Über den Umgang mit Suizidalität im psychiatrischen Kontext



Hallo Ihr Lieben,
der Eintrag jetzt ist ziemlich spontan – ich komme nämlich gerade aus der Ambulanz und es gibt eine Sache, die mich einfach unglaublich beschäftigt im Moment. Deswegen muss ich es jetzt mal aufschreiben. Wer Schwierigkeiten mit dem Thema Suizid hat, sollte an der Stelle nicht weiter lesen. Eigentlich sollte heute noch ein anderer Text kommen – den können dann alternativ alle lesen.

***
Ich lege meine Hand in die meiner Therapeutin.
Und mit diesem Handschlag versichere ich ihr, mich bis nach der Klausur nicht umzubringen.Das sind anderthalb Wochen.

Nachdem das Thema in der Klinik 10 Wochen lang überhaupt nicht angesprochen wurde, ist es mittlerweile Dauerthema. Ich werde bei jedem Besuch in der Ambulanz gefragt. Wahrscheinlich steht es jetzt doch irgendwo bei denen im PC.
Das ist eben nur leider ein wenig spät.

Selbst im Studium lernen wir schon, dass wir die Patienten immer – wirklich immer – darauf ansprechen sollen. Wer den Gedanken an einen Suizid nicht hegt, wird auch allein durch die Frage nicht dazu angestoßen. Und derjenige der den Gedanken hegt, ist meistens überaus dankbar für die Frage.

Es ist schon bezeichnend, wie man so sehr in einer Krankheit drin hängen kann, obwohl  man genauestens darüber Bescheid weiß – weil man es im Studium gelernt hat und ich darüber hinaus die Psychiatrie – Lehrbücher auch noch gewälzt habe – und trotzdem nicht aus den Mustern heraus komme, die die Krankheit mit sich bringt.

Wer redet denn mit einem Arzt oder Therapeuten gegenüber freiwillig über Suizid? Wer sagt denn: „Ich müsste da nochmal ein Thema anschneiden – irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich mich umbringen will“ ?

Das bringt ja im Prinzip zwei Probleme mit sich.
Das erste Problem ist die Befürchtung, sich zu sehr in den Vordergrund zu schieben. Wenn jemand darüber redet, dann muss etwas passieren. Das kann man nicht so stehen lassen. Es ist zu eruieren, wie weit es mit den Gedanken ist und ob die Betroffenen sich davon distanzieren können und meistens wird man in der Zeit enger an die Ambulanz angebunden oder muss in der Klinik sich alle paar Stunden im Dienstzimmer melden. Jedenfalls dann, wenn die Ärzte nicht davon ausgehen, dass innerhalb der nächsten paar Stunden etwas passiert, sonst kommen natürlich andere Lösungen ins Spiel.
Aber wenn das eigene Selbstbewusstsein sowieso irgendwo zwischen den Füßen herumkriecht, ist das eben das Letzte, das man braucht.

Das zweite Problem ist, dass man mit einer solchen Aussage die Kontrolle abgibt. Es ist durchaus nicht so, dass jeder mit Suizidgedanken in die Klinik eingewiesen wird. Wenn die Betroffenen sich ausreichend davon distanzieren können, kann man das sogar ambulant regeln. Nur das wissen die meisten nicht. Die sehen sich dann immer irgendwo auf der geschützten Station. Und letzten Endes liegt es tatsächlich ein wenig an der „Risikofreudigkeit“ oder vielleicht besser gesagt – Erfahrung – was ambulant noch vertretbar ist. Einige stecken die Grenze da vielleicht tiefer als andere und gerade wenn man in einer Notfallsituation den Arzt nicht kennt, weiß man ja nicht, wie der das sieht. Was bei dem Einen noch ambulant durchgeht, kann beim Nächsten zur stationären Aufnahme führen.

Und diesen Faktoren kann ich mich auch nicht erwehren.
So sehr ich die Klinik in der Situation auch gebraucht haben mag – aber jetzt ist das „normale“ Leben wieder angesagt und eine nochmalige abrupte Unterbrechung möchte ich nicht.

Der Stationsarzt hat nach Suizidgedanken zehn Wochen lang nicht gefragt. Natürlich hätte ich das dann ansprechen müssen- auch nicht nur so durch die Blume in sprachlichen Bildern versteckt - da liegt die Verantwortung auch ganz klar bei mir, vor allen Dingen auch, weil ich durch das Studium das ganze Procedere kenne und schon von außen miterlebt habe – aber ich wollte eben so wenig Wirbel wie möglich um meine Person machen. Unser Stationsarzt hat auch immer betont, dass er sich durchaus Sorgen um seine Patienten macht und ich wollte ihm ja auch keine schlaflosen Nächte bereiten. Auch ein Arzt ist ein Mensch und kein Ort, um seinen seelischen Müll abzugeben.

Und dann – in der elften Woche lag das Thema wirklich auf dem Tisch. Und im Prinzip - so hatte ich das Gefühl - wusste keiner, wie er damit umgehen sollte. Ich war ja schon beinahe entlassen, als das zur Sprache kam.
Abgesehen davon hatten wir in der Woche danach auch einen neuen Stationsarzt bekommen und ohne mein Gegenüber zumindest ein wenig zu kennen, werde ich da nicht in die Tiefe gehen. Unser Stationspsychologe war im Urlaub, der Oberdoc auch – es war also niemand da, mit dem ich das Thema hätte auseinander nehmen können.

