Die letzten Hürden vor der Klausur
Wieder mal ein Tag erledigt. Die letzte unabsehbare Hürde vor der
Klausur ist überstanden und wenn ich jetzt morgen noch meinen MTA gefragt habe,
was heute aus den Schafherzen im Labor geworden ist, kann ich mich voll und
ganz auf die Klausur konzentrieren.
Der Tag hat sich am Ende auch ein wenig verkürzt, weil nämlich einer
der vier Programmpunkte kurzfristig aus dem Tagesplan geflogen ist. Es wäre ein
interessanter Termin geworden, hat den Tag aber entsprechend entzogen.
Noch in der Erwartung, dass das heute vielleicht alles schwierig wird
und ich heute Abend nicht mehr zu gebrauchen bin, saß ich schon kurz nach 7 Uhr
am Schreibtisch. Irgendwie fällt es mir in den letzten Tagen etwas schwerer als
üblich, aufzustehen. Aber das lässt sich lösen, indem ich den Wecker in paar
Minuten eher stelle – dann darf ich mir auch etwas mehr Zeit lassen beim
Aufstehen.
Es war so geplant, dass ich bis gegen Mittag schon mit dem Stoff von
gestern durch bin, falls ich heute Abend keine Zeit mehr dafür habe und / oder
mit den Gedanken woanders bin. Das hat auch sehr gut geklappt. Eigentlich
wollte ich heute Morgen mal ein neues Frühstücksrezept ausprobieren, das mir
letztens über den Weg gelaufen ist. Ich habe mir schon beinahe gedacht, dass es
mich zu sehr beunruhigt, mich jetzt auch noch in die Küche zu stellen, aber
vielleicht schaffe ich es am Wochenende.
Gegen Mittag habe ich mich dann noch kurz mit einer Kommilitonin
getroffen. Wir waren einen Kaffee trinken und haben hauptsächlich darüber
geredet, was man beachten muss, wenn man sich für das Examen anmeldet und wie
wir vorhaben zu lernen. Es beruhigt irgendwie ein wenig zu wissen, dass die
anderen auch noch nicht ganz sicher sind, was die beste Strategie ist, um all
den Stoff ins Hirn zu bekommen. Und es ist auch beruhigend zu wissen, dass ich
nicht die Einzige bin, die Ärger mit der Organisation des PJs hat. Auch bei ihr
hakt es derzeit etwas.
Und dann war es auch schon Zeit, um sich auf die Socken in die
Ambulanz zu machen. Ich habe mir gar nicht so viel zurecht gelegt, wie ich
meine Punkte gern ansprechen würde – das nützt ja meist ohnehin nichts. Aber
als ich im Wartezimmer saß und gemerkt habe, dass meine Finger ein wenig zittern
und meine Atmung etwas schneller als sonst ist, habe ich mir schon überlegt, ob
es nicht klüger gewesen wäre, zumindest ein Konzept im Kopf zu haben.
Sogar ein paar Minuten vor der Zeit hat die Ärztin mich zu sich ins
Büro geholt.
„Wir haben uns ja eine Weile nicht gesehen“, beginnt sie. „Wie geht es
Ihnen denn?“.
Ich erkläre, dass die Uni im Moment läuft, ich ein wenig gestresst bin
von der herannahenden Klausur und von der Doktorarbeit, deren Umfang im Moment
auch wieder ein wenig aus dem Ruder läuft. Aber Besserung ist ja nach der
Klausur erstmal in Sicht, also kann ich nicht klagen.
Es ist ein guter Start und sie nagelt mich auch nicht gleich auf
irgendwelche Themen fest. Worüber die Doktorarbeit denn genau sei, fragte sie.
Ein bisschen habe ich mich gefragt, wofür diese Info jetzt wichtig ist und noch
mehr habe ich mich gewundert, dass sie während meiner Antwort fleißig auf ihrer
Tastatur herum gehakt hat – ich wüsste nicht, was diese Info im Verlauf zu
suchen hat. Auf die Frage hin, wie es im Moment dort läuft, erkläre ich, dass
wir jetzt mit einer neuen Versuchsreihe starten und ich nicht weiß, wann ich
die noch unterbringen soll in meinem Zeitplan der nächsten Monate, aber dass
ich jetzt einfach mal sehen werde, was da kommt. Dass es mit der Doktorarbeit
immer wieder an allen Ecken hakt, haben die in der Ambulanz auch schon mitbekommen
und die Ärztin meinte, dass sie es gut findet, dass ich das mit Humor nehmen
kann. „Naja, ich kann es ja ohnehin nicht ändern. Da nützt es auch nichts, sich
aufzuregen“, erkläre ich. Dass das Labor für mich ein Ort geworden ist an dem
ich sehr gern bin – obwohl es nicht recht funktioniert – führe ich jetzt nicht
aus.
Sie möchte wissen, wie der Plan jetzt bezüglich Uni aussieht und ich
erkläre, dass bald die letzte Klausur ist, danach nochmal Doktorarbeit und dann
hauptsächlich Examensvorbereitung ansteht. „Dann haben Sie also vier Monate Zeit“,
fragt sie ein wenig ungläubig. Naja –
für jemanden, der 30 Tage gelernt hat, ist das wahrscheinlich verdammt viel. „Ja“,
erwidere ich. „Aber vielleicht mache ich nebenbei auch noch ein wenig
Doktorarbeit oder so“, stelle ich mal in den Raum. Ob ich das wirklich mache
weiß ich nicht – ich könnte mir sogar vorstellen, dass mir das Projekt am Ende
keine Ruhe lässt, aber geplant ist es eigentlich tatsächlich nicht.
