Das Ende des Innere - Tertials: Ein kleines Review
Freitagmorgen. Letzte Frühbesprechung.
Ich stelle noch einige Patienten vom Vortag vor. Und als der Chef auch
noch die Histologie – Ergebnisse an die Kollegen verteilt hat, hake ich noch
kurz ein. Erkläre, dass heute mein letzter Tag ist, dass ich sehr dankbar bin
so gut ins Team integriert worden zu sein und die Möglichkeit hatte, so viel zu
lernen und selbstständig zu arbeiten. Und, dass ich noch ein bisschen gebacken
habe am Vorabend.
„Also Mondkind, Sie bekommen jetzt von mir ein mündliches Jobangebot“,
erklärt der Chef vor versammelter Mannschaft, „ich glaube besser kann man ein
Tertial nicht beenden.“
Wow… - da ist der also: Der Plan B. Ich kann mich dann entscheiden.
Entweder es muss unbedingt die Neuro werden; dann muss ich mir – sollte es hier
nicht klappen, eine Alternative suchen. Oder ich kann damit leben, dass es dann
eben Innere wird und es geht mir eher darum, in der Umgebung hier zu bleiben. (Und
der Chef der Nephro redete mir gestern nochmal ins Gewissen, dass er sich auch
mal für die Neuro interessiert habe, dort auch sein PJ gemacht habe, aber am
Ende einsehen musste, dass Innere einfach besser ist… )
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Letzer Blick zurück auf den Schreibtisch... |
Meine Gedanken wandern zurück an die Anfänge.
An den Tag, an dem wir mit einem vollgepackten Auto das erste Mal seit
zwei Jahren wieder den Weg hierher gefahren sind. Und mir dieser Ort seltsam
vertraut vorkam.
Der erste Tag im PJ. Ich stand der Sekretärin des Chefs gegenüber und
die hatte offensichtlich keine Ahnung, wer ich bin. Und hat in ihrer
Verzweiflung mal die Oberärztin angerufen. Und die wusste -wie ich später gehört habe – auch nichts von
einer PJlerin, hat aber versucht das Unwissen nicht durchblicken zu lassen. Ich
habe es aber schon vermutet, nachdem ich nach 15 Minuten der dritten Ärztin
zugeschoben wurde und die dann einsehen musste, dass sie mich jetzt wohl an den
Hacken hat. Das kann man ja gleich mal ausnutzen, hat sie sich scheinbar
gedacht. „Mondkind, Du kannst ja mal Visite in Zimmer 218 machen…“ Aha… - am
ersten PJ – Tag soll ich also alleine Visite machen, ohne, dass mir mal jemand
das Pc – System erklärt und gezeigt hätte, wo Kurven und Akten hinterlegt sind.
Vollkommen unwissend bin ich an diesem ersten Tag ins Patientenzimmer gegangen
und wurde mit einer COPD – Patientin konfrontiert, die die abstrusesten
Vorstellungen hatte. Ihre aktuelle Exazerbation sei wohl durch ein Stück Kuchen
verursacht worden. Hätte ich zu dem Zeitpunkt im System gesehen, dass sie
dieses Jahr schon mindestens 15 Mal stationär da war und die Medikation sich
aufgrund der Incompliance der Patientin ständig ändert, wäre ich zumindest
vorbereitet gewesen. So saß ich 30 Minuten in dem Zimmer und hatte keine
Ahnung, wie ich aus der Nummer raus komme.
Zum Glück hatte die Kollegin ihre Kündigung schon geschrieben und ich
war nur sehr kurz mit ihr unterwegs.
Zweiter Tag: Notaufnahme. Aufgrund eines hohen Krankenstandes,
Kündigungen und schlechter Urlaubsplanung war das Team gerade dabei, sich zu
halbieren. Es war einfach Not am Mann – nicht nur bei den Patienten. Ich kann
noch geradezu den sanften Druck der Hand der Oberärztin in meinem Rücken
fühlen, mit dem sie mich in Zimmer Drei der Notaufnahme geschubst hat.
„Mondkind, mach den Fall mal fertig und ruf mich dann an.“ Es galt, absolute
Ahnungslosigkeit möglichst geschickt zu überdecken. Ich hatte immer noch keine
Ahnung von dem System. Wusste nicht, welche Unterlagen ausgefüllt werden
müssen, wie ich an das Labor komme, wo ich die Patienten von der Notaufnahme
aus hinschicke. Mein erster Patient hatte Schwindel und da das etwas
Neurologisches ist, hatte ich die Differentialdiagnostik und die zugehörigen
Untersuchungen, die zu machen sind, ziemlich gut drauf. Und als ich die
Oberärztin dann angerufen und ihr den Fall vorgestellt habe, war sie so
begeistert, dass ich bei ihr fortan ein Stein im Brett hatte.
Nach den anfänglichen Schwierigkeiten habe ich mich gut in der
Notaufnahme eingelebt. Unzählige Male habe ich den Kollegen die Geschichte
erzählt, wie ich gerade in dieses Kaff gekommen bin.
Und irgendwie haben die da unten mich zu schätzen gelernt.
Eines Abends habe ich mich mal hingesetzt und mir detailliert
aufgeschrieben, wann welche Fragen zu stellen und welche Untersuchungen zu
machen sind. Am Anfang hatte ich den Zettel in der Notaufnahme immer
unauffällig neben mir liegen (bei dem ganzen Papierkram, der auszufüllen ist,
fiel das wirklich nicht auf), irgendwann war mir das so in Fleisch und Blut
über gegangen, dass ich eine Routine entwickelt hatte.
