Einen Tag auf der Neuro ;)


Morgens. Mondkind ist schon weit vor ihrem Wecker wach. Im Moment sind die Schlafstörungen wirklich ätzend. Es klappt nicht trotz Mirtazapin und Promethazin. Nachts ist sie hellwach, tagsüber schläft sie fast im Stehen.
Kaffee kochen. Sich geistig auf den Tag vorbeiten. Sich fragen, was heute wohl wieder passiert. In der Nacht ist ihr eingefallen, dass sie in einem Brief, den sie kürzlich geschrieben hat, einen Fehler eingebaut hat.

Es ist noch dunkel, als Mondkind den Berg zur Klinik hochläuft. Mondkind ist heute eine dreiviertel Stunde früher da, als sie das eigentlich sein müsste. Ihr Plan ist es, erst ihren Patienten zu visitieren. Ihn zu fragen, wie es ihm heute geht und einen Score erheben. Und dann möchte sie noch Blut abnehmen auf einer anderen Station.
Am Ende stellt sich heraus, dass ihr Patient gerade auf dem Weg ins MRT ist. Eine Schwester kommt Mondkind entgegen gerannt. „Mondkind, wir brauchen ganz dringend bei einem Patienten einen Zugang, kannst Du das machen?“ Mondkind scheut sich immer etwas „ja“ zu sagen, weil sie immer Angst hat, dass sie daneben sticht und der Patient dann unnötig mehrere Male gestochen werden muss und ihm vielleicht nicht schnell genug geholfen werden kann. Dennoch bejaht sie die Frage.
Ein Aphasiker. Er versteht alles, kann aber nichts sagen. Eine Situation, die Mondkind sich absolut furchtbar vorstellt. Sie erklärt jeden Schritt den sie macht genau, denn der Patient kann ja nicht nachfragen. Es klappt auch alles.

Frühbesprechung. „Ich möchte mal darauf hinweisen, dass man die Briefe, die man mit dem Diktiergerät geschrieben hat, nochmal durchliest“, erklärt einer der Oberärzte. „Manchmal schreiben diese Geräte absoluten Müll. Letztens wollte jemand in die Medikation schreiben „Metoprolol“ und dann stand da „Alkohol“. Das ist wirklich peinlich…“
Verhaltenes Gelächter in der Runde.

Wieder auf der Station bereitet Mondkind die Visite vor. Gestern war ihr Oberarzt noch vorher rauf gekommen und hatte sie gefragt, ob sie über den Patienten informiert und alles klar ist. Und Mondkind hat endlich gelernt, wie man Untersuchungen frei gibt. „Ich habe Dir Assistenzarztechte eingeräumt“, erklärt der Oberarzt. Mondkind fand es wirklich sehr gut, dass sie das in kleiner Runde nochmal besprechen konnte, ehe sie auf der Oberarztvisite vor allen anderen steht.

Visite. Es findet sich keiner, der mit dem Visitenwagen die Visite dokumentiert. Deshalb übernimmt Mondkind das. Ein meist recht undankbarer Job, denn man muss Ohren wie ein Luchs haben, um alles mitzubekommen und es dann noch in Rekordgeschwindigkeit verschriftlichen.
Da niemand ihr den Visitenwagen abnimmt, stellt eine der anderen Assitenzärzte Mondkinds Patienten einfach vor…

Danach steht eine Lumbalpunktion auf der Station an. Mondkind fragt den Assistenzarzt, ob sie mitkommen darf. Darf sie. Zwar bekommt sie keine Erklärung, aber zumindest kann sie zuschauen. Im Anschluss wird Mondkind nochmal gebeten Blut abzunehmen. Langsam schnallen die Schwestern, dass es da eine sehr bereitwillige PJlerin gibt.

Mittagessen. Mondkinds Oberarzt passt sehr genau darauf auf, dass sie auch die Gelegenheit hat, etwas essen zu gehen und hat sie gestern sogar extra von der Notaufnahme hochgeschickt. Mondkind steht gerade am Salatbuffet, als sie eine bekannte Stimme von der Seite anspricht. Oh nein, bitte nicht, denkt Mondkind, während sie sich umdreht und den Klinikseelsorger vor der Nase stehen hat. Das muss einfach nicht jeder wissen und für gewöhnlich halten die Assistenzärzte keinen Small – Talk mit dem Seelsorger. Mondkind entschuldigt sich in dem Zug gleich dafür, dass sie ihn gestern versehentlich angerufen hat. Sie sollte den Oberarzt schnell anrufen und hat in ihrem Speicher nach der Nummer gesucht. Es kamen nur zwei in Frage und sie hat die Falsche genommen. „Ach das waren Sie?“, fragt er. Hätte Mondkind besser einfach nichts gesagt… „Wir sehen uns ja morgen Nachmittag“, stellt er fest. „Genau“, entgegnet Mondkind. „Der Termin bei mir danach ist abgesagt, wir haben also doch nicht so viel Stress. Schauen Sie einfach wann Sie raus kommen und dann kommen Sie vorbei.“ Mondkind bedankt sich und das nimmt wirklich Druck raus. Es war nämlich zeitlich knapp bemessen gewesen. Allerdings wäre das trotzdem nicht fair, ihn lange warten zu lassen, wenn er sich schon nach dem Dienst die Zeit nimmt.
„Und wenn Dich jemand dort sieht und Stress macht, dann hat diese Person es nicht verdient, sich Arzt nennen zu dürfen“, erklärt ihr eine Freundin später. Und vielleicht muss man es echt nicht so eng sehen. Sich Hilfe zu holen, bevor es eskaliert, zeugt doch eigentlich von mehr Stärke und Verantwortungsgefühl, als das Ding einfach vor die Wand zu fahren. Ein gewisses unangenehmes Gefühl hinterlässt es trotzdem. Auch weil Mondkind Angst hat, dass es ihr der Oberarzt ein bisschen krumm nimmt, dass sie derzeit alle zur Verfügung stehenden Quellen anzapft.

