Famulatur - Erinnerungen



In der letzten Zeit beschäftigt mich die Organisation des PJs sehr. Mein Wahltertial in meinem Wunschkrankenhaus machen zu können, wird nicht so einfach werden – insbesondere, da wir ein neues Vergabesystem der Plätze haben, das die ganze Sache sehr unflexibel macht. Der Oberarzt, der sich in der Verantwortung sieht sich darum zu kümmern, dass es dennoch klappt, sieht sie ganze Sache sehr locker. Meiner Meinung nach viel zu locker. „Sollte es nicht klappen, werde ich im Nachhinein aktiv werden und Dich holen“, hat er mir letztens geschrieben.
Mir wäre es lieber, würde er im Vorhinein aktiv werden…

Jedenfalls… - ich erinnere mich in letzter Zeit sehr oft an meine letzte Famulatur dort – insbesondere an die guten Momente. An die Dankbarkeit so mancher Patienten. An meinen ersten Schlaganfallpatienten, den ich von der Einlieferung bis zur Entlassung unter Aufsicht betreuen durfte. Ich erinnere mich auch daran immer ein wenig stolz gewesen zu sein, wenn ich aus irgendwelchen Befunden das richtige Krankheitsbild in meinem Kopf zusammen gebastelt hatte.

Dort habe ich eines Nachmittags auch mal meinen ersten Brief geschrieben. Eigentlich war der Tag gar nicht so super gewesen und ich kam mir ziemlich unnütz vor. Alle anderen waren im Stress gewesen und es hatte keiner Zeit gehabt, mir etwas zu erklären, oder mich etwas machen zu lassen, das dann etwas länger gedauert hätte. Und am Nachmittag habe ich dann noch einen letzten Versuch gestartet und gefragt, ob ich ihnen irgendetwas abnehmen kann. „Du kannst Briefe schreiben“, war die Aussage. „Du willst doch jetzt nicht die Famulantin Briefe schreiben lassen“, kommentierte ein Anderer. „Da kannst Du sie ja auch gleich Kaffee kochen lassen.“ Der, der den Vorschlag gemacht hatte argumentierte, dass das später ohnehin mit das Hauptgeschäft sein wird und je eher man das lerne, desto besser sei es. Ich könne es ja versuchen. Das habe ich dann auch gemacht und ich war mir total unsicher, als ich den ersten Brief vorgezeigt hatte, aber die waren alle wirklich begeistert und seitdem hatte ich jeden Nachmittag eine Aufgabe. Es mag sein, dass mir das nach ein paar Dienstmonaten auch zum Hals raus hängt, aber mir hat es eigentlich Spaß gemacht und für die Anderen war es eine große Erleichterung.

Ich erinnere mich auch gerne an unsere Mittagspausen. Die haben nicht regelmäßig stattgefunden – wo tun sie das schon – aber wenn wir Zeit hatten und schönes Wetter war, haben wir uns immer zusammen raus gesetzt und haben dort gesessen.

Und am Wochenende war ich auch gern dort – da durfte ich oft in der Notaufnahme sein und das war ab und an ziemlich spannend. Außerdem war die Besetzung am Wochenende immer etwas dünn und alles war ein bisschen privater. Da kam es auch vor, dass ich mit dem Oberarzt, der sich jetzt so sehr für mich einsetzt, in seinem Büro gesessen habe, wir Kaffee getrunken haben und über meine Pläne und Möglichkeiten sinniert haben.

