Ein Wochenende zwischen den Welten


"Ich bin in Deiner Stadt Tourist, 
Der nie wirklich zu Hause ist
[...]

Ich hasse unsre Liebe auf Distanz
Ich hab' dich immer kurz, aber nie ganz
Die Trennung macht mich wahnsinnig
Und wo du warst, das frag' ich nicht
Ich hasse unsre Liebe auf Distanz

Und sonntags sitz' ich neben dir
Und weiß genau, das schaffen wir
Wir kriegen das schon hin
Und montags werd' ich wieder wach
Und denk' zu oft darüber nach
Weil ich nicht sicher bin"

(Revolverheld – Liebe auf Distanz)


Das bereits angekündigte Lied, das bei mir seit Tagen auf Dauerschleife läuft. Irgendwie bewegt es mich. Drückt es das aus. Das Leben zwischen den Welten. Das Pendeln zwischen Freunden und Job. Und manchmal habe ich das Gefühl, sind es zwei völlig verschiedene Welten, in denen ich lebe. Die Zeit dazwischen lässt sich immer schwieriger überberücken. Man versucht so zu tun, als hätte es die Zeit der Abwesenheit nicht gegeben. Versucht, einfach dort weiter zu machen, wo man vor ein paar Wochen aufgehört hat. Ungeachtet der Tatsache, dass die Blätter mittlerweile von den Bäumen gefallen sind, sich eine empfindliche Kühle über das Land gelegt hat und die Tage kürzer werden.

Es sind immer zwei, oder maximal drei Tage Zeit, um das nachzuholen, das man die letzten Wochen versäumt hat. Mit einer Freundin auf dem Bett sitzen, während sie mir von ihrer Krankenhausodyssee der vergangen Tage erzählt und ich es immer schlimmer finde, dass ich nicht da war, um zu helfen. Mit einem Freund an der Uni Kaffee trinken. Wie im letzten Sommer, als wir durch alle möglichen Cafès der Stadt gezogen sind – jedes Mal ein anderes. Jedes Mal wenn ich da bin, ein Mal in die Stadt an den Fluss fahren. Einmal kurz Erinnerungen aufleben lassen, wie ich hier mit Freunden oder Kommilitonen in lauen Sommernächten saß. Noch einmal Studentenleben.
Und auch immer Therapie. Davor das übliche Gefühlschaos. Erleichterung, Angst, aber auch das Wissen, in der Stunde die Dinge ansprechen zu müssen, um die es geht. Und die Hoffnung, dass ich danach wieder ein paar Dinge mehr geklärt habe.

Und dennoch reicht es auch irgendwann. Die Anonymität der Großstadt, die mich verschluckt. An einem Sonntagmorgen ist in der Innenstadt der Studienstadt mehr los, als an einem Samstagnachmittag in meinem Dorf.
Und auch mit der Familie reicht es nach zwei Tagen. Weil sie nicht verstehen und nachvollziehen können und wollen, wie es mir geht und was ich mache. Und weil sie es auch nicht so stehen lassen können. Weil es immer Kritik geben muss für meine Versuche, mich durch den Alltag zu manövrieren. Weil es eben immer falsch ist. Weil es immer mit hoch gezogener Augenbraue und spöttischem Unterton heißt: „Mondkind, ich finde das nicht gut, was Du machst, das weißt Du.“ Ja weiß ich. Und deshalb sind die Besuche auch immer anstrengend. Weil ich mit Fremden besser umgehen und offener zu ihnen sein kann, als zur eigenen Familie.

Ein paar Impressionen vom Wochenende... 

Silhouette der Studienstadt vom Flussufer aus


Das wurde sich in der Stadt gegönnt...😋

Und das hier braucht keine Worte...💕💕


Heute sitze ich krank im Bus. Die erste schwere Erkältung des Jahres hat mich erwischt und ich habe schwer gehofft, dass ich heute überhaupt fahren kann. Kopf-, Hals- und Ohrenschmerzen, die mich auf meiner zehnstündigen Tour, die den Arbeitsort und die Studienstadt trennen, begleiten. Aber ich muss halt morgen arbeiten. Krankheitstage = Urlaubstage. Das fällt mir auch hier wieder auf die Füße. Es ist unverantwortlich den Patienten und meinem Körper gegenüber und irgendwie hoffe ich, dass der Neuro – Oberdoc mich morgen ohne Fehltag nach Hause schickt, wenn mein Kopf immer noch so dröhnt. 
Sehr schön war es übrigens auf dem letzten Stück zwischen den Dörfern im Zug, als der Schaffner durch das Abteil lief und erklärte, dass die Leitstelle gerade angerufen habe, weil jemand seine Brieftasche verloren habe. Wir sollen alle mal suchen. Ausnahmslos jeder ist aufgestanden, hat alle Ritzen zwischen seinem und dem Nachbarsitz untersucht und das Gepäck ein Mal hin und her geräumt und am Ende tauchte sie tatsächlich auf.  Und wenn man manchmal der Meinung ist, dass die Menschlichkeit in der Hektik und Anonymität des täglichen Lebens verloren gegangen ist, beweist das doch das Gegenteil. Ich habe mich nur stumm gefragt, ob das auch in der Studienstadt so passiert wäre.

