Ankommen
Montagmorgen. Halb 6. Die Nacht war eine Katastrophe. Wo ich doch
ausgeschlafen in diese Woche starten wollte. Es könnte die Wichtigste des
ganzen PJs werden, denn der Oberarzt der jetzigen Station entscheidet über die
Einstellung. Und nachdem ich jetzt zwei Wochen hatte, um mich zu
aklimatisieren, erwartet man jetzt viel.
Um viertel vor 8 – eine halbe Stunde vor der Morgenbesprechung –
stecke ich meinen Kopf ins Arztzimmer. Es ist noch keiner da. Ich möchte nur
schnell meine Bücher auf den Schreibtisch legen und zum Blutabnehmen eine Etage
höher gehen, als eine junge Kollegin kommt. „Wie viele Patienten hast Du gerade
Mondkind?“ „Keinen mehr. Ich habe gesehen, mein Patient wurde hochverlegt.
Wahrscheinlich brauchte man Betten und es geht ihm ja schon ganz gut. Aber ich
brauche unbedingt Patienten. Ich habe Freitag mit dem Oberarzt geredet und er
möchte, dass ich bis zu vier Patienten betreue…“ „Ist der wahnsinnig?“, fragt
sie. „Das ist echt zu viel für eine PJlerin. Aber nimm Zimmer 1, da sind gerade
nur zwei Patienten drin."
Statt Blut abzunehmen, lese ich mich in die Fälle ein und frage die
Herren, wie es ihnen geht.
Vorbereitung der Oberarztvisite. Einen meiner Patienten haben wir erst vor
wenigen Tagen entlassen. Jetzt kommt er wieder mit „vielen schwarzen Punkten“
im Gesichtsfeld. Das hört sich eigentlich eher nach Netzhautablösung, Glaskörperverflüssigung
oder Glaskörperblutung an. Letzteres wäre plausibel, weil er von uns nach
seinem Schlaganfall eine Blutverdünnung bekommen hat. Gestern war er
konsiliarisch in der Augenklinik, aber die haben keinen Befund mitgeschickt.
Der Patient sagt, dabei sei nichts raus gekommen, aber irgendwie kann ich das
nicht glauben. Also versuche ich mit der Augenklinik zu telefonieren, aber die
sagen mir, dass gestern ein externer Arzt die Konsile gemacht habe. Ich telefoniere
mich durch, hänge in Warteschleifen und rede mit Sekretärinnen. Aber ich
bekomme keinen Befund. Schlecht.
Eine unserer Kolleginnen hat heute super schlechte Laune. Aber das hat
sie oft. Ständig knallen Türen oder irgendwelche Gegenstände auf dem Tisch.
Gesprochen wird immer dann, wenn sie weg ist. Dann traue auch ich es mich, mal
eine Frage in den Raum zu schmeißen. „Es ist nicht wegen Dir Mondkind…“,
versuche ich mir immer zu sagen. Aber es ist anstrengend.
Visite.
Der Oberarzt beschließt, dass die Augenprobleme meines Patienten wohl
eher peripheren Ursprungs sind und er deshalb in der Neurologie falsch ist. Ich
soll ihn heute entlassen, aber ihm nochmal einen Termin beim Augenarzt
besorgen.
Dem zweiten Patienten hatte ich heute bisher kaum Aufmerksamkeit
schenken können. Gerade kommt er von einer Herzuntersuchung. Es ist immer blöd,
wenn man die Befunde nicht vor der Oberarztvisite hat, aber ich schlage mich
ganz gut.
Der Rest der Visite zieht sich dann ewig. 1,5 Stunden sind wir mit 14
Patienten beschäftigt.
Und dann ist es erstmal Zeit Mittagessen zu gehen. Für meinen
Patienten habe ich unterdessen einen Augenarzttermin am frühen Nachmittag
bekommen. „Bis dahin muss der Brief ja fertig sein. Soll ich das nicht
vielleicht erst machen?“ „Nein Mondkind, dann muss der Brief halt warten. Wir
gehen erst essen und Du kommst mit…“
Am Nachmittag schreibe ich den Brief fertig. Eine Kollegin hilft mir
noch mit den Diagnosen und verbessert ein paar Dinge, ehe ich den Oberarzt
anrufe und bitte, den Brief Korrektur zu lesen. Letztens in der Frühbesprechung
hat einer der Oberärzte nochmal für alle erklärt, wie die Briefe auszusehen
haben. Das habe ich gleich mitgeschrieben und seitdem klappt es ganz gut.
Am Nachmittag versuche ich mich etwas über das EEG zu bilden. Nur,
dass es im allgemeinen Trubel im Arztzimmer überhaupt nicht funktioniert. Aber
es muss ja zumindest so aussehen, als hätte ich etwas zu tun.
Als gerade eine Pharmavertreterin den Raum betritt, plötzlich Stille
einkehrt und alle Augen auf ihr liegen, klingelt natürlich ausgerechnet mein
Telefon. „Mein“ Neuro – Oberarzt fragt, ob ich ihn in die Herzklinik zum
Konsile machen begleiten möchte. Das lasse ich mir natürlich nicht zwei Mal
sagen. „In zwei Minuten an der Rezeption Mondkind…“
Unser Spaziergang durch die Sonne dauert ein paar Minuten.
