Die Frage nach Krisenintervention


Einen Fuß vor den anderen setzen. Langsam. Und das Atmen nicht vergessen.

Ich wusste am letzten Freitag nach der Therapiestunde nicht mal, als ich endlich auf dem Hauptbahnhof stand, wo ich eigentlich jetzt hin möchte. Am Ende ist es mein Elternhaus geworden – man versucht es ja doch immer wieder mit der Versöhnung. Eine gute Idee war das aber nicht, denn ehrlich gesagt lief es noch schlimmer, als befürchtet.

Der Freitagabend bestand darin, drei Stunden mit einer Kommilitonin zu telefonieren. Ich konnte auswählen zwischen „sie holt mich ab“ und „wir reden solange, bis jemand kommt.“ Ich war auch zu nichts mehr fähig und ich glaube, in diesen Stunden wäre mir alles zuzutrauen gewesen. Ich wusste nicht mehr, was ich mache. Ich war in dem Haus, in dem ich so lange gelebt habe, vollkommen desorientiert und habe die Dinge an den völlig falschen Stellen gesucht. Wir haben dann am Telefon noch etwas zu essen für mich gemacht und sie musste wirklich jeden Handgriff ansagen, weil ich einfach nicht mehr fähig war.
Es ist schon erstaunlich, was die Psyche mit einem körperlich gesunden Mensch anstellen kann. Und nicht mal sechs Stunden davor hatte ich der Therapeutin irgendwie – scheinbar glaubhaft genug – versichert, dass ich das schaffe.

Ich bin Sonntag auch zurück gefahren. Am Samstag haben wir über drei Ecken noch Bedarfsmedikation organisiert, aber auch in einer sehr geringen Dosierung. Damit ich gar nicht erst blöde Ideen entwickle, meinte die Hausärztin. Auch hier ist es erstaunlich, was man alles schafft, wenn es sein muss. Dann bekommt man sogar samstags ein Rezept.
Nur helfen tut es leider nicht viel.

Der Therapeutin habe ich gestern die versprochene Mail geschickt, dass ich gut angekommen bin. Ich habe auch noch mal ein paar Worte über die Klinik und meine damit verbundenen Ängste verloren. Und außerdem erklärt, dass Arbeiten derzeit faktisch keinen Sinn hat.
Sie hat mir dann geschrieben, dass die mich jederzeit stationär aufnehmen würden, wenn ich es irgendwie schaffen würde dahin zu fahren und dass auf jeden Fall die Möglichkeit bestünde auf eine Station zu kommen, auf der mein ehemaliger behandelnder Arzt, den ich wirklich sehr schätze, jetzt Oberarzt ist. Sie hat auch sofort eine Station vorgeschlagen. Ich habe es mir mal angeschaut – das ist eine Privatstation. Ich glaube kaum, dass das geht, wenn man gesetzlich versichert ist und nicht gerade einen Goldesel hat. Mal sehen, was sie sagt. Und ob sie etwas sagt.
Blöd ist natürlich, dass ich eben diesem Arzt vor ein paar Wochen geschrieben habe, dass es eigentlich ganz gut läuft. Ich war zu dem Zeitpunkt der Meinung, dass ich diese Klinik nie wieder von innen sehe, unsere Wege sich nicht mehr kreuzen werden und ich ihm gern noch sagen möchte, dass sich am Ende alles wie geplant gefügt hat. Denn ich war wirklich kurzzeitig glücklich hier und dachte, dass es vielleicht so bleibt. Weil ich vielleicht endlich angekommen bin. Und es sich zum ersten Mal richtig anfühlt.

Und so sehr mich die Antwort von der Therapeutin auf der einen Seite beruhigt hat, so hat sie mich in genau dem gleichen Maß wütend gemacht. Ich bin der Meinung, dass diese arge psychische Dekompensation nicht hätte sein müssen. Wenn ich nach dem Examen die Möglichkeit gehabt hätte in die Klinik zu gehen, wären zumindest die Medikamente jetzt vernünftig eingestellt (das Konzept funktioniert nämlich leider gar nicht derzeit) und man hätte vielleicht schonungslos ein paar Themen ansprechen und bearbeiten können. Denn wenn man ohnehin schon in der Klinik ist, kann es ja viel schlimmer auch nicht mehr werden, also kann man auch hundert prozentig ehrlich sein.
Die Familie hat mich damals nach allen Regeln der Kunst emotional erpresst und keinen Hehl daraus gemacht, dass es deren Ziel ist, mich so weit wie möglich von Ärzten und Therapeuten weg zu bringen. Wer schon länger mitliest, erinnert sich vielleicht. Noch mehr wütend als auf meine Familie, bin ich eigentlich auf mich selbst. Ja, ich konnte damals nicht mehr klar denken. Aber ich hätte mich nicht erpressen lassen müssen. Ich hätte das in der Ambulanz einfach so erzählen können, statt mich zu beugen, zu erzählen, dass es alles schon irgendwie läuft und mitzufahren. 



