Gedanken zum Thema "zu Hause"


Es ist im Moment ein wenig ruhiger hier. Meine Akkus sind ziemlich leer – am Donnerstag hat es ordentlich gekracht und seitdem komme ich gerade nicht so richtig auf die Füße. Vielleicht sollte ich mal einen Tag entspannen zwischendurch – so mein Kopf das zulassen würde.

Auch meine Fähigkeit Tatsachen oder Überlegungen in Worte zu fassen, ist in solchen Zeiten immer etwas eingeschränkt…



***



Es ist eine Weile her, dass ich mir das letzte Mal intensiv über das Thema „zu Hause“ Gedanken gemacht habe.

Das Labor hat eine Eigendynamik entwickelt. Seit dem Sommer war ich in den meisten Wochen bestimmt mindestens drei oder vier Tage in der Woche dort und so nach und nach bin ich immer mehr zum „Inventar“ geworden. Mehr, als all die anderen Doktoranden, die entweder gar nicht kommen, oder sporadisch zwei oder drei Mal im Monat im Labor aus- und eingehen.



Eigentlich habe ich Orte die dafür bestimmt waren eine Heimat zu sein, fast noch nie als ein „zu Hause“ angesehen. Und wie oft sind stattdessen Orte mein zu Hause geworden, die das nie hätten werden sollen und bei denen mir das von Anfang an bewusst war?

Eigentlich hätte mein Zimmer hier eine Art zu Hause darstellen sollen. Es ist ein Raum, in dem ich all meinen Krempel untergebracht habe. Der ein bisschen so aussieht, wie ich das gern hätte. Aber der trotzdem etwas zu unordentlich ist, weil es wirklich eine Herausforderung ist, einen ganzen Haushalt in einen Raum zu quetschen. Da liegt immer irgendetwas herum. Sogar die Umzugskartons stehen hier noch, weil ich nicht so richtig weiß, wo ich die verstauen soll.



Zu Hause ist aber – das habe ich ja schon mal irgendwann geschrieben – mehr als ein Ort. Zu Hause beinhaltet auch ganz viel Zwischenmenschliches. Und das muss nicht mal viel sein.

Eine Umarmung, bevor ich morgens gehe. Ein kurzes „Wie war Dein Tag?“, wenn ich abends heim komme. Dann und wann mal zusammen essen – nicht so nebenbei mit den Gedanken schon wieder in der nächsten Lernrunde.



Ich glaube, das mit dem Labor ist ein Prozess gewesen, der mir erst jetzt bewusst wird. Als ich meinen alten Wohnort verlassen habe und dann auch noch die Klinik – was war dann noch übrig? Wenn ich ohne erst in die Stadt fahren zu müssen um wen zu treffen (was dann auch immer anstrengend ist, weil man sich irgendetwas ausdenken muss, was man denn dort macht) ein bisschen socialising betreiben wollte, blieb nur das Labor.

Ich kam ja nicht mehr nachmittags nach Hause und da war jemand. Ob nun Mensch oder Tier.



Und irgendwie ergab sich das nach und nach alles. Dass jeder Morgen Im Labor mit einer festen Umarmung beginnt und in den meisten Fällen auch mit einem Kaffee. Mit ein paar Minuten quatschen, ehe sich jeder seinen Aufgaben zuwendet. Ich habe meine Anwesenheit dort immer weiter ausgebaut – immer mit der Rechtfertigung im Hintergrund, dass ich ja auch zu tun habe. Was auch stimmt. Aber - zu Beginn noch relativ unbewusst - hatte das schon alles ein bisschen System.

Mittlerweile ist es mir auch wichtig freitags nochmal da zu sein, um vor einem langen Wochenende noch mal kurz zu reden und ein „Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende Mondkind. Und lern nicht zu viel“, zu hören und noch mal eine Umarmung zu bekommen, die für die nächsten beiden Tage reicht.

Dass der MTA in den letzten Wochen so viel mehr für mich getan hat als das, schätze ich sehr. Aber schon mit diesen kleinen Dingen hat er viel aufgefangen.



Ich habe mir letztens nochmal alte whatsApp – Verläufe durchgelesen. Von der Zeit, bevor ich von meinem alten Wohnort weg gezogen bin. Es sind schon sehr liebe Nachrichten – besonders aus der Zeit, nachdem ich ganz neu in die Klinik kam und damit überhaupt nicht zurecht kam. Dazwischen immer mal wieder ein Bild von dem Hund, den ich so sehr gemocht habe. Das waren die wenigen Stunden Auszeit, die wir beide zusammen im Wald verbracht haben.

Das zu lesen, macht mich immer noch traurig. Denn immer noch ist mir nicht klar, ob ich durch den Umzug wirklich so viel gewonnen habe. Zeit – ja: Zeit habe ich gewonnen. Ich kann noch ein bisschen mehr lernen. Aber war das das Ziel?

