Find me
Calling out,
come on out and find me
'Cause I've
been waiting my turn
Pressure's
on
Now your
heart is beating
To the sound
of my name
And I say
Find me
(Christina
Grimmie – Find me)
Chaos.
So viele Eindrücke in den letzten Tagen. So viele Emotionen, die das
hätte hervorrufen können, müssen, sollen. So viel Stille in mir. Unsicherheit.
Zerrissenheit.
„Mondkind nimm Dir die Zeit. Du musst nicht direkt nach dem Studium
anfangen zu arbeiten. Das kann funktionieren, Du machst Deinen Job gut. Aber
das geht nicht die nächsten 20 Jahre. Irgendwann wirst Du zusammen brechen. Und
es ist besser, das vor dem Job zu klären – im Job ist es immer blöd…“
Mitten auf der Visite. Ich stehe etwas im Hintergrund. „Mondkind…?“,
ruft der Chef. „Ja“, erwidere ich und trete einen Schritt nach vorne. „Ich weiß
ja nicht, von wem Du gehört hast, dass Du hier keine Stelle bekommst, wenn Du
das möchtest. Du musst nur Deinen Joker ziehen und Deinen Oberarzt anrufen –
dann bekommst Du einen Job. Unabhängig vom Stellenplan; das spielt gar keine
Rolle. Da generieren wir eine Stelle.“ Ich weiß gar nicht was ich sagen soll.
Das wäre die letzte Ansage, die ich neben einem Patientenbett erwartet hätte.
„Sie müssen nicht herkommen…“, erklärt sie. „Nicht wegen mir.“ Wann
begreift sie eigentlich, dass ich diese Touren durch halb Deutschland nur wegen
dieser einen Stunde mache? „Naja das Problem ist, dass da im Moment so viel
Chaos in mir ist, dass ich den Termin schon bräuchte nur jetzt halt leider in
der Situation bin, dass mich das alles so beschäftigt und so viel Kraft kostet,
dass ich es im Moment einfach nicht schaffe…“ „Naja, dann ist das so. Das ist
ja nicht schlimm.“ Doch ist es. Und irgendwann: „Na, was ist denn los im
Moment?“ Und am Ende: „Sie können auch nächste Woche gern nochmal anrufen.“Und plötzlich geht es also doch. Ich komme mit der Inkonsequenz von der Therapeutin nur schwer zurecht.
Und ich weiß immer noch nicht, ob ich nicht doch fahre. Die Termine
mit ihr sind gezählt.
„Haben Sie eigentlich nochmal etwas von dem Psychiatrie – Oberarzt gehört?“
„Nein, hatten Sie dem geschrieben?“ „Ja habe ich, aber er hat nicht geantwortet…
und ich dachte, er hat so seine Gründe. Vielleicht nervt ihn das mit mir
langsam auch alles oder so… - ich habe ihm jedenfalls nicht hinterher
geschrieben…“ „Naja, der hat auch immer viel zu tun. Vielleicht hat er es
überlesen oder nicht gewusst, dass er etwas dazu sagen soll. Heute hat er frei,
aber wenn ich etwas höre, sage ich Ihnen Bescheid.“
Was das bringen soll, weiß ich auch nicht genau, aber wenn die Innere
mir tatsächlich keine Fehltage angerechnet hat, könnte das immer noch klappen
zwei Wochen mal hier raus zu kommen.
Büro. Grüner Stuhl. Er übereck. Kurz vor dem Wochenende. In mir die
Frage: „Wie überstehe ich das wieder…?“ Gedrückte Stimmung, leises Sprechen.
Reden über Familie. Das Fehlen von Rückhalt. „Dann bin ich eben für die
nächsten drei Monate Dein Ersatzpapa…“ Eine Träne. Oder vielleicht auch zwei.
Auf der einen Seite unfassbar schön. Auf der anderen Seite, macht es das im Dezember
noch schlimmer.
