Die Reaktionen danach...
„Mondkind, bleibst Du noch kurz?“, fragt mein Kollege von der
Epilepsie – Station mit dem ich mir das Büro teile. Er hat heute seinen
Schlüssel vergessen und wenn ich vor ihm gehe, kann er das Büro nicht
abschließen. „Ja klar“, antworte ich. Er schreibt noch seinen Brief fertig und
gemeinsam versuchen wir noch eine Info aus dem System zu bekommen.
„Wo wohnst Du?“, fragt er. „Es ist nicht weit. Hinter dem Campus ein
Stück den Berg hinab“, entgegne ich. „Ich bringe Dich nach Hause“, bietet er
an. „Nee komm, ich glaube das ist schon ein Umweg. Es ist wirklich nicht weit“,
erkläre ich.
Aber er besteht darauf. Und irgendwie haben wir dann noch ein paar
Minuten zum quatschen… - was auch nicht schlecht ist. Wir laufen durch den
ersten Schneematsch und bis wir endlich bei seinem Auto sind, wäre ich in der
Tat schon halb zu Hause gewesen.
Wahrscheinlich wird das für mich noch lange etwas Besonderes bleiben,
wenn mich mal wer irgendwo hin fährt. Vermutlich, weil das Auto, das
ursprünglich mal meiner Schwester und mir gehört hat, nach meinem Auszug bis
heute als nicht als Fahrzeug, sondern als strategisches Mittel benutzt wird.
Vielleicht hört sich das jetzt echt ein bisschen blöd an, aber ein
bisschen bewegt es mich doch, dass er sich da die Mühe macht. Und auch, dass er
gestern in der Prüfung noch für mich telefoniert hat und sich danach noch Zeit
genommen hat, mich zumindest wieder ein bisschen aufzubauen.
Es scheint mittlerweile in alle Ecken vorgedrungen zu sein, was
gestern bei der Prüfung passiert ist. „Mondkind, was war da gestern los?“,
fragt der Oberarzt der Stroke Unit und zieht an meinem Ohr. (Er zieht jedem für
Fehler symbolisch die Ohren lang, aber es ist wirklich ganz zaghaft und nicht
böse gemeint) „Naja..“, entgegne ich lang gezogen. „Mondkind, das nächste Mal
fragst Du mich vorher. Das hätte nicht sein müssen“, erklärt er. Aber
wenigstens lacht er dabei. Und lobt mich auf der Visite.
Auch auf zwei anderen Stationen habe ich heute noch Aufgaben zu
erledigen. Und überall hat man ein paar tröstende und aufbauende Worte für mich
übrig. Der Oberarzt der peripheren Station, auf der ich zwischendurch vier Wochen
war, bietet mir auch an, einen Parkinsonpatienten zu suchen und mit mir nochmal
alles Wichtige zum Thema Parkinson durchzugehen.
Was mich so erstaunt ist, dass die meisten mein Können überhaupt nicht
anzweifeln. Viel mehr bedauern sie es, dass ich die Erfahrung gestern machen
musste und dadurch jetzt verunsichert bin.
Das geht sogar so weit, dass der Epilepsie – Oberarzt heute zu mir
sagte: „Mondkind, wir (!) haben da einen strategischen Fehler gemacht. Dass Dir
der Fall um die Ohren fliegt, war vorprogrammiert. Das nächste Mal müssen wir
Dich besser vorbereiten.“
Ich erwarte nicht, dass irgendwer mein Scheitern auf seine Kappe
nimmt. Aber dass sie mich da nicht ganz alleine stehen lassen, das berührt mich
so. Ich glaube niemand außer mir selbst zweifelt an mir. Vielleicht sollte ich
aus dem Tag gestern lernen, dass ich das zwar jahrelang erlebt habe,
dass mein Wert und mein Können immer ausschließlich an Prüfungen gemessen
wurde, aber dass andere Leute das einfach anders sehen.
„Morgen bearbeiten wir auch mal Dein „Lumbalpunktions – Trauma“,
kündigt eine Kollegin der peripheren Station an. Da mache ich mir schon wieder
Druck und denke, dass ich das als Ausgleich jetzt definitiv schaffen muss.
Die Patientin, die mein Oberarzt gestern für mich heraus gesucht hat,
ist dem Epilepsie – Oberarzt auch bekannt. „Mondkind, ich würde das nicht
machen. Das ist Facharztniveau. Das kann man von einer PJlerin nicht erwarten.
Es ist zwar klar, was die Patientin hat, aber Du müsstest über die halbe
Neurologie Bescheid wissen, wenn der ärztliche Direktor irgendwelche fachlichen
Fragen stellt. Und wenn die Patientin dann gerade wieder psychotisch ist und
dem ärztlichen Direktor etwas erzählt, das nicht zu Deiner Darstellung passt,
dann verrennst Du Dich da wieder. Zwei Mal den gleichen Fehler zu machen, wäre
blöd.“
Jetzt kann ich mich ja nicht einfach über meinen Oberarzt hinweg
setzen. Ich nehme an, bis Freitagnachmittag wird nicht wirklich klar sein,
welchen Patienten ich nehme. „Wir haben ja noch die ganze Freitagnacht Zeit, um
das dann auszuarbeiten“, sage ich scherzend zum Kollegen der Epilepsie –
Station. Wir werden nämlich gemeinsam Dienst machen (Mir ist zwar noch nicht
klar, wie ich Freitag am späten Abend in der Notaufnahme stehen soll ohne vor
Müdigkeit umzufallen, aber das ist ein anderes Thema…).
Heute sind mein Oberdoc und ich eigentlich ganz normal miteinander
umgegangen. Er war bei der Visite dabei und ich habe mich bemüht besonders gut
vorbereitet zu sein, damit ich so nach und nach den gestrigen Tag wieder
ausbügele.
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie er gerade auf mich zu sprechen ist.
Ein bisschen fällt eine solche Aktion natürlich schon auf den PJ –
verantwortlichen Oberarzt zurück – auch wenn er natürlich nichts für meine
Inkompetenz kann.
Aber ich fürchte, ich werde morgen nicht umhin kommen mit ihm darüber
zu reden, welche Patientin ich nehmen werde. Aber dann müsste ich ihn anrufen…
(oder das Problem löst sich von selbst und er spricht mich auf der Visite an
und sagt, dass ich nachmittags zu ihm kommen soll. Dann wäre es etwas anderes…)
Letzten Endes müssen es aber die Oberärzte ausdiskutieren, ob ich die Patientin
die angedacht war, nun nehmen soll oder nicht. Ich kann da nicht plötzlich etwas
anderes machen.
Ansonsten versuche ich mich zu halten und nicht nachzugeben. Zwar
merke ich, dass der Blog derzeit – genau wie meine Gedanken – explodiert und
ich ohne Bedarfsmedikation abends auch gar nicht mehr zur Ruhe und in den
Schlaf komme, aber ich versuche mich auf die positiven Dinge zu konzentrieren.
Ich hoffe, ich werde in ein paar Tagen nicht sagen, dass das unübersehbar der
absteigende Ast war und ich vielleicht diesmal nicht durch das ganz tiefe Tal
gehen muss.
So… - auf, auf… - es gibt Hausaufgaben heute vom Stroke – Unit –
Oberarzt…
Mondkind
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