Ambulanz - ein bisschen Sicherheit
And If you lost your way
I will keep you safe
We'll open up all the world inside
I see it come alive tonight
I will keep you safe
(Westlife - safe)
I will keep you safe
We'll open up all the world inside
I see it come alive tonight
I will keep you safe
(Westlife - safe)
Freitagmorgen
Labor. Das vertraute Klicken, wenn der Ausweis das Schloss entriegelt.
Erste Umarmung des Tages. Kaffee trinken im Labor. Über das PJ erzählen. Hören,
was es in der Anatomie Neues gibt. Und ein bisschen ist es, als sei ich nie
wirklich weg gewesen.
Der Betreuer von meiner Doktorarbeit kommt auch noch. „Mondkind, wir
haben wieder viele Stellen frei. Wenn Du möchtest, kannst Du hier in der
Anatomie nach dem Examen anfangen. Dann machst Du die Doktorarbeit fertig und
ein bisschen Lehre. Man wird ganz gut bezahlt und man hat keine 24 – Stunden –
Dienste, ein geregeltes Privat – Leben und nicht so viel Stress. Den Tag kann
man sich hier relativ frei gestalten.“
Irgendwie klingt das schon recht verlockend. Wieder eine Option mehr,
die ernsthaft zu durchdenken ist. Ich fürchte halt, dass die Entscheidung in
der Anatomie zu bleiben auch eine Entscheidung für die Wissenschaft im Rahmen
der beruflichen Karriere ist. Denn geht man nach ein paar Jahren Forschung
zurück in den Klinikalltag? Wenn man den Stress nicht mehr gewohnt ist? Wenn
man seit Jahren keine Übung mehr im Umgang mit Patienten hat? Ich bezweifle,
dass ich das mache und irgendwie tue ich mich schwer damit, die Entscheidung
gegen das Krankenhaus so früh zu treffen. Nach 20 Jahren Klinikalltag ist das
vielleicht keine schlechte Idee. Aber jetzt?
Ambulanz.
Ich weiß immer nicht, was ich vor diesen Terminen bin. Aufgeregt,
ängstlich, erleichtert.
Immer irgendwie Herzrasen auf dem Weg dorthin.
Am Empfang kennt man mich noch. Auch, wenn ich seit Mai hier selten
ein und aus gegangen bin. Ich werde sogar mit Namen begrüßt. Irgendwie haben
diese Räume etwas Vertrautes.
„Hallo Frau Mondkind – wir haben uns lange nicht gesehen“, werde ich
begrüßt. „Ja, sehr lange“, gebe ich zurück und laufe der Therapeutin hinterher.
Geschafft. Wegpunkt erreicht. Alles nach dieser Stunde ist eine neue
Zeitrechnung.
„Wie geht es Ihnen?“. Standardfrage. „Besser als beim letzten
Telefonat“, gebe ich zurück. „Da ging es Ihnen ja sehr schlecht“, stellt sie
fest. „Ich habe mittlerweile einen Weg gefunden, mit der Problematik hinsichtlich
des Ortwechsels Ende Dezember anders umzugehen. Es ist nicht besonders
konstruktiv gelöst und ich fürchte, das wird mir im Dezember alles noch kräftig
um die Ohren fliegen, aber erstmal steht es so im Raum und das ist okay.“ Sie
möchte wissen, wie ich es gelöst habe und ich erkläre, dass ich von zumindest
einem Menschen erfahren habe, dass ich – egal wie die Sache im Januar ausgeht –
immer noch ein wertvoller Mensch bin und auch immer gleich wertvoll. Und zum
anderen habe ich die Geschichte vom freien Klettern erzählt und dass mich das
zumindest auf der Erkenntnis – Ebene weiter gebracht hat und man sich ja jetzt „nur“
Gedanken machen müsste, wie ich mich im Januar sichere.
Es geht um die Frage, wie es aktuell im PJ läuft. Irgendwie freue ich
mich fast erzählen zu können, dass ich das Thema PJ fernab der Studienstadt
etwas differenzierter betrachten kann. Nicht nur schwarz – weiß – Denken. Nicht
nur „richtig gut“ und „extrem schlecht.“ Ich erzähle, dass manche Tage wirklich
gut laufen. Ich das Gebäude teilweise ohne Angst betreten kann. Aber, dass es
Idioten wohl überall gibt, die meinen, blöde Sprüche reißen zu können. Und –
ich habe immer gehofft, dass ich es erzählen kann, hatte aber nicht mehr
wirklich dran geglaubt – dass ich meine erste Lumbalpunktion gemacht habe.
Insgesamt also durchwachsen, aber für ein PJ – das ja von schnellen Wechseln
und vielen Anpassungen an neue Situationen geprägt ist, mit denen ich nun mal
Schwierigkeiten habe, doch ganz gut. Und „mein“ Neuro - Oberarzt ist über diese
differenzierte Sichtweise auch wirklich froh. Es ist mir wichtig, aber nicht
der Mittelpunkt der Welt. Das heißt nicht, dass ich jetzt gehen will oder es
schlecht finde. Nur, dass ich mittlerweile sehe, dass „nur“ die Neuro im Leben
zu sehen, auch etwas einseitig ist. Und neben einer Zukunft in der Neuro auch
die Zeit im Jetzt wichtig ist.
