Ein holpriger Wochenstart...
Kurz nach halb 6 in der Früh. Der Wecker klingelt und gibt das Zeichen, sich endlich unter der Bettdecke hervor zu schälen. Und Mondkind hat
das Bedürfnis, ihn einmal quer durch den Raum gegen die Wand zu schleudern. Aber
das wäre eine schlechte Idee – dann würde sie morgen wirklich liegen bleiben.
Das Wochenende hängt ihr ein wenig in den Knochen. Sonntagabend noch
den ganzen Haushalt vor dem Schlafengehen am Hals zu haben, macht sich eben doch
bemerkbar.
Das Blutabnehmen klappt ganz gut heute Morgen.
Da Mondkind am Freitag so
gut wie keine Patienten mehr aufgenommen hat, muss sie in der Frühbesprechung
auch nicht viel erzählen, sondern lediglich die Diagnosen der Neuaufnahmen
mitschreiben.
Heute teilt ihr ihre Ärztin gleich zwei Zimmer zu, die sie visitieren
soll. „Du kannst ja schonmal Kurvenvisite machen“, erklärt sie Mondkind, bevor
sie irgendetwas anderes tun geht.
Mondkind sitzt vor den Kurven. Was genau soll sie jetzt eigentlich
machen? Das Labor der Patienten ist noch nicht fertig. Es auszudrucken, bevor
alle Werte da sind, hat keinen Sinn. Und sie übernimmt die Patienten ja quasi.
Das ist sowieso immer recht undankbar.
Von ihrem ersten Patienten fehlt das Befundblatt mit den
Untersuchungsergebnissen im PC. Sie liest nach, mit was er gekommen ist. „V.a.
Pneumonie“ steht im Aufnahmebogen. Nur komisch, dass der Urin – Status positiv
auf Leukozyten ist. Was war denn bei der Frühbesprechung gesagt worden? Da
wusste Mondkind ja noch nicht, welche Patienten sie betreuen sollte. Das hätte
man ihr ja vorher sagen können, dann hätte sie „ihre“ Patienten mitgeschrieben.Vielleicht hat er Läuse und Flöhe... - oder gar keine Pneumonie... - gibt es ein Röntgen irgendwo... ?
Ihr zweiter Patient ist mit einem Harnwegsinfekt da. „Unacid“ liest
Mondkind in der Medikation. Sie hat ja mittlerweile schon gelernt, dass das den
Wirkstoffen Ampicillin / Sulbactam entspricht. Aber was die Kollegin sich dabei
gedacht hat, es ihm zu geben? Es entspricht nicht der ersten oder zweiten Wahl
der Therapie laut Leitlinien. Und gleich soll Mondkind in der Visite erklären,
was man sich wohl dabei gedacht hat…
Dritte Patientin… Urosepsis. Da war in der Frühbesprechung irgendetwas
gesagt worden, was für Keime sie im Blut hat. Aber da Mondkind nicht wusste,
dass sie die Patientin übernehmen würde, hat sie auch das nicht mitgeschrieben.
Man kann auch nicht alles mitschreiben….- aber was für eine Antibiose soll sie ihr jetzt geben... ?
Visite.
Mondkind stellt sich in ihrer Funktion vor, erklärt, dass sie heute
die Visite macht und die Kollegin aufpasst, dass sie alles richtig macht. Sie
beginnt den Patienten zu befragen. Aber eben nicht im Stil der Kollegin. Was
dazu führt, dass sie das Gespräch übernimmt.
Nächste Patientin. Mondkind beginnt wieder damit sich vorzustellen.
Sie ist noch gar nicht fertig, als die Patientin die Kollegin anschaut und
sagt: „Ich hatte seit Freitag keinen Stuhlgang mehr…“. Die Kollegin lässt
Mondkind gar nicht mehr zu Wort kommen, sondern übernimmt auch den Patienten.
Und irgendwie kommt Mondkind sich immer blöder vor, was dazu führt,
dass sie irgendwann gar nichts mehr sagt und das wahrscheinlich völlig
inkompetent wirkt.
„Mondkind, Du musst die Patienten schon ein bisschen lenken“, belehrt
sie die Kollegin am Ende der Visite. Und was heißt das jetzt? Dem Patienten bei
jedem Satz außerhalb der Fokussierung seiner Beschwerden über den Mund zu
fahren und zu fragen: „Haben Sie Luftnot… ? Oder Schmerzen… ? Wie klappt es mit
Stuhlgang und Wasserlassen?“
Ein bisschen Mensch darf man doch auch noch sein… so zwischendurch.
Man ist ja mehr als das, was physiologisch gerade funktioniert oder auch nicht.
Mondkind hasst das, etwas vor anderen Leuten machen zu müssen.
Permanente Prüfungssituation, die sie ohnehin schon angeschlagen noch mehr
anspannt. Und außerdem hat sie auch häufig eine andere Art. In der Notaufnahme lief
es doch auch gut. Warum lässt man sie nicht einfach machen und kommentiert
hinterher? Warum muss man dazwischen grätschen und Mondkind völlig aus ihrem
Konzept bringen?
Schwesternzimmer. Mondkind sitzt mit der Patientenakte am Tisch. „Oh,
ich sehe Fieberzacken…“ kommt ein Oberarzt ins Zimmer gelaufen. „Ja, Pneumonie…“,
murmelt Mondkind.