Im Prinzip hätte es die Möglichkeit gegeben, dass ich bleibe, wenn ich die Uni sein lasse. Das war aber für mich nicht so richtig eine Option und darüber hinaus hatte ich auch das Gefühl, dass sie mich zwar einerseits noch die eine Woche festhalten mussten wegen genau dieses Themas, aber dass sie mich und damit diese verzwickte Situation auch ganz gern los haben würden.Außerdem war ich schon fast 12 Wochen da - sehr viel länger hätte man das ohnehin nicht mehr strecken könne, selbst wenn man gewollt hätte.

Ich glaube wäre das schon relativ zu Beginn ein Thema gewesen, hätte ich damit ehrlicher umgehen können und offener darüber reden können. Ich bin ja ohnehin nicht in die Uni gegangen und wenn das auf der offenen Station nicht mehr tragbar gewesen wäre, wäre ich durchaus auch auf die geschützte Station gegangen.
Am Ende der Klinikzeit gab es Tage, an denen ich dachte, dass ich das die nächsten drei Tage nicht überleben werde und - zumindest meiner Wahrnehmung nach - war die Angst wirklich real und nicht nur in den Raum gestellt, um den Aufenthalt zu strecken. Hätte es am Tag meiner Entlassung das Gespräch in der Ambulanz nicht gegeben, weiß ich nicht, was passiert wäre.   
Und im Prinzip ist mir vom Verstand her auch jedes Mal, wenn ich wieder klar denken kann klar, dass ich nicht sterben, sondern einfach nur raus aus der Situation möchte.
Ab und an war mir das so generell egal ob ich weiter lebe oder nicht, aber dann gab es auch wieder Zeiten, in denen das auch für mich selbst ganz furchtbar war, dass ich mir selbst nicht über den Weg traue, weil ich vom Verstand her wusste – und auch immer noch weiß – dass es zu früh ist.  
Und hätte ich das so konkret ansprechen können, dass es Situationen gibt, in denen ich mich davon nicht mehr distanzieren kann, hätte man vielleicht auch lernen können damit umzugehen, dass man gar nicht erst so weit da hinein rutscht. Aber dazu hätten sie ja wissen müssen, dass es so ist.

Ich weiß in der Ambulanz immer nicht genau, wie ich jetzt mit der Frage umgehen soll.
Meistens gebe ich zu, dass das Thema für mich im Hintergrund schon eine Rolle spielt, es aber mittlerweile deutlich weniger geworden ist.
Dann kommt immer noch die obligatorische Frage hinterher: „Können Sie mir versprechen, Sich bis zum nächsten Termin nichts anzutun?“, die ich immer artig mit einem „Ja“ beantworte.

Das war beim letzten Arztgespräch in der Klinik im Prinzip schon eine kleine Unehrlichkeit und das ist es eigentlich immer noch. Ich habe keinen konkreten Plan, aber wenn ich denen das garantiere, muss ich eigentlich sicher sein, dass ich meine regelmäßigen Abstürze soweit unter Kontrolle habe, dass ich mich, auch wenn das vernünftige Denken ausgeschalten ist, nicht zu diesem Schritt entschließen werde.
Und wie soll ich das denn garantieren? Ich bin in diesen Momenten ja gar nicht mehr ich selbst. (Das wäre übrigens auch mal ein interessantes Thema: Wer entscheidet eigentlich in solchen Momenten? Die Depression, oder ich selbst? Bin ich als Individuum überhaupt noch in der Lage zu entscheiden, oder ist das Denken so eingeschränkt, dass ein rationales Abwägen überhaupt nicht mehr möglich ist)
Ich beschäftige mich mit dem Thema im Moment fast täglich, schaue mir Dokumentationen an oder lese Berichte und irgendwie hört es nicht mehr auf mit einer gewissen Präsenz in meinem Kopf zu kreisen.
Früher dachte ich: Wenn es gar nicht mehr geht, gibt es noch die Klinik. Heute weiß ich, dass die mir jetzt auch nicht mehr weiter helfen können und von daher hat sich die Möglichkeit am Ende des Weges verändert.

Ich befürchte allerdings, wenn ich anfange an dieser obligatorischen Frage zu argumentieren, bringe ich damit beide Seiten ziemlich in die Bredouille. Ärztlicherseits ist es unverantwortlich das so stehen zu lassen. Es gibt also nur die Möglichkeit einer engeren Anbindung an die Ambulanz – was bei deren Kapazitätsauslastung kaum möglich ist – oder eben wirklich die Klinik. Damit ist dann die Ambulanzärztin aus der Verantwortung raus und von daher ist dieser Schritt schon verlockend. Letzten Endes sind Psychiater eben – wie bereits gesagt - auch Menschen und keiner von denen will sich vorwerfen müssen, dass ein Patient sich unter seiner Behandlung das Leben genommen hat. Am Ende kann das natürlich kein Psychiater verhindern, aber Schuldgefühle kommen da wahrscheinlich trotzdem auf.

Mir ist klar, dass das nicht förderlich für die Arzt – Patienten – Beziehung ist. Das sollte so nicht sein, man sollte da ein anderes Vertrauensverhältnis schaffen können - was natürlich auch irgendwie schwierig ist, wenn man bei jedem Termin vor jemand anderen sitzt. Ich habe keinen festen Arzt mehr, seitdem der Oberdoc weg ist.
Unser Stationsarzt meinte beispielsweise mal zu mir: Egal, was ich ihm jetzt erzähle, er steckt mich nicht auf die Nachbarstation. Und natürlich nimmt das den Druck raus und verleitet zu mehr Ehrlichkeit. 
Und genau die könnte mich halt jetzt in immense Schwierigkeiten bringen.

Ich lasse das jetzt einfach mal so stehen. Für mich gibt es bisher keine Lösung für dieses Thema.


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