Am Nachmittag ergibt sich ein bisschen Leerlauf. Vorerst zumindest. Der Oberarzt ruft an. „Mondkind, komm mal bitte runter ins Sono und bring den Hospitanten mit…“ Sie ahnt, was er vor hat. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, von ihm die Duplexsonographie der Halsgefäße lernen zu dürfen.
Der Praktikant legt sich auf die Liege und Mondkind nimmt den Schallkopf in die Hand. Dieses Sonogerät ist wieder mal völlig anders zu bedienen und deshalb erklärt ihr der Oberarzt erstmal kurz alle Knöpfe. Man merkt, dass Mondkind schon einen Sonokurs hatte – mit dem Schallkopf kann sie gut umgehen. Beim Hospitanten stellen sich die Gefäßverhältnisse fast lehrbuchmäßig dar, was Mondkind sehr zu Gute kommt. Mit einer Bewegung von wenigen Millimetern wechselt sie zwischen der ACI und der ACE hin und her. Sie weiß nur leider nicht mehr, welches der beiden Gefäße ein biphasisches und welches ein triphasisches Flussprofil abbildet. Aber das kann sie zumindest sagen und auch das kommt nicht schlecht. Allerdings stellt Mondkind fest, dass es hier längst nicht so kompliziert gemacht wird, wie es im Sonokurs ihrer Uni vermittelt wird.
Tausch ist angesagt. Ein kleines Rendezvous. Damals, als sie das erste Mal hier war, hat der Oberarzt Mondkind als Schallobjekt genutzt. Es war das erste Mal, dass Mondkind realisiert hat, dass seine ruhige Art auf Mondkind überspringt und er in ihr eine nicht gekannte Stille erzeugen kann. Heute hat der Hospitant den Schallkopf in der Hand, aber immer mal fühlt Mondkind eine warme Hand auf ihrem Hals und einen stärkeren Druck des Schallkopfes, wenn der Oberarzt korrigiert. „Bei Dir ist die Gefäßgabel ziemlich weit oben“, merkt der Oberarzt an. „Also wenn Du mal in 60 Jahren eine Stenose hast, dann machst Du keine OP, sondern lässt Dir einen Stent legen…“ „Ich werde es mir merken“, gibt Mondkind zurück, „dann sage ich: Ich habe da mal so einen Oberarzt gekannt…“
Am Ende bedankt Mondkind sich bei ihm, dass er sich so viel Zeit genommen hat. 

Resultat der Sono - Lernstunde...😃


Später kommt er Mondkind noch mit einem ausgedruckten Brief in der Hand entgegen. Gestern Nachmittag hatte Mondkind ihn geschrieben, schon im Halbschlaf. Außerdem konnte sie das nicht im Word – Programm machen, sondern musste einen Editor benutzen. Und das war ja mal eine Katastrophe mit dem formatieren. Mondkind dachte, dass sie vielleicht nur zu blöd ist und es mit drei Klicks gemacht ist. Sie hatte den Oberarzt noch darüber informiert und er meinte, dass er sich es anschaut. Aber wahrscheinlich hat er genauso mit der Formatierung gekämpft – eine Assistenzärztin erklärte ihr, dass das Programm einfach schlecht ist. Es ist ihr ein wenig peinlich.
„Also… - das ist jetzt wirklich auf hohem Niveau“, sagt der Oberarzt und bringt seine Verbeserungsvorschläge an. Das war ja nett formuliert, aber Mondkind ist selbst bewusst, dass das tatsächlich einer ihrer schlechtesten Briefe war.

