Gefragt auf der Neuro...


Die Woche beginnt auf der Epilepsie – Station. Schon früh morgens noch vor dem Krankenhaus fängt mich der Kollege, der mit mir im Büro auf der Epilepsiestation sitzt, in dem ich jeden Tag meine Sache parke ab und fragt: „Mondkind, bleibst Du jetzt endlich mal bei mir…?“ „Ja, ab heute bin ich da“, antworte ich und lache.

Während der Kollege am Vormittag die Briefe fertig schreibt, soll ich einen Patienten aufnehmen. Es sind schon Schicksale auf der Epilepsie – Station. Gar nicht mal unbedingt, weil die Erkrankung so schwer verläuft, sondern weil sie für einige Menschen gravierende Einschränkungen mit sich und sie teils an den Rand der Existenz bringt. Nach der Diagnose Epilepsie vorerst nicht mehr mit dem eigenen Auto fahren zu dürfen, ist Einschränkung genug – insbesondere hier auf dem Land wird man dadurch ganz schnell ins Abseits gedrängt. Noch schwieriger sieht es für Menschen aus, die in der gewerblichen Personenbeförderung arbeiten, oder LKW – Fahrer sind.
Und einen dieser Menschen habe ich vor mir sitzen. Zwar ein Jahr vor der Rente, aber immerhin. Dass er vorerst nirgendwo mehr hinfahren wird, hat er noch nicht ganz verstanden. „Ich kann das ja so auf 450 – Euro – Basis machen – also nicht mehr voll arbeiten…“, sagt er. „Es geht ja nicht um die Arbeitsbelastung an sich, sondern darum, dass die Gefahr besteht, dass sie am Steuer einen epileptischen Anfall bekommen und die Kontrolle über das Fahrzeug verlieren. Und ob Sie da nun voll oder nur zwei Stunden am Tag arbeiten – das ändert das Risiko während des Fahrens nicht.“
Trotzdem bedankt er sich bei mir, dass ich mit dem Hausarzt lange telefoniert habe, um an seine Befunde zu kommen und mir die Mühe mache, die alle durchzulesen, um mir ein genaues Bild vom Patienten zu machen. Und irgendwo berührt er mich mit seiner Art.

Als ich fertig bin, nehme ich den zweiten Patienten auch noch auf.
„Wie – Du hast schon beide Patienten aufgenommen?“, fragt mich der Kollege entgeistert, als er den Zettelstapel neben mir sieht. „Joa…“, sage ich. „Ich muss mich ja nicht langweilen…“

Am Nachmittag werde ich noch von der Nachbarstation angerufen, um eine Lumbalpunktion zu machen. „Mondkind – hast Du uns vermisst?“, fragt der Oberarzt, als er mich sieht. „Doch, ich vermisse das schon hier“, gebe ich zurück. „Na, dann haben wir doch erreicht, was wir wollten…“, sagt er.

Irgendwie merke ich in dieser Woche eine Änderung meiner Einstellung. „Wahrscheinlich ist das auch wieder so ein Mondkind – Denken, aber manchmal habe ich gedacht, ich kann nie Neurologin werden, weil ich mich nie trauen werde, irgendwem in den Rücken zu stechen“, habe ich gestern dem Oberarzt erklärt. „Ach Mondkind…“, hat er nur gesagt und gelächelt. „Wir haben uns gerade gestern darüber unterhalten, dass Du auch die technischen Dinge sehr gut machst…“
Zu merken, dass ich das auch das lernen kann, hat nochmal eine ganze Reihe Berührungsängste fallen lassen. Ich war mittlerweile auf so vielen Stationen, ich kann gefühlt überall meinen Kopf zur Tür herein stecken und werde dort gern gesehen. Und langsam beginne ich selbst zu glauben, dass ich doch ein bisschen was auf dem Kasten habe.
Und langsam fange ich an, während ich morgens den Berg zur Klinik hinauf laufe mich zu fragen, was mich wohl heute wieder erwartet und in Vorfreude darauf zu sein, wieder in Stück an dem Tag zu wachsen.

Die Einstellung sollte ich jetzt auch ein wenig behalten. Heute Morgen nämlich, nachdem wir eine Stunde in der Frühbesprechung gesessen hatten und mein Kollege mir im Anschluss beim Durchsehen der Video – EEGs versucht hat die Grundlagen dessen näher zu bringen, klingelte mein Telefon. Der Neuro – Oberdoc war am anderen Ende der Leitung. „Mondkind, jetzt ist der Moment, an dem wir Dich hier brauchen. Kannst Du runter kommen?“
Die Order kam wahrscheinlich nicht von ihm selbst, sondern vom zweiten Oberarzt der Stroke Unit und dem widerspricht man lieber nicht. Nicht, weil er so unfreundlich ist, sondern weil er schon einer derjenigen ist, der den Hut auf hat in dieser Klinik und das nun mal zu respektieren ist.
Ich bin dann mitten in die Visite geplatzt und sollte dem neuen Kollegen den Visitenwagen abnehmen und die Visite dokumentieren.

Ein wenig später nimmt mich mein Neuro – Oberarzt zur Seite: „Mondkind, Deine Aufgabe wird es jetzt sein, den neuen Kollegen einzuarbeiten.“ Ich sehe ihn mit gerunzelter Stirn von der Seite an. Ich habe doch selber keine Ahnung. Und jetzt soll eine Studentin einen fertig studierten Arzt einarbeiten, der zwar aus dem Ausland kommt und noch etwas holprig deutsch spricht, aber neurologisch sicher mehr kann als ich. Das denkt der Kollege sich wahrscheinlich auch – als ich ihm erkläre, dass ich Studentin bin, fragt er drei Mal nach, ob er das jetzt richtig verstanden hat.

