Über den Umgang mit Suizidalität im psychiatrischen Kontext
Hallo
Ihr Lieben,
der
Eintrag jetzt ist ziemlich spontan – ich komme nämlich gerade aus der Ambulanz
und es gibt eine Sache, die mich einfach unglaublich beschäftigt im Moment.
Deswegen muss ich es jetzt mal aufschreiben. Wer Schwierigkeiten mit dem Thema
Suizid hat, sollte an der Stelle nicht weiter lesen. Eigentlich sollte heute
noch ein anderer Text kommen – den können dann alternativ alle lesen.
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Ich
lege meine Hand in die meiner Therapeutin.
Und
mit diesem Handschlag versichere ich ihr, mich bis nach der Klausur nicht
umzubringen.Das sind anderthalb Wochen.
Nachdem
das Thema in der Klinik 10 Wochen lang überhaupt nicht angesprochen wurde, ist
es mittlerweile Dauerthema. Ich werde bei jedem Besuch in der Ambulanz gefragt.
Wahrscheinlich steht es jetzt doch irgendwo bei denen im PC.
Das
ist eben nur leider ein wenig spät.
Selbst
im Studium lernen wir schon, dass wir die Patienten immer – wirklich immer – darauf
ansprechen sollen. Wer den Gedanken an einen Suizid nicht hegt, wird auch
allein durch die Frage nicht dazu angestoßen. Und derjenige der den Gedanken
hegt, ist meistens überaus dankbar für die Frage.
Es
ist schon bezeichnend, wie man so sehr in einer Krankheit drin hängen kann,
obwohl man genauestens darüber Bescheid weiß – weil man es im Studium
gelernt hat und ich darüber hinaus die Psychiatrie – Lehrbücher auch noch
gewälzt habe – und trotzdem nicht aus den Mustern heraus komme, die die Krankheit
mit sich bringt.
Wer
redet denn mit einem Arzt oder Therapeuten gegenüber freiwillig über Suizid?
Wer sagt denn: „Ich müsste da nochmal ein Thema anschneiden – irgendwie habe
ich das Gefühl, dass ich mich umbringen will“ ?
Das
bringt ja im Prinzip zwei Probleme mit sich.
Das
erste Problem ist die Befürchtung, sich zu sehr in den Vordergrund zu schieben.
Wenn jemand darüber redet, dann muss etwas passieren. Das kann man nicht so
stehen lassen. Es ist zu eruieren, wie weit es mit den Gedanken ist und ob die
Betroffenen sich davon distanzieren können und meistens wird man in der Zeit
enger an die Ambulanz angebunden oder muss in der Klinik sich alle paar Stunden
im Dienstzimmer melden. Jedenfalls dann, wenn die Ärzte nicht davon ausgehen,
dass innerhalb der nächsten paar Stunden etwas passiert, sonst kommen natürlich
andere Lösungen ins Spiel.
Aber
wenn das eigene Selbstbewusstsein sowieso irgendwo zwischen den Füßen
herumkriecht, ist das eben das Letzte, das man braucht.
Das
zweite Problem ist, dass man mit einer solchen Aussage die Kontrolle abgibt. Es
ist durchaus nicht so, dass jeder mit Suizidgedanken in die Klinik eingewiesen
wird. Wenn die Betroffenen sich ausreichend davon distanzieren können, kann man
das sogar ambulant regeln. Nur das wissen die meisten nicht. Die sehen sich
dann immer irgendwo auf der geschützten Station. Und letzten Endes liegt es
tatsächlich ein wenig an der „Risikofreudigkeit“ oder vielleicht besser gesagt
– Erfahrung – was ambulant noch vertretbar ist. Einige stecken die Grenze da
vielleicht tiefer als andere und gerade wenn man in einer Notfallsituation den
Arzt nicht kennt, weiß man ja nicht, wie der das sieht. Was bei dem Einen noch
ambulant durchgeht, kann beim Nächsten zur stationären Aufnahme führen.
