Wochenverlauf, Sommerfest und Reise


„Ach Mondkind, machst Du heute mal früh Feierabend?“.
Eine der Schwestern aus der Notaufnahme passt Mondkind auf dem Weg zu ihrem Fahrrad ab.
„Ja, ich fahre heute noch in die Studienstadt…“, erwidert Mondkind.
„Heute ist dann also der Tag der Tage, gell? Wann kommst Du an…?“
„Morgen früh um vier…“
„Dann hast Du aber Montag auch noch frei, oder?“
„Nein, ich komme Sonntagabend zurück…“
„Mondkind, bist Du wahnsinnig? Wie willst Du denn das alles machen…? Und dann noch mit all dem, was Du da zu tun hast…“
„Ich bin auch gespannt, wie ich hier Montagmorgen durch die Gegend schleiche…“

Je länger Mondkind darüber nachdenkt, was sie hier eigentlich macht, desto unüberlegter scheint ihr es. Besonders, weil die Oberärzte aufgrund von Personalmangel immer ziemlich wahnwitzige Ideen haben. Heute sollte Mondkind mal so eben nebenbei eine Sedierung machen. Bloß gut hatte sie schon eine Famulatur in der Anästhesie und wusste zumindest wie ein Anästhesieprotokoll auszufüllen ist und wie man die Dosierung vom Propofol angibt und umrechnet.
Aber so etwas kann immer passieren. Und unausgeschlafen ist es noch blöder…

Und wenn man bedenkt, dass der Termin bei der Doktorarbeit gar nicht so wichtig ist, sondern es – was von den Kollegen keiner weiß – hauptsächlich um eine Therapiestunde geht… Den Rest hätte man am Telefon klären können und die Präparate die Mondkind morgen im Labor abholt, hätte man auch schicken können.
Die Therapeutin erklärte Mondkind allerdings vor geraumer Zeit, dass sie mal einen Studenten aus England hatte, der auch regelmäßig angeflogen kam. Also entweder ist die Therapeutin echt gut oder wir als Patienten ziemlich bescheuert…

Es geht aber auch nicht mehr. Diese Woche war dieser Termin so eine feste Marke in meinem Kopf. Da ist wieder den ganzen Tag diese Schwere auf mir, die kaum auszuhalten ist. Hin und wieder standen mir die Tränen in meinem Büro in den Augen, weil ich nicht weiß, wie ich das aushalten soll. Und doch weiß, dass ich keine Chance habe. Auch wenn ich hier genauso kämpfen muss, wie in der Studienstadt, habe ich doch noch die Hoffnung, dass das hier der Wendepunkt wird.
Dann sollten allerdings Kommentare wie „Die Mondkind schläft heute auf der Visite“ oder „Die Mondkind weiß heute irgendwie auch nicht, was sie machen soll…“ die Ausnahme bleiben.

Allerdings komme ich mit der Stationsarbeit eben wirklich nur schwer zurecht.
Vielleicht liegt das auch daran, dass ich immer noch nicht wirklich durchschaut habe, was man da von mir will.
Visite vorbereiten. Wie geht das überhaupt? Erst soll ich die Kurvenvisite machen. Also nachsehen, ob der Patient Fieber hatte und wie hoch sein Puls am Morgen war. Alle Medikamente durchschauen und jeden Tag aufs Neue entscheiden, ob das so passt. Und nachsehen, welche Untersuchungen am Vortag gelaufen sind und welche Ergebnisse dabei heraus kamen.
Aber den Patienten selbst sehe ich erst, wenn ich dann mit meinem zuständigen Arzt das Zimmer betrete. Und dann kann eine am Vortag noch völlig apathische Patientin auf der Bettkante sitzen und mich anlächeln oder ein Patient, der am Vortag noch sehr gut aussah plötzlich mit auffälliger Hautmarmorierung, die auf eine Zentralisation und damit auf eine zunehmende Kreislaufdekompensation hinweist, vor mir sitzen.
Und dann… ? Wird hektisch gefragt, wann der letzte Herzkatheter war, wann das letzte CT war, ob es Allergien auf dieses oder jenes Medikament gibt. Und wenn ich das nicht weiß, sieht es schlecht aus für mich. Ich lerne aber weder jede Akte vor der Visite auswendig, noch kann ich alles abschreiben.

Was mich auch stört ist, dass man nichts mehr selbst macht. Man hört mal noch eine Lunge ab, tastet einen Bauch ab oder kontrolliert die Ödeme in den Beinen. Aber sobald es um einen Ultraschall geht, schickt man die Patienten in den Funktionsbereich.

Bisher mache ich mich da jeden Tag zum Affen und lerne gar nichts.
Und wenn die Patienten einmal aus der akuten Situation raus sind, dann kommen sie auch mit Sonderwünschen um die Ecke, dass man manchmal das Gefühl hat, man sei in einem Fünf – Sterne – Hotel beschäftigt.

Gestern Abend war noch das Sommerfest im Park in unserer Stadt und es waren wirklich unglaublich viele Leute da. Ich habe mich schon gefragt, ob ich überhaupt hingehen soll, weil ich das nicht so mag, aber ich bin doch gegangen. Letzten Endes was es auch ganz nett.
Man kam mal dazu mit den Kollegen etwas länger zu sprechen und immer mal liefen mir die Neuros über den Weg. Einer der Oberärzte, den ich schon in der ersten Woche getroffen habe, hat mich gefragt, wie es mittlerweile so läuft und eine andere, mit der ich eigentlich nie viel zu tun hatte, obwohl sie sehr nett ist, hat mich auch erkannt. Der habe ich dann auch gleich erklärt, dass ich ab September komme. 

Koffer packen...

So… - ich muss los.
Ich hoffe, dass die Züge pünktlich sind, dass der Bus pünktlich abfährt und ich ein bisschen schlafen kann heute Nacht. Und dann hoffe ich, dass die Therapiestunde morgen gut wird und ich ein bisschen aufräumen kann in meinem Kopf. Und dass es danach am Montag vielleicht weniger schwer weiter geht.


Mondkind

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