ihn beispielsweise einfach „Begleitkurs“ nennen, in dem dann aber
Mentoren sitzen, die sich ein bisschen mit der Psychiatrie auskennen. Das senkt
die Hemmschwelle wesentlich.
Und dann
könnte man vielleicht besprechen wie – zum Beispiel in meinem Fall – ich damit
umgehe, dass ich jetzt weiß, wie man effektiv einen Suizid begehen kann, wo ich
mich doch vorher absichtlich nie so genau damit beschäftigt habe.
Und was ich
dagegen tun kann, dass sich die Gedanken nicht in meinem Gehirn eingraben.
Und wie ich
einen Standpunkt dazu finde, was würdevolles Sterben anbelangt, wo doch meine
favorisierte Art gar nicht so würdevoll ist.
Und vielleicht
auch, wie ich in so einem Zustand Patienten gut begegnen kann und wie ich damit
umgehe, was es mit mir macht, wenn ich mit sterbenden Menschen arbeite, die
aber noch gar nicht dafür bereit sind und ich daneben stehe und mir denke „Ich
würde aber gerne.“ Das löst unfassbar viele Schuldgefühle aus.
Und wenn wir
sammeln würden, hätten wir sicher als Gruppe noch viel mehr Ideen und
Baustellen.
Das hätte
übrigens den positiven Nebeneffekt, dass man vielleicht zumindest einige der
Betroffenen, die bis dato ohne Behandlung waren, identifizieren kann und sie
eventuell im psychiatrischen System unterbringen könnte.
Aber
wahrscheinlich ist das auch mal wieder ein finanzielles Problem, denn wer will
die Kursleiter bezahlen…? Die Uni hat ja meistens nicht gerade Geld über…
Aber es wäre
mal ein Ansatz von Selbstfürsorge im Medizinstudium – ansonsten geht es ja bei
jeglichen Themen immer um die Anderen in Form unserer zukünftigen Patienten.
Alles Liebe
Mondkind
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