Und
diesen Faktoren kann ich mich auch nicht erwehren.
So
sehr ich die Klinik in der Situation auch gebraucht haben mag – aber jetzt ist
das „normale“ Leben wieder angesagt und eine nochmalige abrupte Unterbrechung
möchte ich nicht.
Der
Stationsarzt hat nach Suizidgedanken zehn Wochen lang nicht gefragt. Natürlich
hätte ich das dann ansprechen müssen- auch nicht nur so durch die Blume in
sprachlichen Bildern versteckt - da liegt die Verantwortung auch ganz klar bei
mir, vor allen Dingen auch, weil ich durch das Studium das ganze Procedere
kenne und schon von außen miterlebt habe – aber ich wollte eben so wenig Wirbel
wie möglich um meine Person machen. Unser Stationsarzt hat auch immer betont,
dass er sich durchaus Sorgen um seine Patienten macht und ich wollte ihm ja
auch keine schlaflosen Nächte bereiten. Auch ein Arzt ist ein Mensch und kein
Ort, um seinen seelischen Müll abzugeben.
Und
dann – in der elften Woche lag das Thema wirklich auf dem Tisch. Und im Prinzip
- so hatte ich das Gefühl - wusste keiner, wie er damit umgehen sollte. Ich war
ja schon beinahe entlassen, als das zur Sprache kam.
Abgesehen
davon hatten wir in der Woche danach auch einen neuen Stationsarzt bekommen und
ohne mein Gegenüber zumindest ein wenig zu kennen, werde ich da nicht in die
Tiefe gehen. Unser Stationspsychologe war im Urlaub, der Oberdoc auch – es war
also niemand da, mit dem ich das Thema hätte auseinander nehmen können.
Im
Prinzip hätte es die Möglichkeit gegeben, dass ich bleibe, wenn ich die Uni sein
lasse. Das war aber für mich nicht so richtig eine Option und darüber hinaus
hatte ich auch das Gefühl, dass sie mich zwar einerseits noch die eine Woche
festhalten mussten wegen genau dieses Themas, aber dass sie mich und damit
diese verzwickte Situation auch ganz gern los haben würden.Außerdem war ich
schon fast 12 Wochen da - sehr viel länger hätte man das ohnehin nicht mehr
strecken könne, selbst wenn man gewollt hätte.
Ich
glaube wäre das schon relativ zu Beginn ein Thema gewesen, hätte ich damit
ehrlicher umgehen können und offener darüber reden können. Ich bin ja ohnehin
nicht in die Uni gegangen und wenn das auf der offenen Station nicht mehr
tragbar gewesen wäre, wäre ich durchaus auch auf die geschützte Station
gegangen.
Am
Ende der Klinikzeit gab es Tage, an denen ich dachte, dass ich das die nächsten
drei Tage nicht überleben werde und - zumindest meiner Wahrnehmung nach - war
die Angst wirklich real und nicht nur in den Raum gestellt, um den Aufenthalt
zu strecken. Hätte es am Tag meiner Entlassung das Gespräch in der Ambulanz
nicht gegeben, weiß ich nicht, was passiert wäre.
Und
im Prinzip ist mir vom Verstand her auch jedes Mal, wenn ich wieder klar denken
kann klar, dass ich nicht sterben, sondern einfach nur raus aus der Situation möchte.
Ab
und an war mir das so generell egal ob ich weiter lebe oder nicht, aber dann
gab es auch wieder Zeiten, in denen das auch für mich selbst ganz furchtbar
war, dass ich mir selbst nicht über den Weg traue, weil ich vom Verstand her
wusste – und auch immer noch weiß – dass es zu früh ist.
Und
hätte ich das so konkret ansprechen können, dass es Situationen gibt, in denen
ich mich davon nicht mehr distanzieren kann, hätte man vielleicht auch lernen
können damit umzugehen, dass man gar nicht erst so weit da hinein rutscht. Aber
dazu hätten sie ja wissen müssen, dass es so ist.