Im Hintergrund des PCs läuft den ganzen Tag das Mailprogramm. Diese Warterei macht mich verrückt. Das Wissen, dass es möglich gewesen wäre, nochmal auf der Station des Psychiatrie - Oberarztes an allem zu arbeiten, aber ich nicht weiß, ob es jetzt noch gehen wird. Und Erpressung hin oder her – ich hätte anders entscheiden können – damals, im Frühling nach dem schriftlichen Staatsexamen, als die Familie nicht verstand und mich durch halb Deutschland hat fahren lassen, um mich fern des Krankenhauses zu halten. Selbst wenn er morgen früh antwortet, werde ich die Mail erst gegen 18 Uhr lesen können, weil es im Krankenhaus absolut unmöglich ist, auf die eigenen Mails zu schauen (mobile Daten und Land… - Ihr wisst Bescheid…). Ich könnte maximal darauf hoffen, dass die Therapeutin die Mail in weiser Vorraussicht an den Krankenhaus – Account weiter leitet, aber sie wird nicht ahnen, wie wichtig mir diese Mail ist. Und ich hoffe, der Psychiatrie - Oberarzt setzt mich überhaupt auf cc. Manchmal frage ich mich, wieso ich ihm als Person überhaupt wichtig sein sollte, sodass er sich darum kümmert. Und gleichzeitig wundert es mich, dass die Therapeutin meinen Nachnamen in den Betreff geschrieben hat und offensichtlich der Meinung ist, dass er mich zuordnen kann...

Es fühlt sich filigran an, dieses Tanzen. Nicht mehr auf dem Bergkamm. Nicht mehr dort, wo jeder Windhauch mich in die eine oder andere Richtung hinab stürzen lassen kann. Nein, ich bin etwas weiter unten am Berg auf einem sicheren Plateau. Ich lebe ein Leben, das irgendwie „normaler“ ist – nach außen hin. Studieren, arbeiten, Pendeln zwischen Studienstadt und Arbeitsort, als sei das nichts, obwohl es selbst für Menschen, die halbwegs stabil sind eine nicht zu unterschätzende emotionale und körperliche Belastung ist. Und dennoch frage ich mich jeden Abend: Warum bin ich nicht mehr dort oben? Warum tanze ich nicht mehr auf dem Bergkamm? Warum lebe ich nicht mehr die Extreme? Denn genauso schwer, wie der Abstieg war, kann auch der Weg zurück werden.
Wenn ich meine Schwester sehe, dann triggert es extrem. Diese schmalen Beine, an denen das Kniegelenk den größtn Umfang hat. Während ihr Bauch bei Nahrungsaufnahme rebelliert, habe ich mittlerweile wieder Hunger. Dieses exzessive Non – stop – Arbeiten, das sie täglich betreibt. Früh- und Spätschicht zusammen, an den Wochenenden von früh bis spät Doktorarbeit.
„Das ist eine passive Aggressivität, die ihre Schwester vermittelt, die Sie dann aktiv aggressiv werden lässt, verbunden mit der Entwicklung von Schuldgefühlen“, sagte die Therapeutin dazu. Und, dass die Therapie mich zwar bisher zu einem gesünderen Leben gebracht hat, aber das eben auf der emotionalen Ebene alles noch nicht angekommen ist und da noch viel Arbeit nötig ist.

Ich muss noch den Koffer auspacken und die Wäsche abhängen. Und mehr passiert hier heute auch nicht mehr. Eigentlich wollte ich einen halben Kürbis in den Ofen schmeißen. Ich fürchte, es wird eher eine Tütensuppe. Ganz schlecht, ich weiß, aber nach 10 Stunden Fahrt wenn ich krank bin, kann ich einfach nicht mehr.



Allen Lesern einen guten Wochenstart! Hoffen wir auf positive Nachrichten morgen…
Mondkind

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