Letzer Unitag und Ambulanz - Nachwirkung


Mein letzter Vorlesungs/ - Seminartag. Jetzt habe ich es also auch geschafft.
Heute Morgen beehren uns die Gynäkologen noch zwei Stunden. In der zweiten Stunde geht es um Verhütung und Kinderwunsch. Das Seminar hält eine Ärztin, die ich schon in meinem Gyn – Praktikum kennen gelernt habe. Sie ist eigentlich eine wirklich angenehme Zeitgenossin und mit ihren über 60 Jahren kann man eine ganze Menge von ihr lernen. Heute morgen steht sie mit leicht geröteten Augen und zerzausten Haaren vor uns. Sie erklärt, dass sie gerade aus dem Nachtdienst kommt und wir das Seminar jetzt mal ein wenig abkürzen, damit sie ins Bett kann.
Schlagartig wird mir klar, dass es nicht mehr lange dauert, bis ich mich auch in dieser Situation wieder finde. Aber kurz vor der Rente noch im Schichtdienst arbeiten – alle Achtung.

Auch Pädiatrie steht heute nochmal auf dem Plan. Von einem Kinder – Epileptologen hören wir etwas über Epilepsien im Kindesalter. Das ist schon alles ein wenig speziell, aber ich mit meiner Vorliebe für die Neuro bin hier genau richtig aufgehoben.
Mein – vor dem Examen letztes Seminar – dreht sich dann um die Erkrankungen von Frühgeborenen. „Wir wollen ja ein Seminar machen – da brauchen wir keinen Computer“, leitet der Neonatologe ein und drückt auf den „Aus“ – Knopf am Pc. (Vernünftig herunter fahren… - nö Wieso?)
Es ist ein Seminar, wie es das in meinem Studienleben viel zu selten gegeben hat. Wir sitzen alle um einen Tisch herum und diskutieren die wichtigsten Organe durch, an denen es bei Frühgeborenen zu Problemen kommen kann.
Das sind dann die Seminare, die man am Ende des Tages kaum noch lernen muss, weil man sich schon so intensiv damit beschäftigt hat, dass die Informationen direkt in das Gehirn gerutscht sind.

Und dann steht die Ambulanz auf dem Programm. Nachdem ich mir gestern Abend ein paar Gedanken gemacht habe, weil sich da schon gerade ein Thema zwischen meinen Gehirnwindungen herum treibt, ich es aber nicht so richtig zu fassen bekomme, habe ich mir gedacht, dass wir das heute ja auch mal gemeinsam erarbeiten können (und wohl auch müssen…)
Als Einstieg kommt das Übliche. Wie geht es Ihnen? Haben Sie Ihre Sozialkontakte aufrecht erhalten? (eindeutig ja ;) ) Wie sieht es mit der Lernerei für die nahende Klausur aus? Was macht die Doktorarbeit? Und nicht zu vergessen – das Lieblingsthema: Wie steht es gerade mit dem Examen in puncto Planung?

Als das dann alles durch ist, kann ich auch mal darauf zu sprechen kommen, dass mich da irgendwie gerade etwas bewegt von dem ich nicht genau weiß, was es ist. Es knüpft aber irgendwie auch an die letzte Stunde an. Das ist halt immer so das Problem. Wenn die letzte Stunde fast zwei Wochen her ist, dann ist es schwierig an die Thematik anzuknüpfen.

Es geht um das Paradoxon in mir. Um das Paradoxon auf der einen Seite eine ganz normale, beinahe überdurchschnittlich gute und engagierte Studentin zu sein. Eine Studentin, die jede Klausur irgendwie hinbekommen hat, die mit den Patienten – unabhängig davon wie es ihr geht – beinahe immer zurecht gekommen ist, die sich auch im privaten Umfeld immer wieder für andere einsetzt und eine psychiatrische Krankheit scheinbar „so eben nebenbei“ löst.

Und auf der anderen Seite gibt es auch den Teil, der sich jeden Morgen - schon bevor auch nur ein Viertel meiner grauen Zellen die Arbeit aufgenommen hat fragt - warum ich das eigentlich alles mache? Der Teil, der das eigene Handeln immer und immer wieder in Frage stellt, der keinen Sinn findet und keine Freude an dem, was er tut. Der Teil, der das eigene Handeln als Automatismus versteht, als einen Mangel an Alternativen, weil gar nicht klar ist, wie Alternativen gefunden werden sollen, wenn sich selten ein Gefühl von Glück und Zufriedenheit einstellt. Es gibt den Teil, der jegliches Handeln als Teil einer gesellschaftlichen Anpassung betrachtet.