Pünktlich um halb 4 wird die Notaufnahme voll. Fünf Patienten gleichzeitig, was mit drei zur Verfügung stehenden Plätzen eng wird. Schnell wird jegliches zur Verfügung stehende Personal zusammen getrommelt. Drei Oberärzte, genauso viele Assistenzärzte, Schwestern, der Hospitant und Mondkind. Mondkind sitzt am PC und legt einen Aufnahmebogen an, während um sie herum alle wild durcheinander reden. Einer der Oberärzte hat die Angewohnheit dann einfach lauter als alle anderen zu reden. Zu viel für Mondkind. Wenn jemand lauter als Zimmerlautstärke spricht, wird sie angespannt wie ein Flitzebogen. Dazu ein scharfer Unterton, der vermuten lässt, dass eine falsche Aussage ihn zum Explodieren bringt. Ihre Finger finden nur noch schwer den Weg auf die Tasten.
Eigentlich wollte Mondkind sich zu ihrem Oberarzt durchschlagen, als eben dieser mit der lauten Stimme, sie zu sich heran zitiert. Der Patient hat Schwindel, Übelkeit, einen einseitigen Nystagmus und die Lagerungsprobe ist positiv. In einem CT wurde eine Ischämie oder Blutung ausgeschlossen. „Was hat er jetzt?“, wird Mondkind gefragt. „Naja, Lagerungsschwindel“, gibt Mondkind zurück. „Ach was…“, sagt der Oberarzt, „und was sind die Differentialdiagnosen?“ Und ohne eine Antwort abzuwarten „Also Mondkind, die klinische Differenzierung von peripheren und zentralem Schwindel kannst Du vergessen, das funktioniert nicht. Was sind die red flags?“ Eigentlich wurde etwas Zentrales ja ausgeschlossen und Mondkind weiß nicht, worauf er hinaus will und antwortet trotzdem mit „Infarkt“ darauf gefasst, dass es gleich doch noch kracht. „Genau“, sagt er. „Und auf was muss man da achten?“  „Naja, Nystagmus, Dysarthrie, Ataxie, Schwindel, Fallneigung“, sagt Mondkind. Ataxie sei das wichtigste, wird sie belehrt.

Für genau solche Situationen, in denen es in der Notaufnahme drunter und drüber geht, hat ihr der Oberarzt wohl einen zweiten Büroplatz besorgt, für den Mondkind sehr dankbar ist.
Überhaupt denkt er manchmal sehr vorrausschauend. Und er nimmt Mondkind einfach, wie sie eben ist. Er erwartet nicht, dass Mondkind sich allem anpasst und wenn es möglich ist, dann passt er auch die Arbeitsbedingungen etwas an Mondkind an. Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Aber das ist es nicht. Mondkind hat unfassbares Glück mit ihrem Vorgesetzen.
Und nachdem die beiden sich nochmal zusammen gesetzt und ehrlich darüber gesprochen haben, was gerade gut läuft und was nicht, wird es wirklich besser. Und ein wenig hapert es natürlich auch an Mondkind. Sie hat einfach Schwierigkeiten mit neuen Situationen, auch wenn ihr das Haus schon seit zwei Jahren bekannt ist.

Langsam wird es doch. Der Oberarzt ruft Mondkind mittlerweile immer mal an, wenn es etwas Interessantes zu tun gibt. Er versucht Mondkind nach und nach miteinzubinden und dafür ist sie ihm sehr dankbar. Und eine private Sonostunde ist natürlich absolut unbezahlbar. Zwar fühlt Mondkind sich immer noch häufig überflüssig und fehl am Platz, eben weil sie in einer unüberschaubaren Situation nicht so helfen kann, wie sie es gern würde. Wären in der Kreisklinik fünf Notfälle gleichzeitig gewesen, hätte man Mondkind einen davon zugeschoben und sie wäre aktiv Teil der Problemlösung gewesen und würde nicht nur im Weg herum stehen. Aber vielleicht ist das für die Neuros ja auch in Ordnung, weil die Studenten dort eben noch Studenten und keine Assistenzärzte sind.

Heimweg. Kurzes Flurgespräch mit dem Oberarzt. „Wie klappt es denn gerade mit dem Schlafen…? Geht das mit dem Mirtazapin?“, fragt er Mondkind. „Naja, eher nicht so. Und wenn es überhaupt nicht klappt, nehme ich noch Promethazin dazu, ob wohl das auch keine Garantie ist… und so manchmal frage ich mich schon… - ich meine, ich bin 25…“ „Nur noch bis nach dem Studium Mondkind“, sagt er, als wäre das schon in Stein gemeißelt.

Mondkind geht nach Hause. 18 Uhr. Eigentlich muss sie noch einkaufen. Und eigentlich muss sie das schon seit Dienstag. Aber sie ist zu müde. Obwohl sie Milch bräuchte. Und Bananen. Aber mit dem alten Rat ihres Doktorvaters immer ein bisschen Müsli und Milch  im Haus zu haben, kann man essenstechnisch überleben. Jetzt hat sie die Milch eben auch gerade nicht, aber man kann immer noch Porridge kochen… - mit Wasser dann halt…

Und morgen… - bin ich mal gespannt, wie der Termin läuft. Mir sind – was das Thema Gefühle angeht – wirklich ein paar Dinge aufgefallen, aber dazu morgen mehr…


Mondkind

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