Rendezvous mit dem Gestern
11
Uhr am Morgen.
Ich
sitze an meinem Schreibtisch. Es sieht immer noch chaotisch hier aus,
die Wäsche ist noch nicht gemacht und ich wollte im restlichen Haus
auch mal ein wenig Budenzauber betreiben.
Blog
wird nur irgendwo zwischen zu Hause und irgendwo geschrieben, habe
ich mir gesagt. Es ist ein Projekt, das nicht zu sehr ausarten darf.
Und
dennoch brauche ich es. Dieses Schreiben. Diese Gedanken, die lange
Zeit durch meinen Kopf spuken und irgendwann doch den Weg durch meine
Hände finden.
Und
jetzt... - jetzt bauche ich es gerade, um nachher konzentriert weiter
arbeiten zu können.
Mein
Besuch beim Arzt heute morgen.
Ich
gehe zurück in vertraute Gefilde. Vor anderthalb Jahren habe ich bei
der Ärztin ein Praktikum gemacht. Es ist ein merkwürdiges Gefühl,
nun einen Rollenwechsel zu vollziehen. Damals war ich Praktikantin
und im entferntesten Sinne etwas wie eine Kollegin – heute bin ich
hier als Patientin.
In
dem Wartezimmer habe ich nie gesessen – das ist noch okay, heute
dort zu sein. Es könnte das Wartezimmer jeden anderen Arztes sein.
Ich bin oft hindurch gegangen in die Räumlichkeiten, die dahinter
lagen, habe aber nie auf einem der Stühle gesessen und das
geschäftige Treiben und der Ferne aus betrachtet.
Es
scheint mir hektisch an diesem Morgen, aber das war es auch damals
schon häufig. Man erkennt mich, verbirgt das aber hinter einem
Mäntelchen der Professionalität und auch ich spiele das Spiel mit.
Für private Angelegenheiten ist keine Zeit und irgendwie ist es auch
nicht angebracht zwischen all den anderen Patienten.
Als
ich aufgerufen werde, betrete ich das Sprechzimmer und hinter mir
kommt auch schon die Ärztin. Kaum ist die Tür hinter uns
geschlossen, nehmen wir uns erst mal in den Arm. „Gut siehst Du
aus“, sagt sie. Ich frage mich ein wenig, wie man gut aussehen kann
nach einer Nacht, in der man jede Stunde wach war und sich nun
ziemlich erschlagen vorkommt, aber gut aussehen konnte ich ja schon
des öfteren.
Hier
– genau hier - hat alles angefangen. Hier hat mein altes Leben
aufgehört und ein Neues begonnen. Hier habe ich mich aufgemacht und
bin danach einen Monat durch die Hölle gegangen.
Dieser
Raum katapultiert mich zurück in heiße Sommertage, in denen der
Patientenansturm relativ gering war, weil es so schwül draußen war,
dass man sich jeden Gang zum Arzt fünf Mal überlegt hat. Die
Arzthelferinnen und ich saßen oft mit dem Ventilator und einem Glas
Wasser hinter dem Tresen und haben auf Patienten gewartet.
„Sommerloch“, wurde dieses Phänomen genannt.
Es
war meine erste Famulatur, die einigermaßen gut lief. Eine Freundin
hatte mir die Praxis empfohlen und ich weiß nicht, ob sie ein paar
Worte über meine Schüchternheit verloren hat und die Notwendigkeit
mich am Anfang ein wenig an die Hand zu nehmen. Auf jeden Fall hatte
es gut funktioniert. Jeden Tag hatte ich ein paar Aufgaben mehr, ich
wurde super in das Team integriert und die Geschäftigkeit tat mir
gut.
Dort
zu sein war eine Oase in meinem Chaos, das mich umgeben hat. Ich
wusste von Anfang an, dass es nur auf Zeit sein würde. Dass ich
zurück gehen würde.
Ich
hatte längst aufgehört zu reden. Während ich am Anfang versucht
habe meinem Umfeld die Ohnmacht zu erklären, die sich in mein Leben
geschlichen hatte, die Angst, das Gefühl des Getriebenseins, hatte
ich irgendwann damit aufgehört. Es hatte keinen Zweck. Ich wurde
nicht verstanden. Und die die es verstanden hatten waren der
Auffassung, dass so eine Phase auch irgendwann wieder vorbei sein
muss.
Ich
war ein Fliegengewicht. Das Essen hatte ich beinahe eingestellt. Wenn
wir nachmittags auf Hausbesuchen waren und ein Sommergewitter für
einige Tage kühle Luft in die Stadt gebracht hatte, hatte ich nicht
selten blaue Lippen. Es war mir peinlich. Aber ich konnte es nicht
ändern.
Im
Nachhinein glaube ich, dass er der unbwusste Schrei nach Hilfe war.
Wenn Reden nichts bringt, dann geht es vielleicht so.
Es
war irgendwann – schon gegen Ende der Famulatur – als die Ärztin
und ich auf dem Weg zu einem Hausbesuch waren. Sie war noch schnell
beim Bäcker gewesen und hatte sich etwas zu essen geholt. „Du
musst auch etwas essen“, sagte sie und hielt mir die Tüte hin.