Als nächstes wird sie dann dazu ausgefragt. Alle möglichen
Einteilungen, die Mondkind zum Glück ganz gut drauf hat. Nur bei der Therapie
wird es schwierig. Dass man schwere Pneumonien mit Pseudomonasrisiko mit
Pip/Taz behandelt, weiß sie. Und die ohne Risikofaktoren, was kann man da noch
nehmen… ? „Drittgenerationscephalosporin oder Fluorchinolone oder Makrolide“,
erklärt Mondkind. „Mit einem Drittgenerationscephalosporin bringen Sie ihren
Patienten im Zweifel um – auch wenn viele Hausärzte das trotzdem verschreiben“,
belehrt der Oberarzt. „Die haben nämlich eine Lücke im Wirkspektrum…“
Schreibbüro. Fertige Briefe abholen. Die Treppen wieder hoch in den
zweiten Stock rasen.
„Mondkind, Du musst Dich beeilen. Der Chef nimmt immer zwei Stufen mit
einmal…“
Mondkind versucht irgendwie mit der Kollegin Schritt zu halten…
Später am Nachmittag. Sie sitzen zu viert im Büro, lesen Briefe,
unterschreiben.
„Ja die Mondkind ist irgendwie ein bisschen müde…“
Danke auch. Wenn die mal wüssten, was „ein bisschen müde“ bei Mondkind
bedeutet.
Auf dem Heimweg vergisst Mondkind ihr Arzneimittel – pocket Buch
irgendwo. Das fällt ihr aber erst zu Hause auf. Und sie hofft, dass es auf
ihrem Schreibtisch und nicht im Schwesternzimmer liegt, dann hat es bis morgen
wohl Beine bekommen.
![]() |
Blog schreiben im Park... |
Zu Hause fällt ihr Blick erstmal in die Mails. Sie hat sich – auf Empfehlung
der Therapeutin – ein Buch bestellt, das ein wenig Selbsthilfe sein soll.
Bisher haben Online – Bestellungen bei Mondkind immer gut funktioniert, aber
ausgerechnet diesmal haben sie geschrieben es sei noch verfügbar, obwohl es das
nicht mehr war. Aber sie drucken nach. Und schreiben wohl mit Absicht nicht,
wie lange das jetzt dauern soll.
Und die Personalverwaltung will eine Kopie ihres Sozialversicherungsausweises.
Den sie nicht hat. Sie soll ihn bei der Krankenkasse beantragen…. Auch das noch…
Alles was im Moment noch oben drauf kommt, ist leider gerade zu viel.
Langsam wächst es Mondkind alles ein wenig über den Kopf. In Gedanken
zählt sie die Tage rückwärts bis zu dem Termin in der Ambulanz. Aber was soll
sie da überhaupt erzählen? Wer acht Wochen lang alleine zurecht gekommen ist,
der ist doch wohl gesund, oder? Der kann sich doch nicht immer noch selbst so
wackelig fühlen, da können doch nicht immer noch jeden Tag Suizidgedanken sein…
? Und vor allem, jetzt wo sie hier ist? Das kann sie doch überhaupt nicht so
sagen?
Manchmal hat Mondkind im Moment wieder das Bedürfnis, dass Innen und
Außen doch wieder besser zusammen passen. Dass sie ein wenig so zerbrechlich
aussieht, wie sie sich fühlt. Aber das geht wohl eher nicht, wenn sie – seitdem
sie auf der Station ist – jeden Tag mit den anderen zum Mittagessen gehen muss.
Und eigentlich macht es auch nicht so viel Sinn, auch noch den Körper kaputt zu
machen und zur Verringerung der Müdigkeit trägt es sicher auch nicht bei. Und
dennoch fühlt Mondkind sich im Moment unerträglich in ihrer Haut.
Es sind noch drei Arbeitstage, bis Mondkind sich auf die Socken in die
Studienstadt macht. Und entspannend wird das Wochenende auch nicht. Gestern
Abend hat ihr ihre Freundin noch gesagt, dass sie wohl Samstag doch nicht bei
ihr übernachten kann. Also weiß sie nicht mal so genau, wo sie Samstagnacht
schläft.
Aber zumindest geht dann ab Freitag irgendwie eine neue Zeitrechnung
los. Und deshalb interessiert Mondkind das noch gar nicht so sehr, was ab Freitag
16 Uhr ist.
Sorry Frau Therapeutin, aber das ist immer noch so… das darf sie nur
nicht wissen…
„Du sollst nicht das beste PJ aller Zeiten machen. Du sollst es
erstmal überhaupt schaffen…“ Worte, die in Mondkinds Kopf kreisen.
Sie würde so gerne jetzt oben auf dem Berg in diesem Büro sitzen.
Nicht mal etwas sagen. Einfach nur sitzen. Und fühlen, dass da wer ist. Und
bevor sie geht, Hände auf ihrem Rücken fühlen. Ein fremdes Herz schlagen
fühlen. Die Nase für einen Augenblick im Ärmel der roten Bereichskleidung
vergraben.
"Ich bin doch nicht blöd", kommentierte ein Freund Mondkinds whatsApp,
in dem sie ihm versuchte zu erklären, dass sie gerade einfach nicht
kann. Na wenn er meint... Auch nicht das, was Mondkind gerade braucht...
Hoffen wir mal, dass es morgen besser wird.
Und dass ich mein Buch wieder finde… Und ich in der Oberarztvisite
morgen nicht völlig abschmiere…
Mondkind
Kommentare
Kommentar veröffentlichen