Ich
weiß in der Ambulanz immer nicht genau, wie ich jetzt mit der Frage umgehen
soll.
Meistens
gebe ich zu, dass das Thema für mich im Hintergrund schon eine Rolle spielt, es
aber mittlerweile deutlich weniger geworden ist.
Dann
kommt immer noch die obligatorische Frage hinterher: „Können Sie mir
versprechen, Sich bis zum nächsten Termin nichts anzutun?“, die ich immer artig
mit einem „Ja“ beantworte.
Das
war beim letzten Arztgespräch in der Klinik im Prinzip schon eine kleine
Unehrlichkeit und das ist es eigentlich immer noch. Ich habe keinen konkreten
Plan, aber wenn ich denen das garantiere, muss ich eigentlich sicher sein, dass
ich meine regelmäßigen Abstürze soweit unter Kontrolle habe, dass ich mich,
auch wenn das vernünftige Denken ausgeschalten ist, nicht zu diesem Schritt
entschließen werde.
Und
wie soll ich das denn garantieren? Ich bin in diesen Momenten ja gar nicht mehr
ich selbst. (Das wäre übrigens auch mal ein interessantes Thema: Wer
entscheidet eigentlich in solchen Momenten? Die Depression, oder ich selbst?
Bin ich als Individuum überhaupt noch in der Lage zu entscheiden, oder ist das
Denken so eingeschränkt, dass ein rationales Abwägen überhaupt nicht mehr
möglich ist)
Ich
beschäftige mich mit dem Thema im Moment fast täglich, schaue mir
Dokumentationen an oder lese Berichte und irgendwie hört es nicht mehr auf mit
einer gewissen Präsenz in meinem Kopf zu kreisen.
Früher
dachte ich: Wenn es gar nicht mehr geht, gibt es noch die Klinik. Heute weiß
ich, dass die mir jetzt auch nicht mehr weiter helfen können und von daher hat
sich die Möglichkeit am Ende des Weges verändert.
Ich
befürchte allerdings, wenn ich anfange an dieser obligatorischen Frage zu
argumentieren, bringe ich damit beide Seiten ziemlich in die Bredouille.
Ärztlicherseits ist es unverantwortlich das so stehen zu lassen. Es gibt also
nur die Möglichkeit einer engeren Anbindung an die Ambulanz – was bei deren
Kapazitätsauslastung kaum möglich ist – oder eben wirklich die Klinik. Damit
ist dann die Ambulanzärztin aus der Verantwortung raus und von daher ist dieser
Schritt schon verlockend. Letzten Endes sind Psychiater eben – wie bereits
gesagt - auch Menschen und keiner von denen will sich vorwerfen müssen, dass
ein Patient sich unter seiner Behandlung das Leben genommen hat. Am Ende kann
das natürlich kein Psychiater verhindern, aber Schuldgefühle kommen da
wahrscheinlich trotzdem auf.
Mir
ist klar, dass das nicht förderlich für die Arzt – Patienten – Beziehung ist.
Das sollte so nicht sein, man sollte da ein anderes Vertrauensverhältnis
schaffen können - was natürlich auch irgendwie schwierig ist, wenn man bei
jedem Termin vor jemand anderen sitzt. Ich habe keinen festen Arzt mehr,
seitdem der Oberdoc weg ist.
Unser
Stationsarzt meinte beispielsweise mal zu mir: Egal, was ich ihm jetzt erzähle,
er steckt mich nicht auf die Nachbarstation. Und natürlich nimmt das den Druck
raus und verleitet zu mehr Ehrlichkeit.
Und
genau die könnte mich halt jetzt in immense Schwierigkeiten bringen.
Ich
lasse das jetzt einfach mal so stehen. Für mich gibt es bisher keine Lösung für
dieses Thema.
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