Ich lenke das Thema auf organisatorische Dinge. Bis Mitte November –
spätestens dann sollte ich mit dem Chef in der Neuro reden - gibt es viel zu
durchdenken. Im Moment gibt es vier Jobmöglichkeiten. Neuro entweder dort, wo
ich das PJ mache, oder in der Studienstadt. Oder ich mache in der Anatomie
meine Doktorarbeit fertig und bleibe dann in dem Institut – entscheide mich
damit allerdings für eine wissenschaftliche Karriere, da ich mir nicht
vorstellen kann, dass nach mehreren Jahren ohne Krankenhausalltag der Sprung in
die Klinik gelingt. Oder – letzte und derzeit unwahrscheinlichste Möglichkeit –
ich fange in der Psychiatrie an. Das interessiert mich schon auch sehr und das
Arbeiten soll etwas angenehmer sein. Von Kollegen habe ich gehört, dass ich
nicht die einzige Ärztin mit einer
psychiatrischen Diagnose wäre – allerdings weiß ich noch nicht genau, wie ich
selbst dazu stehe.
Und neben der Frage was ich mache, stellt sich noch die Frage, wann
ich anfange. Ich erkläre, dass ich es in Erwägung ziehe, nach dem Examen
nochmal in die Klinik zu gehen. Denn der Neuro – Oberdoc hat schon Recht – es muss
sich etwas ändern. Es kann nicht sein, dass jede Krise in der Suizidalität endet
und dass ich von einer Krise in die nächste schlittere. Das ist halt auch für
mich super – anstrengend. Das Problem wird nur sein – die Suizidalität zu bearbeiten,
wird nicht einfach werden und ich merke das ja schon in der Therapie, dass mir
das wirklich Angst macht, nach der Stunde wieder abzustürzen – ich habe mich
sogar getraut letzteres zu sagen. Ich würde das schon gern im geschützten
Rahmen machen. Die Frage stellt sich nur, ob ich nach dem Examen noch auf meine
favorisierte Station kann. Das wisse sie auch nicht, erklärt die Therapeutin.
Und auch nicht wen man fragen könnte. „Naja, ich denke der Oberarzt wird es
wissen“, sage ich. „Aber ich traue mich irgendwie nicht ihm zu schreiben,
nachdem er die letzte Mail nicht beantwortet hat. Ob er sie überlesen hat, sie
vergessen hat, oder ich ihn zu viel genervt habe – das weiß ich ja nicht. Also
vielleicht, wenn Kollegen das untereinander klären…“ „Soll ich ihm schreiben?“,
fragt sie. „Das wäre nett, ja“, antworte ich. „Ich setze Sie dann auf copy“,
erklärt sie. Ich glaube das ist die beste Lösung.
„Ich denke, wenn ich im Januar wüsste, dass es wirklich – wie der
Neuro – Oberarzt gesagt hat – der letzte Umbruch ist, der so stattfindet, dann
würde es mir leichter fallen. Und wenn ich definitiv weiß, dass ich nach dem
Examen nochmal versuchen kann, damit anders umzugehen. Aber ich kenne meine
Familie und mich ja irgendwie. So etwas wie nach dem schriftlichen Examen –
also das möchte ich einfach nicht nochmal erleben…“ Nein, das sei wirklich blöd
gelaufen, sagt die Therapeutin. Und dass wir aufpassen müssen, dass das so
nicht nochmal passiert. Und ich muss mir überlegen, wie ich das finanzieren
will.
Wir haben schon wieder überzogen. „Haben wir schon einen Termin?“,
fragt die Therapeutin. „Naja so halb“, erkläre ich. „Ich wollte ja am 30.
November kommen, aber da sind Sie ja auf dem Kongress.“ „Nein, am 30. bin ich
da“, erklärt sie völlig selbstverständlich und schreibt mich in Ihren Kalender.
Das klang aber vor einem Monat ganz anders… - wie nun auch immer, ich bin froh,
dass ich kommen kann und es nicht noch irgendwie in den ohnehin schon viel zu
vollen Dezember quetschen muss. Ich könnte sie jetzt noch fragen, ob sie
zwischen Weihnachten und Neujahr da ist, aber das ist jetzt vielleicht etwas zu
direkt. Als könnte sie Gedanken lesen erklärt sie: „Ich bin übrigens auch
zwischen Weihnachten und Neujahr da, wenn etwas ist…“ Na dann…
Und irgendwie… - obwohl die Stunde auch wieder viele Ängste hoch
geholt hat, bin ich aber wirklich, wirklich erleichtert. Und irgendwie sicher.
Ende des Monats bin ich wieder da und Endes des Monats danach bin ich sowieso erstmal wieder in der Studienstadt. Zwischen Weihnachten und Neujahr ist sie auch da – wenn es also, wie
ich das etwas befürchte – mit dem Umzug, dem jährlichen Theater zu Weihnachten
und der Chirurgie vor der Nase zu viel wird, fällt das auf jeden Fall auf. Ich
kann es kommunizieren und man kann sich etwas einfallen lassen – das muss nicht
im Desaster enden.
Dem Psychiatrie – Oberarzt hat sie direkt nach unserem Treffen die
Mail geschrieben, habe ich gesehen. Sie hat es wirklich sehr nett formuliert und
irgendwie ist es fast komisch bei so einem „privaten“ Austausch (sie hat den
Oberarzt mit Vornamen angeschrieben), auf copy zu stehen. Ich bin gespannt, was
er schreibt und ich hoffe so sehr, dass ich die Chance bekomme.
Nach dem Termin gehen ein Freund und ich noch einen Kaffee trinken.
Und ich bin einfach nur froh, dass ich alle wichtigen Dinge angesprochen habe
und sich die ersten Sicherheiten und Ankerpunkte für die Zeit nach dem Umzug in
die Studienstadt formatieren. Jede kleine Sicherheit mehr wird das Ausmaß der
Krise eindämmen.
Besser hätte es heute kaum laufen können. Irgendwie wird es schon… -
hoffe ich.
Und jetzt ist Kuschelstunde angesagt...
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