Angst. Angst vor dem Jahresende. Angst davor mehr zu verlieren, als zu
gewinnen. Angst davor, dass das Außen komplett zusammen bricht. Anderer
Wohnort, anderer Arbeitsplatz, anderer Therapeut. Alles anders. Ungewissheit.
Ungewissheit, wo Anker sind, die halten könnten. Angst vor dem Fallen. Angst
vor der Schwere, vor der Leere, vor dem Gefühl zu ersticken, vor der in solchen
Fällen immer aufkommenden Suizidalität. Angst davor, dass es dieser eine
Umbruch ist, der der eine zu viel ist. Angst davor, so lange um etwas gekämpft
zu haben, das sich am Ende doch nicht lohnt. Angst davor, Menschen zu
enttäuschen, zu verletzten. „Eigentlich ist das doch lustig Mondkind, dass das
bei Dir immer so genau vorhersagbar ist.“ Irgendwie nicht, nein. Weil diese
Angst so real ist. Weil ich nicht weiß, ob ich das schaffe.
„Sie müssen sich eine Strategie überlegen, wie sie mit solchen
Situationen umgehen.“ Der Tenor seit drei Jahren. Aber wie? Wenn ich nicht
weiß, was mich persönlich halten kann. Weil es mir mal wichtig ist. Weil ich
etwas wirklich möchte. Weil ich hinter etwas stehe. Wird nicht klappen bis
Dezember.
Es gäbe eine Lösung. Wenn die Therapeutin den Wechsel noch ein paar
Wochen schiebt. Wenn ich erst wieder in der Studienstadt ankommen, irgendwo
winzige Etappenschilder finden kann und erst dann der nächste Teil des Außens
wegbricht. Ich könnte sie fragen. Aber ich weiß, dass sie sowieso schon eine
große Ausnahme für mich gemacht hat. Und ich kann es nicht noch weiter
stapazieren.
Die Frage danach, was mich aktuell leitet. Warum würde ich hier
anfangen zu arbeiten? Gibt es einen anderen Grund, als ihn? Und wenn nicht –
macht das dann Sinn? Und wenn nicht hier – wo dann? Heimatnah, dann habe ich die
Familie wieder an den Hacken? Weit weg und zur Ruhe kommen, sagte der Neuro –
Oberdoc.
Und wann überhaupt anfangen zu arbeiten? Der Oberarzt steht hinter der
Idee, erstmal eine Pause einzulegen, viel zu überdenken und dann weiter zu
machen. Ich kann den Joker auch ein halbes Jahr später ziehen. Wäre ihm glaube
ich sogar lieber. Und mir auch. Aber bringt
es das? Sollte ich das nochmal versuchen? Oder breche ich dann völlig zusammen,
weil ich verstehe, dass ein paar Wochen Klinik die Sache nicht grundsätzlich
verändern? Dass es noch Jahre brauchen wird und ich bis dahin einfach
durchhalten muss.
Und wenn Pause – dann ist die Frage nach dem Wann. Der Psychiatrie –
Oberdoc kennt die Geschichte am Besten; die meisten anderen verlieren irgendwo
auf der Strecke den Faden, weil es alles so verworren war. Er hat alle Ängste,
alle Fragen, alles Für und Wider mitbekommen. Aber bei ihm auf die Station
könnte ich nur kommen, solange wie ich noch Studentin bin. Strukturen des
Gesundheitswesens, die das bedingen. Aber das würde heißen: Examen schieben.
Und das würde heißen: Immer noch keinen freien Kopf. Aber dafür vielleicht:
Verständnis. Ich habe bisher ehrlich gesagt nur wenige gute Psychiater kennen
gelernt.
Chaos. So viel Unsicherheit. So viele Fragen. So wenig Antwort.
„Find me“. Wer auch immer. Und bleib bitte einfach. So lange, bis ich
einen Platz in dieser Welt gefunden habe. Einen Weg, den ich aus eigener Kraft
vorwärts gehen kann.Solange, bis ich mich sicher fühle.
Mondkind
Bildquelle: Pixabay
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