Und wenn ich das so anschaue, dann frage ich mich, was da eigentlich „falsch“ ist. Habe ich ein Recht darauf zu behaupten, dass es alles irgendwie schwierig ist, wenn es am Ende doch immer funktioniert? Sind meine ständigen Ambulanzbesuche nicht am Ende völlig ungerechtfertigt? Und in wie fern ist das am Ende vielleicht alles völlig „normal“? Geht es jedem Menschen so? Denkt jeder Mensch täglich über den Sinn nach, stellt sich selbst immer und immer wieder in Frage, empfindet die Schwere auf sich als beinahe unerträglich?
Ich weiß es nicht. Ich kann mich nicht erinnern, dass das jemals anders gewesen ist.
Aber es ist irre anstrengend. Denn im Grunde geht ein Großteil der Energie dafür drauf, einfach „normal“ zu sein.

Das seien schon zwei sehr entgegen gesetzte „Teile“, merkt die Therapeutin an und sie verstehe, dass das schwierig zu vereinen ist. Und dann kommt das Examen wieder ins Spiel. Unabhängig davon was ich später daraus mache, sei es doch für mich gut und auch als Ziel annehmbar, erstmal das Examen zu bestehen und das würde ja schließlich einen Sinn vermitteln.

Und dann komme ich wieder ein wenig ins Schwimmen. Vielleicht fällt es mir deshalb so schwer über dieses Thema nachzudenken, weil ich weiß, wie unverständlich die Denkweise für andere erscheinen wird.
Mir selbst geht es gar nicht so sehr darum, das Examen zu bestehen. Ich weiß, dass mein Verharren vor dem Schreibtisch zu einem Automatismus geworden ist und ich weiß, dass ich mich da jeden Tag brav hinsetzen werde. Aber allein bis ich fertig studiert habe, wird es Mitte 2019 sein. Das sind noch rund anderthalb Jahre. Und da ich mir langfristig absolut nicht vorstellen kann so weiter zu leben, ist es halt sehr fraglich, ob mich das Examen so viel weiter bringt. Für mich ist es immer noch so, dass ich den Karren eines Tages vor die Wand fahre und es das dann gewesen ist und ob ich das noch anderthalb Jahre schaffe – das weiß ich nicht. Und dann würde halt auch das Examen nicht viel bringen.

Wir reden darüber, dass ich lernen muss mit den beiden Teilen in mir umzugehen und diesen destruktiven Teil auch mal zum Schweigen bringen muss, weil der natürlich auch viel kaputt macht.
 „Sie können natürlich nicht den anderen Teil einfach vor die Tür setzen – da müssen wir mal Strategien entwickeln.“
In dem Moment habe ich wieder überlegt, was ich sagen kann und für den Fall sind die Zettel eben immer ganz gut. Denn ehrlich gesagt habe ich auch keine Lust dazu, den Teil vor die Tür zu setzen. Manchmal bin ich froh um diesen Teil. Das kann man aber nur verstehen, wenn man nicht unbedingt einen Überlebenswillen voraus setzt – was die Therapeutin aber wahrscheinlich tut.
Nicht nur, dass er mir zu einer Distanz zu mir selbst verhilft und diesen Wahnsinn manchmal einfach für eine gewisse Zeit ein bisschen von mir fern hält, sodass mir diese Gegensätzlichkeit nicht so bewusst ist.
Manchmal hoffe ich auch geradezu, dass es durch diesen Teil wieder kracht.
Ich hoffe, dass er die Oberhand gewinnt, dass er mir hilft zu vergessen an all meinen moralischen Anstand zu denken, dass er mir so viel Distanz zu mir selbst vermittelt und mich selbst so unüberlegt und unberechenbar handeln lässt, dass es danach einfach für immer vorbei ist. Ich fürchte bewusst werde ich diese Entscheidung aus Rücksicht auf mein Umfeld kaum je treffen können und dennoch hoffe ich, dass sie im Nebel meines Hirn irgendwann mal fällt.
Ich fürchte, ich kann das so nicht sagen, aber einen anderen Plan habe ich nicht. Ich weiß nur, dass ich es so nicht mehr jahrelang aushalten werde und dass es ab einem gewissen Grad von allein so werden wird, dass das Dunkel in mir überhand nehmen wird und dass dann irgendwann hoffentlich der Punkt kommt, an dem ich selbst mich nicht mehr retten kann und ich es auch keinem anderen mehr erlaube.

