Gedanken im Dazwischen
So wake me up, when it’s all over,
when I’m wiser and I’m older,
All this time I was finding myself
And I didn’t know I was lost
(Avicii – wake me up)
Mondkind ist auf dem Weg zurück. Zurück nach Hause? Man weiß es nicht.
Das Leben zwischen den Welten ist anstrengend. Zwischen dem Gestern
und dem Morgen. Zwischen den Menschen, die sie halten können und die an ganz
verschiedenen Ecken zu finden sind.
Und ein bisschen weiß sie es nicht, was für ein Weg das ist, den sie
gerade geht. Ob sie dabei ist, sich zu finden, oder im Gegenteil – sich wieder
zu verlieren. Ob sie all die Errungenschaften des letzten Sommers zurück lässt.
Flashback. Tränen. Die zum Glück keiner sieht, weil der Bus noch
relativ leer ist.
Der Busfahrer hat sich entschieden vom Hauptbahnhof den Weg entlang zu
fahren, der in den Stadtteil führt, in dem die Psychiatrie ist, in der Mondkind
war.
Kalter Tag Ende April. Unterwegs mit einer Taxifahrerin. Der Glaube, dass
sie ihr Studium jetzt doch vor die Wand fahren wird. Und gleichzeitig Hoffnung.
Dass vielleicht alles anders wird, aber sie das doch überleben kann.
Und dann fahren sie vorbei. Am Haupteingang des Geländes. Die Mauern,
die Mondkind eine Weile geschützt haben. Und wie ein Film zieht im Zeitraffer
die Zeit an ihr vorbei. Die vielen Fragen, die vielen Zweifel, aber auch zum
ersten Mal seit Jahren das Gefühl, dass es doch gut werden kann. Irgendwann.
Ihr wird plötzlich klar, was ihr am anderen Ende von Deutschland
fehlt. Sicherheit. Wenn alles zusammen bricht, dann ist sie damit alleine. Hier
wusste sie immer, wo sie im Zweifel doch hingehen kann. Und dass sie Klinik die
Versicherung ist, an dem Chaos in ihrem Kopf nicht sterben zu müssen.
Sie hofft, dass der Bus heute einigermaßen pünktlich ist und sie ihren
Zug im Anschluss bekommt. Und den Zug danach auch; die Umsteigzeit ist kurz.
Und dass sie dann heute um 20 Uhr ankommt. In einer Wohnung, die nicht geputzt
ist. Es ist nicht eingekauft und die Wäsche ist auch nicht gemacht. Und das
wird heute nichts und morgen wahrscheinlich auch nicht. Es wird ein paar Tage
dauern, bis wieder Ordnung eingekehrt ist.
Und neben dem, das sie alles erledigen muss, das am Wochenende hätte
getan werden sollen, muss sie morgen auch noch arbeiten gehen. „Kann es sein,
dass Sie vielleicht einfach eine Pause brauchen?“, hatte Frau Therapeutin
gefragt. Ja kann sein, dachte Mondkind so bei sich. Aber das funktioniert
leider gerade nicht.
Das Wochenende war doch auch anstrengend. Es gab auch gute Momente,
aber zwei psychisch Kranke auf einem Haufen, ist vielleicht nicht immer eine
gute Idee. Gestern war Mondkind kurz davor einen Krankenwagen zu rufen, weil
ihre Freundin völlig neben der Kappe war. Sie hatten nie darüber gesprochen,
was in einer solchen Situation zu tun ist und Mondkind hat einfach gehofft,
dass sie das schon öfter hatte und das kennt. Und dass sie nicht gerade
erstickt und Mondkind zuschaut.
Aber Mondkind war sich auch sehr sicher, dass ihre Freundin sich nicht
in der Psychiatrie wieder finden wollte.
Nächste Woche muss sich Mondkind um die nächste Fahrt in die
Studienstadt kümmern – die soll in vier Wochen sein. So einfach wird das
diesmal nicht. Mondkind hat nämlich noch keine Ahnung, wo sie schlafen soll. Sie
könnte zu ihrem Vater fahren – aber dann gibt es wieder Probleme mit ihrer
Schwester, die auch gern möchte, aber dort nicht gern gesehen wird. Sie könnte
dann auch Freitagfrüh nirgendwo ein paar Stunden schlafen, ehe es weiter geht
und müsste Freitagabend nochmal 1,5 Stunden Zug zu ihrem Vater fahren.
Man muss sich ja immer ein wenig steigern, gell? Sonst wäre es ja zu
einfach… - nein, eigentlich ist es gar nicht lustig.
Wahrscheinlich wird Mondkind sich sehr zusammen reißen müssen, ihrer
Therapeutin im Lauf der Woche im Zug der Terminvereinbarung nicht zu schreiben, dass sie einfach nicht mehr
kann. Dass sie nicht mehr weiß, wie sie die nächsten Wochen überleben soll, bis
sie wieder kommt. Und es am Ende doch irgendwie gehen wird, einfach weil es das
muss. Aber Mondkind war lange nicht mehr so klar wie im Moment, dass es
spätestens in ein paar Jahren doch so enden wird, wie sich das keiner für
Mondkind und sie sich für sich selbst auch nicht gewünscht hätte.
Irgendwann ist die Kraft einfach am Ende. Mondkind hat versucht, selbst das Unmögliche möglich zu machen. Aber eventuell reicht das nicht.
Gestern Abend haben Mondkind und ihre Freundin aber noch etwas
geschafft, das Mondkind in diesem Sommer unbedingt sehen wollte. Den Fluss.
Abends auf den Treppen sitzen, der Sonne beim Untergehen zuschauen und die
Stadt auf sich wirken zu lassen.
Das hat sie letztes Jahr das erste Mal gemacht. Und festgestellt, dass
sie sechs Jahre in einer Stadt studiert hat, die sie eigentlich sehr schön
findet. Aber das nie gemerkt hat, weil sie nie dort war. Am Fluss.
Abends am Fluss sitzen... - ich habe es wirklich vermisst... |
Es waren doch noch ein paar gute Augenblicke an diesem stressigen
Wochenende. Sie waren noch auf der Kirmes und Mondkind ist mit der Freundin
zusammen zum ersten Mal seit Jahren Autoscooter gefahren. Und eine Runde auf
dem Riesenrad.
Und irgendwann gegen Mitternacht saßen ihre Freundin und Mondkind am
Wasser in kurzer Hose und T – shirt und haben über den Sinn und Unsinn von
Therapie philosophiert.
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Kirmes von oben ;) |
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Aussicht über die Hausdächer der Stadt... |
Und jetzt sitzt sie in einem Bus, der bis fast auf den letzten Platz
besetzt ist. Ihr Kopf schmerzt ein wenig und wahrscheinlich hat sie zu wenig
getrunken im Lauf des Reisetages.
Und sie freut sich auf ihr Bett heute Abend.
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Auf der Durchreise... Frankfurt Hauptbahnhof. Für Mondkind auch ein Ort mit vielen Erinnerungen. Auf ihrer ersten Reise alleine zum Piloteninfotag ist sie hier aus dem Zug gepurzelt |
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