Bisher bin ich sehr überrascht, wie angenehm das Gespräch verlaufen
ist. So habe ich sie ja lange nicht mehr erlebt. Ein wenig frage ich mich, ob ich mich jetzt ernsthaft noch einmal auf dünnes Eis begeben soll,
aber es nützt ja nichts…
„Es gibt da noch ein Problem mit den Medikamenten“, beginne ich. „Ja?“,
fragt sie mir zugewandt.
Und dann erkläre ich, dass ich das Quetiapin nicht mehr nehme und seit
Neuesten auch das Elontril nicht mehr. Ich musste ihr das zwei Mal erklären,
denn irgendwann kam der berechtigte Einwand: „Also ich war auf dem Stand, dass
wir das Quetiapin das letzte Mal auf einer niedrigen Dosis drin gelassen
hatten.“ Damals hatte sie ja auch nicht wirklich Ambitionen gehabt zuzuhören,
aber das sage ich so natürlich nicht.
„Was nehmen Sie denn dann jetzt noch…?“, fragt sie und sucht
irgendetwas in ihrem PC. „Naja… nichts….“, antworte ich.
Ich füge aber hinzu, dass mir bewusst ist, dass es mit dem Elontril
irgendwie nicht ganz logisch ist. Immerhin hätte man eine Reaktion auf das
Medikament viel früher erwartet und nicht so mittendrin, aber es hat sich nun
mal gezeigt, dass es ohne dem Medikament meiner Haut besser geht und ich auch
besser schlafen kann.
„Und wie geht es Ihnen psychisch damit?“, fragt sie. Ich erkläre ihr,
dass ich bisher nicht viel gemerkt habe und dass ich – wenn ich ehrlich bin –
auch noch nie so sehr den durchschlagenden Effekt von Psychopharmaka gemerkt
habe.
„Dann ist es aber sehr wichtig, dass Sie in den nächsten Wochen
besonders gut auf sich aufpassen und sich sofort hier melden, wenn es
schlechter wird. Können Sie mir das versprechen?“, fragt sie. „Ja“, erwidere
ich so deutlich wie möglich.
Sie blättert in meiner Akte herum. „Wann war denn das letzte EKG?“,
fragt sie. „Das ist eine Weile her“, erkläre ich. „Vermutlich in der Klinik“,
sagt sie… Sie hat es erfasst, ja.
„Dann schreibe ich Ihnen jetzt mal eine Überweisung…“ Und nach einer
kurzen Pause. „Haben Sie einen Hausarzt?“. „Nein, zumindest nicht hier“, erwidere ich. „Okay,
dann gehen Sie rüber in die Tagesklinik. Ich komme gleich mit vor und wir
klären das.“
„Aber bitte nach der Klausur“, gebe ich zu bedenken. Sie fragt wann
die ist und sagt, dass wir das in die Terminfindung miteinfließen lassen. „Dann
machen wir mal ein EKG, eine Blutabnahme und wenn wir dann die Ergebnisse
zusammen haben, sehen wir uns nochmal und Sie beobachten bis dahin, wie es
Ihnen ohne Medikamente geht und ob es Ihrer Haut besser geht. Ist das ein Plan?“
Ganz im Ernst: Ich bin heute wirklich beeindruckt von ihr. Bei den
letzten Terminen hatte ich so das Gefühl, dass sie es fast kategorisch ablehnt,
einen Schritt auf die Patienten zuzumachen.
Der Termin schließt mit der
üblichen Frage nach Suizidgedanken und heute kommt die Frage auch mal ganz
direkt und nicht von hinten durch die Brust ins Auge a la` „Wo machen Sie gerade
Ihren Sinn im Leben fest?“. Ich erkläre, dass das für mich gerade keine Rolle
spielt. „Gar keine Rolle?“, hakt sie nach. Ein bisschen kennt sie mich wohl
doch… Ich erkläre, dass ich gerade sehr gewillt bin mein PJ in meinem
Wunschkrankenhaus zu machen und dass ich weiß, dass es bis dahin auch immer
wieder Krisen geben wird, aber dass ich im Moment sehr fokussiert bin, das zu
erreichen und das dann einfach ein wenig in den Hintergrund rückt. Damit ist
sie zufrieden.
Auch wenn ich manchmal vermute, dass die irgendwo „chronische
Suizidalität“ in ihren Akten stehen haben, finde ich es aber wirklich
gerechtfertigt, das auch einfach mal nicht zu erwähnen, wenn es gerade wirklich
nicht schlimm ist, damit sie das dann auch begreifen, wenn es wieder akut
werden sollte und es dann nicht heißt: Ja, ja, die erzählt das sowieso immer,
das müssen wir nicht ernst nehmen.
Als ich wieder draußen stehe, bin ich so unfassbar erleichtert. Das
hat viel, viel besser geklappt, als ich das vorher gehofft hatte. Und wenn die
Ärztin einen guten Tag hat, dann ist sie wirklich richtig nett und ein bisschen
kann ich das heute schon nachvollziehen, warum ich mich nach dem ersten Termin
bei ihr so gut aufgehoben gefühlt habe.
Ich laufe direkt einem Freund in die Arme, mit dem ich noch einen
Kaffee trinken gehen wollte. Weil das Wetter heute ungewöhnlich schön und warm
für einen Novembertag ist, beschließen wir uns nach draußen zu setzen. Und da
ich ja unverhofft ein wenig Zeit heute gewonnen hatte, komme ich so zumindest
dazu, das Treffen zu genießen.
Und zurück zu Hause schaffe ich es tatsächlich noch mich an den
Schreibtisch zu setzen und eine Runde zu lernen.
Na wenn das mal kein erfolgreicher Tag war…
Alles Liebe
Mondkind
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