Abends habe ich oft auf den grünen Sofas im Eingangsbereich des Rehagebäudes gesessen, in dessen Keller in gewohnt habe. Zum Einen war es der einzige Ort in diesem Haus, an dem es Internet gab und zum Anderen saßen da immer ein paar Leute herum und ich war – obwohl man eigentlich nicht miteinander redete – gefühlt nicht so allein.
Mit mir saß sehr oft ein älterer Herr im Eingangsbereich. Wir wünschten uns regelmäßig einen guten Abend und dann setzte er sich ein paar Meter entfernt von mir in seinen Sessel und las in einem Buch, während ich mich wieder meinen Studien zuwandte, oder ein paar Mails schrieb.
Eines Abends setze er sich neben mich und fragte, was ich in dem Krankenhaus eigentlich mache und wieso ich jeden Abend so vertieft in meinen Laptop bin.
Ich berichtete ihm von der Famulatur drüben im Nachbargebäude auf der Neurologie und erzählte ihm, dass ich abends versuche noch ein paar Texte für die Doktorarbeit zu lesen und zusammen zu fassen. Er war sehr interessiert in die Doktorarbeit und ich erklärte ihm, worum es ging. Es ist gar nicht so einfach einem Laien zu erklären, was ich da eigentlich vorhabe. Irgendwann berichtete er mir dann von seinem Herzinfarkt, der ihn in die Kardiologie gebracht hatte und anschließend in die Reha.  Deshalb liefen wir uns auch jeden Abend über den Weg – nur während er am Ende des Abends hoch in den vierten Stock fuhr und von dort aus die Aussicht über die Stadt genießen konnte, fuhr ich wieder in den Keller, in dessen Räumen immer ein dezent modriger Geruch hing.
Irgendwann erklärte er mir, dass er auch aus dem medizinischen Fachbereich komme. „Na toll, das hätte er ja schon mal eher sagen können“, dachte ich mir. Nachdem ich ihm umständlich die Basics der Kardiologie näher gebracht hatte, um die Doktorarbeit zu verstehen, stellte sich heraus, dass das vollkommen unnötig war.
Psychiater sei er gewesen, wie er hinzufügte, bevor er einige Jahre zuvor in Rente gegangen sei und seinen Oberarztposten der jüngeren Generation überlassen habe.
„Aber Sie sind schon mal kein Fall für mich, Sie machen das schon...“, merkte er mit einem Augenzwinkern an. Es war ein Moment, der mir seltsam das Herz zerriss. Damals wusste ich freilich noch nicht, dass ich weniger als ein Jahr später nicht nur ein Fall für einen Psychiater war, sondern sogar in der Psychiatrie war. Und gleichzeitig bewies es aber auch, wie gut ich gelernt hatte vorzugeben, fest im Leben zu stehen, wenn das nichtmal Fachleuten auffällt. Und vielleicht – so dachte ich, kann ich es ja doch alles irgendwie schaffen, ohne dass eines Tages nochmal alles über mir zusammen klappt, weil der Weg bis an diesen Punkt scheinbar noch weit ist.

Wahrscheinlich wäre es ohne dieses fragwürdige Talent gar nicht möglich gewesen, von der Klinik aus in die Uni zu gehen. Das fand selbst ich – die schon Jahre Übung darin hat, eine Fassade vor sich aufzustellen – extrem anstrengend, morgens ein ganz normales Leben zu leben, den Ansprüchen der Uni gerecht werden zu müssen und nach der Uni zurück in die Psychiatrie zu fahren. Schon allein die Vorstellung ist ja ziemlich abstrus, aber das zu leben ist nochmal ein Schritt mehr.
Und vielleicht kann ich es den Leuten in der Klinik nicht verübeln, dass die gar nicht mitbekommen haben, wie sehr es mich dort in den letzten Wochen zerrissen hat, denn auf Kommando die Fassade fallen lassen, kann ich auch nicht. Überhaupt fiel die glaube ich auch nur ein Mal so richtig und das hat glaube ich, alle überfordert. Mich selbst natürlich, weil es mir so unangenehm war, so verletzlich im Raum zu stehen und so viel Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen und die Anderen aber auch, weil sie mich so nicht kannten und etwas verwirrt davon waren.

Ob es mit dem PJ fernab meines Studienortes klappen wird, weiß ich noch nicht. Und ich werde mich wohl auch noch eine Weile gedulden müssen und werde – auch wenn es nicht klappt und damit meine Verpflichtung, das jetzt alles unbedingt schaffen zu müssen – trotzdem dem Lernplan folgen müssen, um zumindest endlich erstmal das Examen zu machen. Spätestens Ende Februar werde ich es wissen und ich hoffe, dass ich dann in meinem Zimmer einen kleinen Freudentanz aufführen werden kann. Aber auch sonst darf es mich erstmal nicht länger als ein paar Stunden raus hauen.

Alles Liebe
Mondkind

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