Update Neuro

Neuro. Ich komme einfach nicht an dort. „Mondkind, das ist jetzt Dein Patient…“ Ja Danke – und erklärt mir irgendwann auch nochmal jemand, was der standardisierte Ablauf auf der Stroke Unit ist? Wo Untersuchungen anzumelden sind, welche überhaupt bei den verschiedenen Arten und der Schwere eines Schlaganfalls gemacht werden? Welche Angaben das Medizincontrolling braucht und wo die Unterlagen der Qualitätssicherung untergebracht sind?
Jetzt habe ich also formal einen Patienten - praktisch aber keine Ahnung, was zu tun ist... 
Genervt scheint hingegen fast jeder zu sein – wahrscheinlich eher vom Job, als von mir. Trotzdem schickt man mich nur hin und her. Und ich bin den halben Tag gedanklich damit beschäftigt zu überlegen, wo ich hingehen kann, um dort zwar präsent, aber so unauffällig wie möglich zu sein. Und auf die Uhr – auf die schaue ich auch eine Menge.
Ich glaube, wenn man sich irgendwann lange genug aufs Abstellgleis gestellt gefühlt hat, wird es auch schwer, da mit einer positiven Einstellung dran zu gehen. Ich denke mir, dass ich doch langsam schon ein paar Dinge können müsste und je mehr Zeit vergeht, in der ich nichts dazu lerne, desto leiser werde ich. Weil gewisse Fragen irgendwann tatsächlich keine Berechtigung mehr haben.
Und eigentlich weiß ich so gar nicht, was die da von mir wollen und erwarten.

Die Neuro war anders geplant. Ich habe geglaubt, dass ich mich dort so wohl fühle und so schnell eingebunden werde, wie auf der Inneren. Diese drei Monate hier – in meinem Kopf waren sie fest verankert, als eine Zeit, in der ich mit diesem Job und mir selbst mal glücklich werde. Und als eine Zeit, in der ich keine Anker mehr brauche. Weil die Tage mal zur Abwechslung keine permanente Durststrecke mehr sind.
„Auf der Neuro läuft das ganz anders als bei uns Mondkind“, habe ich oft in der Kreisklinik gehört. Kann ich nur bestätigen, auch wenn ich das anders in Erinnerung habe.



Langsam fühle ich mich, als würde eine Krake mich umklammern. Ich habe kaum noch Möglichkeiten da raus zu kommen. Vielleicht auch, weil dieser Willen langsam wirklich verloren geht. In der Inneren habe ich gedacht, ich muss bis zur Neuro auf jeden Fall durchhalten. Und dadurch habe ich es irgendwie geschafft, den Druck in der Notaufnahme auszuhalten, die Palliativstation mitzubetreuen und zwischendurch immer wieder in die Studienstadt zu fahren, um mit der Therapeutin meinen Kopf aufräumen zu können.

Im Moment bin ich dabei, mit der Therapeutin Termine zu machen. Ich habe sie nochmal gefragt, ob das unbedingt sein muss, dass ich jedes Mal komme. 40 schlaflose Stunden, eine durchfahrene Nacht und viele Fast – Nervenzusammenbrüche – der Erste im Allgemeinen schon auf dem heimischen Bahnhof – sind einfach ein verdammt hoher Preis. Und da ich aktuell ohnehin angeschlagen bin und wenig schlafe, weiß ich nicht, ob ich das durchhalte und dann in der Neuro überhaupt noch zu gebrauchen bin. Und wenn jemand auf die Idee kommt, mir „Hausaufgaben“ mitzugeben – dazu komme ich natürlich auch nicht.
Jedenfalls – die Frage hat die Therapeutin mal geflissentlich überlesen.
Genauso wie der Psychiatrie – Oberarzt meine Mail, in der ich ihn gefragt habe, ob man einen stationären Aufenthalt kriseninterventionsmäßig zunächst auf 14 Tage begrenzen kann, seit Mittwochabend hat. Ich vermute, darauf werde ich auch keine Antwort mehr bekommen. Aber hier – wo die Situation mich quasi permanent erschlägt, habe ich absolut keine Chance einen klaren Kopf zu bekommen. Allerdings finde ich persönlich nach wie vor, dass ein Klinikaufenthalt nicht nur dann Berechtigung hat, wenn man alles komplett aufgibt. Ich fürchte allerdings, das sehen die Fachleute anders.

Im Moment frage ich mich immer wieder, wo der Weg mal aufhört so trist und unendlich zu sein, wie er das aktuell ist. Dadurch, dass die Neuro passiert ist, wandert der Blick in die Ferne. Und dort sehe ich absolut nichts. Und das lässt die Hoffnungslosigkeit sehr stark werden.
Für was soll ich jetzt noch kämpfen? Wo gibt es etwas, für das es sich lohnt? Ich sehe da nichts mehr. Und ich frage mich, ob ich für mich in absehbarer Zeit eine Perspektive entwickeln kann. Denn eine Perspektive würde voraussetzen, dass ich mir Dinge wünschen kann, dass ich merke, wie sich welcher Weg anfühlt. Dass ich weiß, wer ich bin, was ich kann, was meine Interessen sind. Und ich weiß nichts davon.

Mondkind



Bildquelle: Pixabay

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