Souveranität oder Hilfsbedürftigkeit?


Seit dem letzten Blogeintrag ist ein wenig Zeit vergangen. Das heißt nicht, dass ich nicht geschrieben hätte sondern nur, dass die Woche nicht so startete, wie ich mir das erhofft hatte.

Am Montag war ich immer noch sehr erkältet; den Tag habe ich auch nur mit medikamentösen Hilfsmitteln geschafft. Auch auf der Station lief es nicht so super. Ich habe mittlerweile mein Neuro – Fallbuch hier und löse jeden Tag einige der Fälle, die thematisch gerade zu den Patienten auf der Station passen. Für die Kollegen scheint es okay zu sein, dass ich nicht rund um die Uhr beschäftigt bin und vielleicht sollte es das für mich dann auch sein. Ich kann mich auch sehr gut selbst organisieren – nur die Sorge, dass dann doch gesagt wird, dass die PJlerin nichts tut; die bleibt.
Wahrscheinlich sollte ich auch langsam einsehen, dass ich das Konzept hier wohl nicht mehr ganz verstehe. Zwar frage ich wirklich mehrmals am Tag ob ich helfen kann, aus einer anderen Ecke höre ich aber auch: „Naja andere PJler hatten eigene Patienten und haben die dann wirklich nur noch mit dem Oberarzt besprochen.“ Aber die Assistenten haben da so ihre Sorgen mir ihre Patienten zu „vererben“.

Auf die Mail vom Psychiatrie – Oberarzt warte ich noch. Nachdem ich gestern Abend mit einem Freund stundenlang darüber sinniert habe, ob es wohl an mir liegt, habe ich der Therapeutin heute einfach eine Mail geschickt und sie gefragt, ob sie eventuell eine Rückmeldung und er vergessen hat, mich in cc zu setzen. Er habe Urlaub, hat sie mir erklärt. Unsere Mail ist wohl Freitagnachmittag angekommen, bevor er den Abwesenheitsassistenten eingeschalten hat.
Ich weiß nicht, wie lange er nicht da ist. Geduld ist wohl weiterhin das Gebot der Stunde.

Heute habe ich noch „meinen“ Neuro – Oberdoc angerufen, weil wir ein paar organisatorische Dinge besprechen mussten. Wann ist meine nächste Prüfung? Wie viele Tage frei bekomme ich für die nächste Fahrt in die Studienstadt? Auf welche Stationen rotiere ich jetzt letztendlich noch?

„Wie geht es Dir?“, ist seine erste Frage. „Im PJ läuft es gut“, erkläre ich. Das lässt sich auch schlecht leugnen, nachdem ich gerade die zweite erfolgreiche Lumbalpunktion hinter mir habe und der Oberarzt der Station meinte: „Mondkind, ich höre nur noch Heldentaten.“
Über das Privatleben wollte ich eigentlich nicht viel erzählen. Ich wollte nicht sagen, dass ich mich im Moment wieder jeden Tag sehr darum bemühen muss, damit es zumindest neutral bleibt. Ich spüre, dass die Suizidgedanken schon wieder ziemlich laut an die Tür klopfen und es gefühlt schon wieder kurz vor dem Kippen ist. Ich hoffe ehrlich gesagt, dass der Freitag da noch etwas ins Positive bewegen kann.

