Notaufnahme #7

Der Tag auf der Station beginnt heute mit Stress.
Unsere Arzthelferin hat Urlaub – also mache ich jetzt alle Blutabnahmen auf der Station. Auf einer internistischen Station, Durchschnittsalter 88+. Multimorbide Menschen, die vor allem eins nicht haben – Venen.
Als ich damit fertig bin, muss noch schnell die Oberarztvisite vorbereitet werden und dann geht es los. Vor der Oberärztin habe ich schon Respekt. Es waren noch nicht von allen Patienten die Blutwerte da, als wir loslegten. „Weil die Mondkind zu langsam mit den Blutabnahmen war…“

Einen meiner Patienten hatte ich eigentlich heute entlassen wollen. Schon vor der Visite hatte ich schnell die Akte durchgeblättert, die ich brauche um den Brief zu schreiben. Da fiel mir im Aufnahme – EKG ein Linksschenkelblock auf. Das hat aber keiner nachgehalten. Normalerweise ist ein neu aufgetretener Linksschenkelblock bis zum Beweis des Gegenteils ein Herzinfarkt. Allerdings hatte keiner die zugehörigen Laborwerte bei der Aufnahme bestimmt.
Ich überlege, was ich daraus mache. Das kann richtig Ärger geben, aber ich muss es erwähnen, sonst gefährde ich am Ende noch den Patienten. Wir besprechen die Patienten immer vor dem Zimmer, bevor wir rein gehen. „Eigentlich wollte ich den ja heute entlassen“, sage ich, „aber beim Durchschauen der Akte ist mir aufgefallen, dass der im Aufnahme – EKG einen Linksschenkelblock hat. Vielleicht sollten wir doch noch ein Echo machen…“
Gefasst auf die Standpauke. „Mondkind der ist weit über 90 und es geht ihm gut. Mach ein Kontroll – EKG und dann lass ihn gehen…“
Puh… aber demnächst werde ich alle Aufnahme – EKGs anschauen und mich nicht nur auf das verlassen, was die Kollegen in der Notaufnahme gemacht haben.

Am Nachmittag werde ich aus der Notaufnahme angerufen. „Mondkind, Du musst helfen…“ Und da es auf der Station gerade sehr ruhig ist, gehe ich ins Erdgeschoss.
Mir wird ein Patient mit linksseitigen Unterbauchschmerzen zugeteilt. Ich erhebe die Anamnese und untersuche ihn. Es ergibt sich schnell der Verdacht auf eine Sigmadivertikulitis. Aber es gehört natürlich auch ein Ultraschall dazu und während ich den mache, erzählt der Patient ein wenig. Unter anderem, dass er am Abend noch chinesisch essen gehen wolle. Ich überhöre den Kommentar erstmal, weil ich nicht weiß, wie ernst er das meint.
Ehrlich gesagt tue ich mich immer schwer damit den Darm zu schallen. Aber wenn man auf seinen Bauch drückt hat er so starke Schmerzen, dass er mir fast von der Liege hüpft. Ich habe schon allmählich Sorge, dass der Herr eine Perforation hat; sehe aber nichts im Sono. Ich erwäge ein CT zu machen, aber das müsste ich ohnehin absprechen. „Ich lasse da noch einen der Oberärzte drauf schauen“, kündige ich an und organisiere den Hintergrund.
Der ist mit meiner Diagnostik zufrieden. Im Moment gibt es im Sono keinen Anhalt für eine Perforation, also schicke ich ihn mit einer Antibiose und Schmerzmittel bei Bedarf auf die Station. „Metronidazol und ein Cephalosporin, richtig?“, frage ich zur Sicherheit nochmal nach. „Genau“.
Als wir alle Papiere fertig haben, möchte der Patient mich noch etwas fragen. „Also morgen können Sie ja mit mir machen was sie wollen, aber das mit dem chinesisch essen meinte ich vorhin ernst…“
Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, so perplex bin ich. „Wäre es mein Bauch, würde ich es nicht tun“, gebe ich zurück. „Warum denn nicht?“, fragt er. „Naja, Sie haben eine Entzündung der Darmwand. Und das ist auch keine triviale Sache. Wenn die Darmwand nachgibt und platzt, dann bedeutet das für Sie eine Not – OP. Ich würde den Bauch so wenig es geht belasten.“
Wir diskutieren noch eine Weile, bis er schließlich einsieht, dass er vielleicht wirklich heute nicht chinesisch essen sollte.
Aber manchmal frage ich mich – und das soll jetzt wirklich nicht anmaßend sein – ob man so etwas ohne ein Medizinstudium einfach nicht weiß.



Als kleines Update vom gestrigen Tag: Ich habe mir nach dem Anruf meiner Schwester wirklich die Nacht um die Ohren geschlagen. Man ist einfach so machtlos, das ist das Schlimmste. Es gibt da auch wenige Möglichkeiten der Handhabe. Meine Mama weiß genau, was sie tut. Und so unzurechnungsfähig wie sie auch manchmal erscheint – aber sollte man das prüfen wollen, wird man damit immer scheitern. Denn sie kann, wenn sie will.
Das war schon früher immer das Problem. Es sah alles so perfekt aus, aber das ist es leider nie gewesen. Es war nicht mal okay. Und das oberste Gebot: Immer den Mund halten. Und wenn die Fassade doch mal bröckelte, weil es zu anstrengend war, die immer aufrecht zu erhalten und die Lehrer bei uns zu Hause angerufen und sich erkundigt haben, war immer der Teufel los. Meine Schwester und ich haben die Leute damals angefleht es einfach zu lassen. Jeder Versuch zu helfen, konnte es nur noch schlimmer machen.

Man mag sich jetzt denken: Ach die Mondkind schon wieder.
Ich habe heute früh Frau Therapeutin geschrieben und sie gefragt, ob wir nicht telefonieren könnten. Es ist im Moment ohnehin schwer. Ich habe viel mit mir selbst zu tun. Ich muss im Krankenhaus meinen Weg finden, mit all den Tragödien dort umzugehen. Mit den Menschen, die viel zu früh viel zu krank sind. Und wie ich schon geschrieben habe – mit meiner eigenen Einstellung zum Leben ist das schwer in Einklang zu bringen.
Ich habe auch mit meinem Papa gestern Abend noch telefoniert. Sein Kommentar: „Deine Aufgabe ist es, Deine Schwester so stark zu machen, dass sie zu Hause auch die Flocke macht…“ Eine große Aufgabe. Jemand anderen mittragen, wenn ich mich selbst schon kaum tragen kann. „Wie soll das gehen?“, fragt es im Innen. Aber er hat Recht.
Vielleicht wäre die Familiensache alleine tragbar, aber sie ist nun mal nicht das einzige Thema gerade. Ich spüre einfach, wie die Fassade dünner wird. Wie ich mehr und mehr Angst im Krankenhaus bekommen, wie Kommentare die nicht mal mir gelten, mich verletzen. Die Antennen stehen den ganzen Tag wieder auf Hochleistungsempfang und das geht meist nur begrenzt gut.
Als Antwort kam, dass man Dinge weder per Mail noch per Telefon klären könne. Und das verstehe ich einfach nicht. Also bei der Mail – das stimmt schon; da ist der Raum für Missverständnisse groß. Aber ob ich nun am Telefon rede, oder ihr gegenüber sitze… Klar ist letzteres besser, aber nun mal gerade nicht machbar.
Ich darf sie dennoch morgen am frühen Nachmittag mal anrufen… ich muss mal sehen, ob ich ein wenig freie Zeit in der Mittagspause generieren kann. 

Mondkind

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