Neben unzähligen Pneumonien, Harnwegsinfekten, Thoraxschmerzen und
Wespenstichen, gab es manchmal wirklich sehr interessante Fälle. Systemische
Mastozytose, psychische Entgleisungen, die sonst fest im Leben stehende Menschen
haben zerbrechen und teils völlig unzurechnungsfähig werden lassen. Oder eine
Notaufnahme, die von vorne bis hinten mit Krankentransporten zugeparkt war.
Sommer. Irgendwie schien es zu passen. Dass ausgerechnet dieser Sommer
einer der schönsten der vergangenen Jahre war. Dieser Ort hier weckte eine
andere Lebenseinstellung. Die Wochenenden habe ich im Park verbracht, gelesen
und Musik gehört. Oder ich habe den Enten zugeschaut, kannte sie irgendwann
alle, wusste, wer sich mit wem streitet und habe beobachtet, wie aus den
Entenbabys mit der Zeit erwachsene Enten wurden.
Stationsarbeit. Auch das sollte ich irgendwann lernen. Ich habe mit
einer jungen Ärztin zusammen gearbeitet, die in Rekordzeit ihren Facharzt
hingelegt und anschließend Oberärztin geworden ist. Sie hatte ihre Vorstellung
davon, wie Dinge zu laufen haben. Und wenn man selbst anders mit den Patienten
umgegangen ist, wurde einem auch schon mal barsch über den Mund gefahren.
Die ersten eigenen Patienten. Ich bin nicht an den Krankheitsbildern
gescheitert, sondern daran, dass ich die Visite nicht so geführt habe, wie sie
das gern gehabt hätte.
Und was gehörte auch dazu? Briefe schreiben. Und wie schon vor zwei
Jahren auf der Neuro, waren die alle sehr begeistert von meinen Briefen. Und
ich verstehe bis heute nicht wieso.
Und was noch? Mit Angehörigen sprechen. Manchmal – besonders bei
schwer kranken Patienten – eine Herausforderung.
Und der Tod. Der gehört auch dazu. „Meine“ erste Patientin, die verstorben
war. Vergessen werde ich sie wohl so schnell nicht. Und dann die Angehörigen
anrufen. Ohne, dass ich mir das mal bei einer Kollegin hätte anhören dürfen,
was man da so sagt. Wie man das sagt.
Schließlich noch der „Ausflug“ auf die Palliativstation. Zumindest
hätte er das werden sollen – am Ende war ich vier Wochen lang immer wieder dort
oben. Es ist ein anderes Arbeiten. Noch mehr Zusammenhalt im Team, viel näher
am Patienten dran. Aber es sind auch viele Schicksale. Der Tod, der sonst im
Alltag nicht so die Rolle spielt, wird plötzlich zentraler Bestandteil jedes
Tages.
Die Familien lassen den Ärzten, Schwestern und Therapeuten einen
tiefen Einblick in das eigene Leben gewähren. Ein Geschenk; Verantwortung und Belastung
zugleich.
Man erfährt viel über die Pläne, die es für die Zukunft noch gegeben
hat. Über die Einstellungsänderung der Menschen zum Leben, das sich mehr im
Jetzt abspielt. Den Moment leben, die Zukunft auf sich zukommen lassen und
nicht überlegen, was alles passieren könnte oder auch nicht.
Man lernt die Patienten kennen, begleitet sie, redet viel. Wird Zeuge
davon, wie sie immer weiter abbauen, wie man am Ende nicht mehr tun kann, als
daneben sitzen und hoffen, dass man genug über sie gelernt hat um zu wissen,
was sie gerade brauchen.
Es war ein Sommer, der mich vielleicht nicht zuletzt auch aufgrund der
Palliativstation sehr nachdenklich gemacht hat. Aber mir ist auch klar
geworden: Unabhängig davon, ob am Ende des Weges das Ziel besteht Ärztin zu
werden oder auch nicht – was ich hier erleben durfte, war ein großes Geschenk.
Zum Einen gibt es kaum etwas Faszinierenderes als zu sehen, wie der menschliche
Körper funktioniert. Das bis ins kleinste Detail lernen zu dürfen, ist ein
Privileg. Und zum anderen schenken die Menschen einem ihr Vertrauen. Ein Gut,
mit dem man verantwortungsvoll umgehen muss, aber das einem es auch immer
wieder ermöglicht Menschen auf einer Ebene zu begegnen, auf die man in vielen
Alltagssituationen nie kommt.
Dass die Stimmung hier in den letzten Wochen so sehr in die
Negativität gekippt ist, ist sehr ärgerlich. Ob es streckenweise auch mit der
dezenten Überforderung zusammen hing, weiß ich nicht. Zwar habe ich alle
Situationen anstandslos hingenommen und bewältigt, aber manchmal nicht ohne
viel Angst, Zweifel und Anspannung.
Ich hoffe, dass es auf der Neuro mit der Psyche wirklich besser wird.
Dieses Wochenende konnte ich mir aussuchen entweder durch den Bedarf – höher als
intendiert dosiert – ein wenig abgeschossen, oder nicht mehr so wirklich Herr
meines Handelns aufgrund zu hoher Negativität zu sein.
Und morgen… - morgen geht der Teil los, für den ich so lange gelebt
habe. Ob ich es morgen schaffe zu schreiben, weiß ich noch nicht. Aber ich
werde die Tage auf jeden Fall berichten.
Mondkind
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