Der
Patient wohnte nicht weit weg – deshalb gingen wir zu Fuß. Auf dem
Weg dorthin, berichtete sie mir von zwei essgestörten Kommilitonen
in ihrem Studium. Ich hörte eine Weile mehr oder weniger zu, bis mir
irgendwann klar wurde, worauf das jetzt hinaus lief. „Und wie sieht
das bei Dir so aus?“, fragte sie, nachdem sie ihren kleinen Bericht
beendet hatte.
Noch
bevor ich so richtig darüber nachdenken konnte, wie sehr es erwartet
wurde um jeden Preis ein geordnetes Leben nach außen hin
vorzutäuschen, antwortete ich: „Es gab da mal so eine Story.“
Ich
habe gefühlt, wie meine Beine unter mir wackelig wurden, wie mir
schwindelig wurde und mein Atmen eher zu einem Keuchen wurde.
Das
war das Ende und gleichzeitig ein Anfang.
Am
Tag danach saß ich in ihrem Sprechzimmer auf der Untersuchungsliege.
Die Beine baumelten von der Liege und es war schon Nachmittag. Alle
Patienten waren gegangen und es lag eine eigenartige Ruhe in den
sonst so von geschäftigen Treiben gefüllten Räumen.
Und
dann erzählte ich sie. Die Geschichte.
Ich
erzählte auch, dass ich keine Ahnung habe, wie ich zu Hause die
Wochen vom Ende der Famulatur bis zum neuen Semester überbrücken
sollte. Die Sache mit den Suizidgedanken ließ ich raus, aber
vielleicht ahnte sie das ohnehin längst – ich weiß es nicht.
„Wenn
Du magst, kannst Du eine Weile bei mir wohnen“, hat sie mir
angeboten.
Normalerweise
hätte ich das abgelehnt. Aber es war nicht mehr normal. Es war
nichts mehr in irgendeiner Weise normal.
Wenige
Tage später – und den Moment werde ich wohl niemals vergessen –
stand ich mit einem Koffer und einem Rucksack an der Bahnhaltestellte
und war auf dem Weg in die Ungewissheit.
Ich
wusste, ich komme nicht mehr zurück. Aber ich wusste auch nicht, wo
ich leben sollte.
Es
folgte ein Monat, in dem ich durch die Hölle gegangen bin.
Es
lag weniger an der Ärztin – die hat sich wirklich Mühe gegeben,
mein stundenlanges Weinen ausgehalten und wenn ich gerade nicht
geweint habe, dann haben wir geredet.
Ich
wusste nie, wo ich in der nächsten Woche wohnen würde. Bei ihr
konnte ich langfristig nicht bleiben – sie hatte keinen Platz.
Ich
wusste, mein Leben würde nie wieder so sein, wie es mal war. Nur wie
es werden würde, das wusste ich auch nicht. Ich wusste, dass ich
krank war. Dass es schwierig sein würde für mich, allein zu leben,
weil ich mich selbst so oft nicht halten kann. Ich wusste, dass
Wohnraum in meiner Studienstadt teuer war und ich es mir nicht würde
leisten können.
Auch
wenn es irrational war, weil sie es nie zugelassen hätte, dass es so
endet, hatte ich Angst auf der Straße zu landen.
Psychiatrisch
war ich damals schon angebunden. Ohne die Einrichtung dort und ohne
meine Freundin im Rücken, der ich es wahrscheinlich zu verdanken
hatte die letzten Jahre davor überlebt zu haben, weil sie etwas wie
eine farbenfrohe Blume in meiner grauen Welt war, hätte ich das
wahrscheinlich nicht gemacht.
Dem
Psychiater hatte ich davor nie alles erzählt. Er kannte Ausschnitte,
aber nicht alles. Solange, bis ich in der Zeit emotional so instabil
war, dass man mich eigentlich nur schief anschauen musste, um mich
zum Kippen zu bringen.
Es
war eine Zeit, in der ich mehrmals knapp an einer Einweisung vorbei
geschlittert bin. Zu dem Zeitpunkt wollte ich das nicht. Ich brauchte
die Zeit und die Freiheit um mein Leben bis zum neuen Semester sowiet
zu organisieren, dass ich zumindest studieren kann.
Ich
glaube ab und an hat er mich auch nur gehen lassen, weil ich ihm
erklärt habe, dass ich bei einer Ärztin wohne und die gut auf mich
aufpasst.
Es
hat einen Monat gedauert, bis ich einen neuen Ort zum Leben gefunden
hatte. Aber auch da dauerte es noch sehr lange, bis endlich ein
bisschen etwas wie Ruhe in mein Leben kam.
***
Ich versuche jetzt mal meine Scripte zusammen zu fassen. Ich muss nur rein kommen. Wenn ich meine Gedanken einmal darauf fokussiert habe, wird es gehen.
Ich versuche jetzt mal meine Scripte zusammen zu fassen. Ich muss nur rein kommen. Wenn ich meine Gedanken einmal darauf fokussiert habe, wird es gehen.
Alles
Liebe
Mondkind
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