Nach der Visite ruft meine Station von der letzten Woche an. Eine Lumbalpunktion. Und wenig später der Kollege von der Station, auf der ich bis heute Morgen war. Noch eine Lumbalpunktion. Und eine Aufnahme. Und das, wo ich doch eigentlich gar nicht mehr hoch soll.
Heute geht die erste Lumbalpunktion bei mir schief. Die Patientin ist sehr angespannt und ich frage mich, ob das überhaupt ohne Tavor gehen wird. Bei ihr ist schon Blut abnehmen schwierig. Ich bin zugegebenermaßen genauso wenig entspannt, weil ich so viel Stress heute habe. Zwar ist es kein Problem in Introducer zwischen die Wirbelkörper zu schieben, aber die Quincke – Nadel lässt sich nicht vorschieben. Ich habe keine Ahnung, wo ich da bin. Knochen fühlt sich anders an, das hatte ich ja auch schon mal. Aber es geht nicht weiter. Die Kollegin übernimmt es und erklärt mir später, dass ich mich wahrscheinlich einfach nicht getraut habe, genug Kraft anzuwenden. Wenn die Patienten angespannt sind, spannen sich auch die Bänder an und dann können die fast so hart wie Knochen werden. „Es ist alles okay Mondkind, das klappt bei niemandem immer“, versucht mich selbst der Oberarzt zu trösten, aber irgendwie enttäuscht es mich trotzdem.

Anschließend rase ich über die Epilepsie – Station und mache dort Aufklärungen. Gleiches wiederhole ich auf der Stroke Unit. Und nachdem ich noch ein paar Nadeln in Venen versenkt habe, neigt sich der Tag dem Ende. 

Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum ich nie mit Fallbüchern gelernt habe. Das macht so viel Spaß...

Ich bin gespannt, wie es morgen weiter geht. Ein bisschen stresst es mich, dass ich nicht weiß, was genau ich auf der Stroke Unit jetzt machen soll. Eigentlich sind die genug – das sagten die Assistenzärzte heute selbst, aber selbst der Epilepsie – Oberarzt konnte meinen Oberarzt heute nicht davon überzeugen, mich auf der Epilepsie – Station zu belassen. Zugegebenermaßen hat das den Vorteil, dass ich mir die Intensiv – Station jetzt wahrscheinlich wirklich sparen darf und ich darauf auch so überhaupt nicht brenne. Ich komme dann halt im Dezember nochmal auf die Epilepsie – Station – allerdings ist da der Stationsarzt glaube ich eine Zeitlang krankgeschrieben, was schade ist, weil er sich wirklich sehr viel Mühe gibt.
Ich bin schon gern dort unten auf der Stroke - unit und mit meinem Neuro – Oberdoc zusammen zu arbeiten macht Spaß, aber ich brauche Aufgaben. In der Visite nichts zu berichten zu haben, kommt blöd und dort unten wird das bisher immer auf meinen mangelnden Einsatz zurückgeführt. Und das führt dann dazu, dass die Oberärzte glauben, dass ich überhaupt nichts kann. Wir erinnern uns an die mündliche Prüfung, in der man glaubte noch einen Assistenzarzt mit hinein stellen zum müssen, der mich retten sollte, falls ich versage. 

Es tun sich jetzt ein paar Fragen auf. Wie wird meine mündliche Prüfung nächste Woche ablaufen? Ich war auf die Epilepsie – Station eingestellt, habe schon viele Lernzettel erstellt und der Kollege versorgt mich kontinuierlich mit Material. Ich kann nicht zwei Prüfungen auf derselben Station machen.
Und da nicht genau klar ist, ob ich eine Woche oder zwei Wochen bleibe, wäre eigentlich – wenn ich schon an der Quelle bin – jetzt der richtige Zeitpunkt, um mit dem Oberarzt der Stroke über das Thema Stelle zu reden. Allerdings weiß ich nicht, ob das so klug ist, wenn ich immer noch nicht genau weiß, wann ich anfangen möchte.

Vielleicht ist es ja dem ein oder anderen Leser aufgefallen – es ist halt wirklich ein Hick Hack im Moment. Die Stimmung schwankt extrem hin und her – man hat zwischenzeitlich das Gefühl ein Mittelding gibt es gar nicht mehr. Und damit verbunden wackelt auch jeden Tag die Entscheidung, wo ich bleiben möchte nach dem Examen.
Ich überlege nochmal zu versuchen mit einem Menschen darüber zu reden, mit dem ich hinsichtlich Entscheidungen einst das beste Gespräch überhaupt geführt habe. Damals ging es darum, wann ich das Examen schreibe. Er hat mir die Entscheidung nicht abgenommen, aber hat mit mir in meinem Sinn die Argumente abgewogen und auch eingeworfen, was es aus seiner Sicht (er hat es alles schon hinter sich und ist schon lange Oberarzt) zu bedenken gilt. Außerdem hängt er halt nicht in dem System und hat überhaupt keine eigenen Interessen - es wird ihm völlig egal sein, wo ich mal arbeite. Ich habe nur schon ewig nichts mehr von ihm gehört. Aber etwas schlimmeres, als dass ich eine Mail schreibe, die er nicht beantwortet, (was mit der letzten ehrlicherweise auch geschehen ist), kann immerhin auch nicht passieren…

So… - es ist schon bald halb 9 und ich muss noch 30 Seiten Epilepsie lesen… auf auf…

Alles Liebe
Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen