Die drei Teile



Wir haben es geschafft. So fast zumindest. Es ist nicht mehr weit.
Wenn ich auf das Chaos der letzten Tage zurück blicke, dann frage ich mich schon, wie das vier Monate lang so gehen soll.
Und ab dem Wochenende wird nicht alles gut sein. Das Kopf – Karussell schaltet sich nicht einfach aus, nachdem sich die Themen einmal so verhakt haben und so zerdacht worden sind. Aber ich muss am Wochenende nicht mehr funktionieren (ein bisschen schon, weil ich bei meinem Vater bin und außerdem an den Enspurt – Scripten feilen muss), aber nicht mehr ganz so sehr, wie in dieser Woche.

Und dann können wir am Montag in der Ambulanz Ordnung in all das Chaos bringen.

Der letzte Freitag in der Ambulanz – der hat schon Spuren hinterlassen. Ich frage mich manchmal, ob das nur mir passiert, dass es nach solchen Terminen im Hirn so abgeht. Oder ob das auch bei anderen so ist.

Vielleicht muss man das am Ende akzeptieren, dass wir zu dritt sind. Wahrscheinlich hinkt der Vergleich total, aber ich finde man kann das ein bisschen mit Freuds Instanzenmodell vergleichen. Das „Es“, der Teil, der triebgesteuert ist und so gar keinen Bock mehr hat. Und weil der auch überhaupt nichts davon hält ein bisschen vorausschauend zu denken und nur auf Bedürfnisbefriedigung aus ist, sieht er den einzigen Weg darin, das Leben nicht mehr weiter zu führen. Der denkt aber nicht daran, dass es bessere Zeiten geben wird. Dass wir vielleicht irgendwann alles (was auch immer alles ist) lösen werden, dass es uns gut geht und dass es so viel gibt, das es da draußen noch zu erleben gilt. Darauf aufzupassen, dass das klappen kann, ist die Aufgabe des positiven Teils in mir – analog zum „Über – ich“. Das „Über – ich“ ist in der Freudschen Theorie ein bisschen der Moral – Apostel und sorgt außerdem für gesellschaftliche Anpassung. Und letzten Endes geht es dabei auch nicht nur um mich selbst, sondern auch darum, dass ich nicht einfach gehen kann, wann es mir gefällt. Das ist halt immer die Frage, ob es egoistisch ist oder nicht und ein ganz anderes Thema, über das ich mich an der Stelle nicht auslassen mag.
Und dann gibt es das „Ich“. Und… - ja, das muss alles irgendwie vereinen, einen Weg finden „Es“ und „Über – ich“ zufrieden zu stellen und alles in eine Person integrieren. Das „Ich“ trifft die Entscheidungen, die im Jetzt wichtig sind.

Und mein „Ich“ ist sehr diszipliniert und bringt uns drei seit Jahren durch dieses Leben, obwohl das „Es“ meckert, so lange wie ich denken kann.

Wir stehen auch jeden Morgen zu dritt auf – und während des „Es“ meist sofort wach ist, brauchen die anderen beiden meist mindestens noch einen Kaffee. Aber letzten Endes kommt mir die Hoffnung glaube ich immer ein wenig kleiner vor, als sie ist. Oder auch das „Über – ich“. Das fühlt sich für mich immer an, als würde es ganz viel wollen und ganz viel Verantwortungsbewusstsein haben, aber das gar nicht an das „Ich“ herantragen können, weil das so sehr mit dem „Es“ beschäftigt ist, sobald wir wach sind.
Aber… - solange, wie wir jeden Morgen aufstehen, solange, wie wir für eine Zukunft kämpfen, solange, wie wir uns Hilfe suchen und die annehmen – solange reicht das vielleicht für den Anfang. Denn neben ganz viel Verzweiflung ist da eben auch Hoffnung. Das war auch in der Klinik so. Klar – niemand ist da besonders gern und besonders freiwillig – auch wenn es formal oft dann doch freiwillig ist. Aber man könnte seine Zeit besser verbringen. Aber man ist dort, weil es Resthoffnung gibt. Weil es irgendwo doch noch etwas in einem gibt, das hofft die Zukunft erleben zu können. Ansonsten würde man sich die schlauen Sprüche der Psychologen (die zumindest sie für schlau halten...) nicht wochenlang anhören. (Klar, die können auch nett sein, das waren aber maximal 40 % der Zeit. Aber nett sein ist eben auch nicht deren Job...)