Er will trotzdem wissen, wie es in der Studienstadt war. „Was hast Du denn jetzt mit Deiner Therapeutin besprochen?“   „Naja, nicht viel“, gebe ich zurück, „im Januar wird es so, wie es dann eben kommt. Ich habe halt echt Angst davor, aber was will man machen? Und was nach dem Examen wird, klären wir gerade. Der Oberarzt ist gerade im Urlaub…“ „Und wie war es bei Deiner Familie?“, fragt er weiter. „Naja, es ist halt schwierig, wenn man immer nur hört, dass man das was ich mache, nicht gut findet. Ich meine – meine Schwester darf da vor den Augen aller verhungern und macht irgendwie alles richtig und ich führe eigentlich ein ganz normales Leben, aber trotzdem ist es nie okay.“
„Gibst Du Dich zu Hause so, wie Du hier auf der Arbeit bist?“. Fragt er. „Du manövrierst Dich hier mit sehr viel Souveranität durch, Du machst viel, aber nicht zu viel und Du wirkst sehr selbstbewusst. Vielleicht vermittelst Du zu Hause einen hilfsbedürftigen Eindruck, sodass man das Gefühl hat, Dir einen Weg vorgeben zu müssen, weil Du Dein Privatleben überhaupt nicht auf die Reihe bekommst.“
„Das Problem ist glaube ich eher, dass die nicht akzeptieren, dass der Weg den ich gehe, nicht ihren Vorstellungen entspricht. Studium unterbrechen wegen Klinik geht zum Beispiel absolut gar nicht, obwohl es für mich richtig war – das zieht sich ja bis heute in jeder Ansprache meiner Mutter durch.“
„Ja, aber eigentlich brauchst Du Deine Familie doch gar nicht. Du schaffst es doch auch alles sehr gut alleine – also könnte es Dir doch egal sein, was die so denken…“
Ganz im Stillen denke ich mir: „Wie würde es Ihnen gehen, wenn Sie ein Mensch voller Selbstzweifel wären, sich immer tapfer durch die Tage schlagen, weil Sie glauben ohnehin keine andere Wahl zu haben und nach dem Job jeden Tag alleine mit sich und ihrem Chaos – Kopf bleiben? Und wenn Sie wissen, dass Sie keine Familie haben, die hinter Ihnen steht und Sie halt auch keine andere Wahl haben, als sich selbst durchzuschlagen, wenn Sie nicht gerade das Sozialversicherungssystem in Anspruch nehmen wollen? Und, wenn Sie einfach nicht vertrauen können, dass Freunde bleiben, weil Sie das bisher noch nie erlebt haben. Weil Sie zwar gerade gute Freunde haben und die auch nichts dafür können, dass die Erfahrungen bisher immer negativ waren, aber dass die Zweifel, so sehr Sie rational auch glauben, dass es diesmal anders wird, immer noch bleiben.                                      
Und wenn in den letzten Jahren die Einzigen die geblieben waren, professionelle Helfer waren, die das ja zumindest zum Teil „mussten“, weil es ihr Job war – auch wenn einige weit mehr getan haben, als sie hätten tun gemusst.
Und was würden Sie machen, wenn Sie am Ende des Tages trotzdem keine Ahnung haben, warum Sie das eigentlich alles machen – weil da irgendwie die Idee einer gangbaren Zukunft fehlt und es trotz allem ein Hangeln von Tag zu Tag ist? Mal ist es etwas einfacher und mal etwas schwieriger, aber das Grundproblem bleibt.“
Natürlich sage ich das alles nicht.

Irgendwie hatte ich eigentlich angenommen, dass der Neuro - Oberdoc den Punkt schon verinnerlicht hat…

Freitag ist der Termin beim Seelsorger. In meinem Kopf ist es gerade wirklich eine Landmarke. Ich weiß nur nicht, ob ich den nicht auch völlig überfordere, wenn ich ihm erkläre, dass es sich alles schon wieder sehr kippelig anfühlt. Allerdings müsste ich es glaube ich schon ansprechen, wenn man das noch abwenden will.  Ich wünschte ja auch, es wäre anders.
Aber so ist es leider – mein Leben.

So Ihr Lieben – entschuldigt bitte die etwaigen Rechtschreibfehler, das Layout und in gewissem Ausmaß den Schreibstil. Ich muss jetzt schon wieder weiter auf eine Fortbildung (leider bin ich wirklich sehr müde…), aber ich musste die Gedankenfetzen noch verschriftlichen, sonst explodiert mein Kopf auf der Fortbildung… 
Ihr hört Neuigkeiten, sobald ich etwas weiß. Zum Thema Therapie oder Job. Oder Freitag nach unserem Treffen in der Kapelle.

Mondkind

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