Vielleicht ist das auch ein Grund, warum ich mich nie aktiv bemüht habe, nochmal zurück zu kommen. Vielleicht würde mich das einfach tagelang raus hauen, weil es dann doch immer noch so nah ist.



Manchmal glaube ich, dass ich – so paradox es auch klingt – echt ein Familienmensch bin. Und das, obwohl ich mit meiner Mama und meiner Schwester jahrelang unter einem Dach gelebt habe, ohne dass man das hätte Familie nennen können.

Kleiner Exkurs: Manchmal denke ich, dass es daran liegt, dass ich mich nie bewusst von diesem Familienleben verabschieden konnte. Das brach in dem Moment zusammen, als sich meine Eltern getrennt haben und mein Vater das Haus – so wie ich viele Jahre später – mit einem Koffer verließ und sich irgendwo anders ein neues Leben aufbaute. Zwischen der Information, dass es so kommen würde und seinem tatsächlichen Auszug lagen weniger als 12 Stunden. Von vielen Dingen die Rituale waren, hatte ich zu dem Zeitpunkt an dem sie stattgefunden hatten nicht gewusst, dass es das letzte Mal war. Die letzte gemeinsame Mahlzeit mit der Familie war am Tag davor gewesen, als ich zwar schon geahnt habe was kommt, aber es doch nicht für möglich gehalten habe. Der letzte Wochenendeinkauf, den Papa und ich immer zusammen erledigt haben, der letzte Ausflug mit der Familie, der letzte Fernsehabend und noch Vieles mehr – all das hatte es nicht bewusst gegeben. Im Gegenteil, ich hatte mich danach gesehnt, dass die Zeit verfliegt, weil Papa ständig nicht da war, aber versprochen hat, dass es nach Weihnachten, im neuen Jahr wieder alles anders wird und er nicht mehr ständig unterwegs ist.

Und dann war Weihnachten und es kam alles ganz anders.

Für mich persönlich ist es immer wichtig, mit einer Sache auch emotional bewusst abzuschließen. Und für die größte und nachhaltigste Veränderung in meinem Leben hatte es das nicht gegeben. Vielleicht ist das genau der Teil, der fehlt. Vielleicht könnte ich das Alleinsein viel mehr genießen, vielleicht würde ich viel weniger auf der Suche nach etwas wie Heimat sein, wenn ich damals bewusst ein Kapitel hätte schließen können.



Um auf das Thema „zu Hause“ zurück zu kommen: irgendetwas brauchte ich danach – nach der Klinik. Als all die Menschen, die glaubten zu wissen was gut für mich ist, nicht mehr da waren. Nachdem sie mich wieder hinaus in die Welt gestellt hatten und ich von nun an wieder allein zurechtkommen sollte in einer Umgebung, in der ich mich noch nicht mal annährend orientiert hatte. Dazu war mitten im Studienblock auch keine Zeit gewesen.



Und dann kam das Labor und je öfter ich dort war, desto mehr wurde ich dort auch akzeptiert und bedacht und am Anfang hieß es noch: „Du zeigst hier Präsenz, also hast Du mit Deinen Färbungen jetzt erstmal Vorrang.“ Mittlerweile ist es eben mehr, als einfach nur Präsenz.

Es ist ein Stück „zu Hause“ geworden. Wieder mal ein Ort, der das nie hätte werden dürfen. Da hätte ich auch drauf achten müssen, denn am Ende mache ich es mir selbst damit schwer.

Das ist das Problem an solchen Orten. Man wird sie loslassen müssen. In meinem Fall im Dezember.

So ich das Examen bestehen will – was jetzt gesellschaftlich gesehen auch einfach von mir erwartet wird – muss ich die Uni in einem Monat über mein persönliches Befinden stellen und die Entscheidung treffen, dort nicht mehr hinzugehen.



Manchmal frage ich mich, was danach kommt. Dann habe ich ja wirklich nichts mehr, außer meinem Zimmer und mir.

Und manchmal frage ich mich: Werde ich das emotional schaffen?

Ich habe gar nicht mal so viel Angst vor dem Lernpensum. Ich habe einfach Angst davor, dass ich hier vollkommen verzweifle, weil ich alle Menschen aktiv aus meinem Leben geschmissen habe.



Ich glaube das hier ist ein Teil dieses Knotens, der die letzten paar Tage in meinem Kopf war. Irgendwie hatte ich es im Gefühl, dass das mit dem Labor einfach so ein existentielles Ding ist, aber mir war nicht so richtig klar, warum.  

Mittlerweile bin ich dann also mal wieder einen Schritt weiter.



Alles Liebe

Mondkind


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