Und jetzt… ? Mein Gehirn rechnet hin und her. Krankheitstage = Urlaubstage. Das ist im PJ so. Ich müsste den kompletten Urlaub der ersten zwei Tertiale zusammen nehmen, mit hoher Wahrscheinlichkeit über Weihnachten arbeiten, aber es könnte klappen, zwei Wochen raus zu schlagen. 10 Tage waren es insgesamt; 2 habe ich in der Inneren genommen, den dritten Tag an dem ich nicht da war, habe ich ausgeglichen. Es bleiben also noch acht Tage übrig. Zwei Tage könnte ich irgendwann mal nacharbeiten; dann wäre ich bei 10 Tagen. Das wären genau zwei Wochen… - und mal im Ernst: Wie lange meinen die denn, dass Krisenintervention dauert? Es steht übrigens explizit auf der Seite der Station, die mir die Therapeutin genannt hat, dass die recht kurzfristig Krisenintervention machen. Aber ob die Station wirklich passt, weiß ich nicht und dann müssen die immer noch ein Bett haben.
Aber das würde auf allen Seiten ein Sprechen miteinander bedeuten und daran wird es scheitern. Mit dem Neuro – Oberdoc würde ich das gern persönlich besprechen. Er wäre der Letze, der mir Steine in den Weg legt; von ihm würde ich sicher das okay bekommen. Und dann müsste ich mit den Stationsärzten reden und mit denen vereinbaren, dass ich nach zwei Wochen gehen kann, wenn ich nicht gerade akut suizidal bin. Dass ich da nicht stabil raus gehe, ist mir klar. Aber das ist eben auch nicht Ziel. Erstmal das PJ schaffen; danach wird man das vielleicht nochmal in Angriff nehmen müssen.

Und am Besten wäre es, wenn wir das diese Woche noch organisieren könnten. Ja, dann würde es die ersten beiden Wochen der Neuro treffen. Und ja, dann wäre genau das passiert, das ich unbedingt verhindern wollte. Und ja – auch meinen Urlaub hatte ich geplant, anders zu verbringen. Klinik ist zwar ein geschützter Rahmen und ich wäre aktuell schon sehr dankbar, wenn ich keine Angst mehr vor mir selbst haben müsste und hin und wieder ein Bedarfsmedikament hätte, das wirklich abschirmt und mir ein paar Stunden Ruhe verschafft, aber es ist definitiv eigentlich kein geeigneter Ort dort seine Urlaubstage zu verbraten. Aber was will man machen?
Alles, was das PJ rettet, ist erlaubt.
Und es wäre Schadensbegrenzung. Die wenigsten wissen, wann ein PJ – Tertial anfängt. Selbst derjenige, der das PJ in der Neuro organisiert, weiß das nicht so genau. Einigen würde es nichtmal auffallen, wenn wir die Klinik organisieren könnten, bevor ich auf der Neuro loslege. Denn wenn man ungeplant zwei Wochen nicht da ist und es auffällt, weil man vorher schon dort war, verringert das vielleicht wieder die Jobchancen wegen Unzuverlässigkeit.

Aber es sind alles Hirngespinste. Ich werde das nicht organisiert bekommen. Zwar könnte es sein, dass der Neuro – Oberdoc irgendwann im Lauf der Woche aus dem Urlaub kommt, obwohl ich mir nicht sicher bin. Und dann kann ich so genaue Vorstellungen der Therapeutin doch nicht vorlegen. Glaube ich. Ich traue es mich zumindest nicht. Mir ist nur klar geworden – Krisenintervention wäre theoretisch drin, wenn sich da nicht jemand ganz quer stellt.
Es heißt dann oft: „Na wenn Ihnen die Uni so wichtig ist, dann haben Sie doch Ziele und dann kann es nicht so schlimm sein.“ Aber wieso soll man nicht versuchen, das zu retten, das noch irgendwie geht. Und was habe ich denn, außer die Uni?
Denn es gibt eben nicht nur die Optionen, entweder alles unter allen Umständen weiter zu machen, oder das PJ abzubrechen. Es gibt nicht nur schwarz und weiß, sondern auch ganz viel grau. Und grau ist nicht optimal, aber es ist besser als schwarz.
Und vielleicht sieht die Welt in zwei Wochen schon wieder komplett anders aus. Denn es ist kein Dauerzustand, sondern "nur" eine Krise, die aber unter Umständen viel kaputt machen kann. Und vielleicht würde ich motiviert in die Neuro gehen und der Zustand hier würde sich nicht über Wochen hinziehen.

Aber wie gesagt: Hirngespinste. Wenn irgendjemand eine Idee hat, wie man es versuchen kann zu organisieren: Ich bitte darum, sie zu teilen...

Alles Liebe
Mondkind

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