„Na Mondkind, was hast Du denn am Wochenende so gemacht…“ „Naja…“,
gebe ich zögernd zurück, „ehrlich gesagt nicht so viel. Ein bisschen geputzt,
eingekauft – ich musste drei Mal los (Toilettenpapier kaufen ist platzmäßig im
Rucksack ziemlich ineffizient) – Wäsche gemacht, ein bisschen was für die
Doktorarbeit… ich war halt ziemlich müde.“ Dass ich für den Seelsorger noch
Hausaufgaben machen mussten und dabei handschriftlich 14 Seiten raus gekommen
sind, lasse ich mal unter den Tisch fallen. „Das ist doch nicht schlimm
Mondkind“, sagt er als er bemerkt, dass mir das ein wenig unangenehm ist. „Aber
Du bist beide Tage aus dem Bett gekommen, oder?“ „Ja“, gebe ich zurück. „Na das
ist doch schon mal was“, sagt er. Da schraubt aber jemand die Ansprüche
gewaltig herunter. Aber irgendwie finde ich es fast ein bisschen schön, dass
mal nicht volle Leistung gefordert, sondern das erwartete Aktivitätslevel der
aktuellen Situation angepasst wird.
„Ich hoffe Ihr Wochenende war ein bisschen ereignisreicher?“, frage
ich. „Das war fast ein bisschen zu ereignisreich für einen Mann in meinem Alter“,
gibt er zurück und erzählt, was er gemacht hat.
Die Flure der Herzklinik. Lange bin ich sie nicht mehr entlang
gegangen. Und irgendwie sehen sie nicht einladend aus. Aber der Neubau kommt
ja. Und ich stelle fest, dass es vielleicht bei mir – auch unabhängig vom
Oberarzt – wirklich die Neuro wird. Auch hier merke ich, dass ich mit der
Kardiologie wenig anfangen kann. Die meisten Menschen sind uralt, liegen
bewegungsunfähig im Bett und es ist eine gewisse Trostlosigkeit, die in der
Luft hängt. Und ein bisschen – aber da sind wir wieder bei der Ethik – frage ich
mich, ob es das so bringt für die Patienten. Die Angehörigen sind um jeden Tag
mit dem Patienten froh, aber ob die Patienten mit dem Dahinsiechen so glücklich
sind? Wenn ich mir vorstelle jeden Tag hier arbeiten zu müssen… - nein. Und das Gefühl dort nicht arbeiten zu wollen hatte ich bei den meisten Fächern im Lauf des Studiums.
Von der
Neuro bin ich ja aktuell nur genervt, weil ich nicht wirklich einen Weg in das
Team finde. Obwohl es sich allmählich bessert. Allerdings wird das meine letzte
Woche auf der Stroke Unit sein und kaum bin ich dann im Verlauf dieser Woche dort angekommen, bin ich halt schon wieder weg. Das Thema Rotation lasse ich aber heute beim
Oberarzt bewusst weg. Er wird früh genug von selbst auf mich zukommen.
Die Neuro und ich... 👉 💜 |
Auf dem Rückweg reden wir nochmal über das Staatsexamen und den
Zeitraum der mündlichen Prüfung. „Gab es eigentlich auf das schriftliche
Examen auch eine Note?“, fragt er. „Natürlich“, gebe ich zurück. „Und was
hattest Du?“ Ich erkläre ihm, dass es weit besser war, als ich es mir
zwischenzeitlich erhofft hatte. „Na das ist doch eine sehr gute Leistung“, sagt
er. Und ich bin sehr froh, dass ich auch mal sagen kann, dass ich etwas
geschafft habe.
„So Mondkind – ich würde vorschlagen, Du gehst jetzt nach Hause“, sagt
der Oberarzt, als wir zurück sind. „Ja, aber vorher gehe ich nochmal bei meinen
Patienten vorbei“, erwidere ich. Mittlerweile habe ich wieder zwei Patienten
auf meinem Zimmer. „Ich bin ja immer noch etwas länger da", erklärt der Oberarzt, "wenn da mal Befunde
ankommen, mit denen Du nichts anfangen kannst, kannst Du mich gern anrufen und
wir sprechen das durch.“ Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob das Angebot nur für
die Stroke Unit gilt.
Als ich nach Hause laufe stelle ich fest, dass das heute ein guter Tag
war. Ich war nicht so angespannt wie sonst und hatte fast den ganzen Tag etwas
zu tun. Es wäre schön, wenn es so weiter ginge.
Mittwoch wird ein interessanter Tag. Bis 17 Uhr muss ich fertig sein, dann habe ich den Termin beim Seelsorger und danach hat er mir angeboten, mich mit in die Kirche zu nehmen, weil er da ohnehin noch einen Gottesdienst hält. Er meinte, ich kann das ja mal auf mich wirken lassen. Ich bin dem ja nicht so abgeneigt ehrlich gesagt (und halte mich generell für einen ziemlich offenen Menschen für viele Dinge), aber nachdem ich nie am Religionsunterricht teilgenommen habe und absolut Null Ahnung von der Materie habe und wie man sich in einer Kirche überhaupt verhalten sollte (außer möglichst still), weiß ich es noch nicht...
Und falls sich unter meiner Leserschaft ein Neurologe findet, wäre ich
für einen Buchtipp hinsichtlich dem Erlernen der Befundung von EEGs sehr dankbar. Ich
suche so ein bisschen etwas wie „EKG für Isabell“ nur halt für EEG. Gibt es so
etwas?
Mondkind
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