Endlos
Übereck.
Mondkind auf dem grünen Stuhl, er in seinem Sessel zurück gelehnt, ihr
zugewandt.
„Wissen Sie“, beginnt Mondkind und muss sich bemühen nicht zu weinen,
„es war nicht nur so, dass die Neuro das unspezifische Ziel am Ende war, das
von mir nie mit bestimmten Vorstellungen ausgeschmückt wurde, weil ich dann
wahrscheinlich viel eher verstanden hätte, dass das einfach so real gar nicht
existiert. Die Neuro war für mich auch immer das Ende von diesem Zustand. Ich
habe geglaubt, dass ich in der Neuro glücklich werde. Dass die Tage weniger
schwer werden, dass ich mich nicht am Morgen eines jeden Tages frage, wie ich
das machen soll und abends doch feststelle, dass es schwer war, aber
funktioniert hat. Funktionieren... - das Wort kann ich auch nicht mehr hören.
Ich habe geglaubt, dass die Welt wieder ein wenig bunter wird, dass ich endlich
mal ein wenig Begeisterung für diesen Job aufbringen kann. Ich habe geglaubt,
dass ich eventuell dort weiter machen kann, wo ich vor mehr als zehn Jahren
aufgehört habe und das tägliche Kämpfen um soviel Normalität wie möglich
endlich vorbei ist. Und jetzt sitzt man hier und realisiert, dass man nicht
weiß, wie lang der Weg noch wird. Da ist kein Ende mehr in Sicht. Und bisher
hat „ab Punkt xy wird alles besser“ noch nie funktioniert.“
Ich glaube, das ist es wirklich. Diese geballte Hoffnungslosigkeit und
Verzweiflung, die einem die Luft zum Atmen nimmt.
Und dann passiert es, dass in der Ambulanz ein ambulanter Fall ist,
der Patient vom Arzt untersucht wird und ich damit beauftragt werde, den Brief
zu schreiben. Mir wurde auch eine Diagnose gesagt, die ich rein schreiben soll.
Glaubt jemand, nach fünf Minuten hätte ich die noch gewusst… ? Ich bin absolut
nicht mehr aufnahmefähig.
„Kann es vielleicht auch sein, dass Du Angst hast, dass ich denken
könnte, dass Du nichts kannst?“, fragt der Neuro – Oberdoc.
Natürlich ist das so. Zum Einen sitze ich ja wirklich nur untätig
daneben, höre mir an, wie kompliziert das alles ist und das man mich das
deshalb nicht machen lassen kann und das Einzige was passiert ist, dass ich
jeden Tag mehr Angst bekomme. Zum anderen fühle ich mich da absolut
deplatziert, habe mittlerweile auch den ganzen Tag Angst angesprochen zu
werden, eben weil es alles so kompliziert erscheint, dass ein Student das
einfach nicht kann. Und dennoch habe ich das Gefühl, mich mehr einbringen zu
müssen. Wie soll das denn gehen, wenn ich dann tatsächlich meinen eigenen
Patienten bekomme und bisher immer nur gehört habe: „Mondkind, bis 10 Uhr
bereiten wir die Visite vor – das ist so stressig, da können wir Dir nichts
zeigen…“ Woher soll ich wissen, was ich dann machen soll? Es wird einfach
keinen geben, der die Arbeit die man da macht, schätzt. Wie das in der
Kreisklinik der Fall war. Man hat das Gefühl, jedem als Student eine Last zu
sein.
Es hat eine Zeit gegeben, in der ich der Meinung war, nie in einem
Krankenhaus arbeiten zu können. Allein, weil die Angst und Grundanspannung den
ganzen Tag so hoch ist, dass man das kaum acht Stunden aushalten kann, ohne
zwischendurch doch mal ein paar Minuten für sich zu brauchen, um den ganzen
Druck ungesehen abbauen zu können und am Ende des Tages so fertig ist, dass man
absolut nichts mehr auf die Reihe bekommt. In der Kreisklinik habe ich
geglaubt, dass es vielleicht doch anders werden kann. Und dass auch eine
Mondkind einen Platz im Krankenhaus finden kann. Drei Monate Krankenhaus ohne
zwischendurch komplett zusammen zu brechen – das schien vor dem PJ unmöglich.
„Mondkind, ich habe Dich mal unten in der Kreisklinik in der
Notaufnahme gesehen…“ Sie schaut ihn verwundert von der Seite an. „Ich war als
Patient dort…“ Aber sicher nicht in der Inneren, das hätte ich mitbekommen.
„Ich habe gesehen, wie Du da mit dem Telefon am Ohr und Briefen in der
Hand wie ein Wiesel zwischen den Behandlungszimmern hin und her gerannt bist.
Ich weiß, dass Du das kannst…“
Ich weiß nicht, was ich von der Aussage halten soll. Vielleicht
beruhigt es mich tatsächlich, dass er gesehen hat, dass ich in der Lage bin,
mich einzusetzen, zu arbeiten, Verantwortung zu übernehmen, Teil des Teams zu
werden und auch mit dem Stress einer Notaufnahme umgehen kann. Nur, dass das in
der Neuro eben nicht so passieren wird.
Ein paar Minuten später sitzen wir wieder in der Ambulanz. Ich auf
einem Stuhl in der Ecke, er auf einem Hocker auf Augenhöhe vor dem Patienten.
Und ich finde es immer wieder erstaunlich, mit was für einer Ruhe er mit den
Patienten redet. Selbst, wenn man nicht angesprochen ist – ich werde etwas
ruhiger und für den Moment wird die Angst etwas weniger.
Am Wochenende kommt mein Papa. Ich werde also kaum Ruhe und Zeit haben, ehe es am Montag wieder los geht. Und dass ich gesagt habe, dass man bitte nicht das erste oder zweite Wochenende nehmen soll, wurde galant überhört. Wenigstens eingekauft und geputzt habe ich schon...
Mondkind
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