Am Ende stellt sich mir immer noch die Frage, was das „Es“ eigentlich will.
Warum es so unglücklich ist. Oder so leer.
Denn eigentlich… - ich glaube, wir haben eine ganze Menge hinbekommen im letzten halben Jahr. Ich bin in meine Studienstadt gezogen, ich habe Freunde gefunden und führe jetzt bessere Freundschaften, als ich sie je hatte (okay, die Freundschaften davor – da war ich auch noch 10 Jahre alt oder so; da geht es nicht um tiefgreifende Themen). Es gibt Menschen um mich herum, die ich als sehr wertvoll empfinde und von denen ich froh bin, sie gefunden zu haben.
Ich habe ein Studium, das mich später in einen sehr sinnstiftenden Beruf führt und ich habe es geschafft hier meine Nische zu finden, nachdem ich lange dafür kämpfen musste. Es war gar nicht so, dass ich nach dem Abi nicht wusste, was ich wollte. Es gab nur viele Dinge, die kategorisch abgelehnt wurden. Man kann natürlich sagen: Mit 19 Jahren kann man sich über seine Eltern hinweg setzen, aber ich konnte das damals noch nicht. Neben der Fliegerei fand ich Neuro und Psychiatrie schon früher spannend. Ob das nun aus meinen eigenen Erlebnissen herrührt oder nicht, ist dabei ja eigentlich völlig zweitrangig. Im Prinzip hatte ich vor gleich Psychologie zu studieren mit dem festen Ziel eine Therapeutenausbildung dran zu hängen. Aber das ist finanziell nicht ganz einfach. Wahrscheinlich hätte man sich beim Studentenwerk oder wo auch immer erkundigen können. So groß und böse ist die Welt nämlich manchmal gar nicht, aber so weit war ich damals nicht und von Unis hatte ich erst recht keine Ahnung. Aber das macht alles nichts. Ich werde meinen Weg auch so finden und vielleicht ist ein medizinischer Hintergrund am Ende gar nicht schlecht, sodass es doch am Ende gut wird. Und außerdem ist es nie zu spät für irgendetwas.

Ich weiß nicht, warum ich bisher alles irgendwie hinbekommen habe und damit auch dem „Es“ gezeigt habe, dass wir das Glück haben, dass es irgendeinen unfassbar disziplinierten Teil in mir gibt, sodass am Ende doch alles irgendwie funktioniert und das „Es“ trotzdem so unzufrieden ist. Ich weiß nicht, was es stört, was für diesen Teil in mir so schief läuft, dass es einfach unfassbar verzweifelt ist. Denn eigentlich will auch das „Es“ nicht sterben. Das will nur, dass es aufhört. Das darf ich nie vergessen. 
Ich habe nur ab und an das Gefühl: Je mehr Positives ich mir um mich herum aufbaue, desto unglücklicher wird das "Es". Ein bisschen merkwürdig... 

Es kann doch nicht sein, dass da nur ein paar Synapsen falsch verschalten sind… und klar, es war nicht immer einfach in der Vergangenheit, aber ich würde mal nicht behaupten wollen, ein Trauma davon getragen zu haben. Und bitte wo läuft alles immer so, wie man es sich wünscht? Das gibt es überhaupt nicht…

Vielleicht muss das erstmal ein zentraler Teil werden. Herausfinden, was dem „Es“ fehlt. Um sich dann vielleicht mit ihm zu versöhnen, sodass irgendwann doch noch der Teil in meinem Leben kommt, indem wir nicht gegeneinander, sondern miteinander durch dieses Leben gehen. 

Jetzt werde ich nachher erst mal versuchen hier noch ein wenig aufzuräumen und dann nochmal möglichst viel zu schlafen heute Nacht, um morgen die letzte Klausur bestehen zu können.

Alles Liebe
Mondkind


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