Es ist halt so, dass in so einem Zustand auch Klinik nicht noch mal drin ist. Zum Einen klappt es mit der Zeitrechnung nicht (auch irgendwie paradox, dass eine Zeitrechnung mir wichtiger ist, als meine eigene Existenz und dass ich das so pragmatisch sehe, dass es entweder wie geplant funktioniert, oder eben gar nicht), zum Anderen kann ich in meinem Zustand kaum jemandem vermitteln, wie es mir geht. Denn es funktioniert ja immer am Ende alles irgendwie. Ich sehe mich dann mit der berechtigen Frage konfrontiert, was ich da eigentlich möchte.

Ich muss es also irgendwie selbst hinbekommen. Oder eben auch nicht und ich persönlich finde das wirklich nicht schlimm. Aber es geht um die Anderen. Je mehr Menschen in mein Leben kommen, desto mehr Menschen gibt es, die darunter leiden könnten und vielleicht war das mit ein Grund, warum ich dort lange niemanden hin lassen wollte. Eine Freundin meinte letztens schon: „Mondkind, Du gehst vier Monate im PJ weg von hier?! Das ist ja eine halbe Ewigkeit….“ Und das ist nichts im Vergleich zu „für immer“.
Mit den Menschen, steigt die Verantwortung. Man kann eben nicht einfach aus einem sozialen Gefüge verschwinden und der Meinung sein, dass das Loch sich dahinter wieder schließt.

Nachdem ich dann irgendwelche Halbwahrheiten raus gehauen habe – zumindest ab dem Punkt, ab dem ich gemerkt habe, dass sich ihre Augenbraue über einem kritischen Blick leicht gekräuselt hat – neigt sich die Stunde schon wieder dem Ende…
Im Prinzip hatten wir uns ein super gutes Timing überlegt. Im Moment klappt es nicht so super mit der Klausurvorbereitung und ich fand, dass es sehr gelegen kam nächste Woche einige Tage vor der Klausur nochmal einen Termin zu haben. Falls es wirklich gar nicht geht, wäre das der Punkt um nochmal Ordnung in die Gedanken zu bringen und dann hätte ich noch zwei Tage durchstarten können. Das hätte im Zweifel gereicht, weil ich die letzten 7 Wochen auch schon mitgearbeitet habe.
Blöd nur, dass sie ganz kurzfristig nächste Woche auf einer Fortbildung ist. Das ist vor drei oder vier Wochen schonmal passiert und irgendwie ist das echt immer blöd, wenn festgesetzte Wegpunkte sich einfach so in Luft auflösen und ich mir das natürlich auch nicht großartig anmerken lassen darf. „Dann ist das wohl so“, kommentiere ich und merke an, dass wir dann aber neue Termine machen müssen, weil wir danach keinen mehr haben.
(Ungünstigerweise habe ich gerade heute Morgen dafür gesorgt, einen möglicherweise zweiten Termin aus der Woche hinaus zu schieben. Hätte ich ihn mal lieber dort gelassen…)

Dezember ist immer ein schwieriger Monat, aber dieses Mal wird das besonders schwierig und ich werde viel alleine zurechtkommen müssen. Gerade für die Anfangszeit des Hundert – Tage – Lernplans hätte ich mir ein wenig Unterstützung gewünscht. Dann ist es wirklich mal gerechtfertigt über das Examen zu reden und ich befürchte, bis ich da einen Lernrhythmus drin habe, wird es eine Weile dauern.
In den letzten Jahren hatten wir das sogar immer geschafft es einzurichten, dass ich zwischen Weihnachten und Neujahr nochmal vorbei schauen darf, was die ganze Sache für mich erträglicher gestaltete. So musste ich nur jeweils einen Teil der Feiertage überbrücken. Dieses Jahr sieht es so aus, als müsste ich zwischen dem 18. Dezember und dem 3. Januar alleine zurechtkommen – das ist schon irgendwie lange, gemessen an dem, was zwischendurch alles passiert.
Das ist halt der Punkt, der mich selbst immer so ärgert. Es stresst mich einfach so unfassbar, wenn die Wegpunkte so weit auseinander liegen und dazwischen eine so unberechenbare Zeit liegt. Das sollte so einfach nicht sein und im Endeffekt mache ich mir damit nur selbst das Leben sehr viel schwerer…

Heute hängt mir die Stunde irgendwie ordentlich nach. Im negativen Sinn…
Ich werde jetzt die Bude hier putzen und danach mal irgendetwas wie einen Lernplan erstellen. Wenn alles gut geht, beginnt jetzt die „Maulwurfzeit“ und ich werde die Wohnung voraussichtlich bis Mittwoch nicht mehr verlassen. Da muss ich noch ein paar Scheine zur Uni tragen…

Alles Liebe
Mondkind

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