For the second time...


Freitag ganz spät abends. Ich husche über die dunklen Flure. Einzig die Uhrzeit leuchtet noch in rot an der Decke auf der Mitte des Flures. Ansonsten herrscht Stille in diesem Krankenhaus, das sonst immer von geschäftigem Treiben geprägt ist.
Draußen weht mir der eiskalte Wind um die Nase und wie so oft verfluche ich mich, keine Mütze mitgenommen zu haben. Auf dem Weg nach Hause. Nach 14 Stunden Krankenhaus, von dem man 20 Minuten Mittagspause abziehen kann. Zwar hätte mich der Neuro – Oberdoc auch schon eine Stunde eher gehen lassen, aber ich fand es nicht ganz fair, den Kollegen da alleine herum sitzen zu lassen. Kurz nach 22 Uhr haben wir in der Notaufnahme erstmal das Licht gelöscht. Keine Patienten mehr und keine neuen Anmeldungen.

Die Planungen sehen schon wieder ganz anders aus, als gestern noch. Dabei lief bis zum Freitagabend alles gut. Ich wusste, dass ich im Lauf des Tages noch mit dem Oberdoc reden muss. Ich habe es so weit es ging, geschoben. Nach einer ziemlich schlaflosen Nacht war ich müde und so sehr wie ich mir auch versuche zu sagen, dass ich diejenige bin die bestimmt, ob es mir gut geht oder nicht und dass ich es bin, die sich von der Negativität vereinnahmen lässt oder nicht, fühlt es sich langsam doch so an, als hätte die Negativität ihre Krallen um mich herum geschlungen und würde mich dazwischen auswringen. Hin und wieder schaltet sich die starke Seite einfach eine Weile aus, wenn sie tagelang zu sehr gegen die Negativität kämpfen musste und davon nur noch müde ist. Ich hoffe, dass ich in ein paar Tagen wieder motiviert und konzentriert über die Station hüpfen kann, aber erstmal ist es damit vorbei.
Den ganzen Tag schon muss ich mich bemühen laut genug zu sprechen, die Kollegen müssen heute öfter nachfragen. Die Tränen stehen schon in den Augenwinkeln. Mit meinem Chaoskopf kann ich nicht die unzähligen Medikamente meiner neuen Patientin auswendig lernen. Natürlich fällt mir in der Visite eines nicht ein. Ich fühle die Hand meines Oberarztes im Nacken, der mich zaghaft in den Schwitzkasten nimmt. „Mondkind, die musst Du auswendig können…“ Also schon wieder versagt…
Ich wusste, dass er mich in seinem Büro wahrscheinlich nur ein Mal anstupsen muss und ich da komplett auseinander falle. Aber dazu kommt es gar nicht. Wir klären kurz, welchen Patienten ich Montag in der Prüfung nehme. Der Epilepsie – Oberarzt ruft zwischendurch an und erklärt, dass er mich gern ab Montag hätte. Na das wird spannend… er selbst ein paar Tage nicht da, der Assistenzarzt im Urlaub… - wir werden es sehen.
Und dann… - trifft der nächste Schlaganfall ein und wir müssen schnell los.

Während wir auf die CT – Bilder warten ruft die Sekretärin vom ärztlichen Direktor bei meinem Oberarzt an. „Also Montag und Dienstag kann er nicht… - und Mittwoch auch nicht?",fragt mein Oberarzt. Nein… - das kann einfach nicht wahr sein. Nicht schon wieder. Nach ein paar Minuten: „Okay dann machen wir es am dritten Dezember morgens…“ Er schaut mich an: „Du hast es gehört Mondkind.“
Wortlos nehme ich einen Zettel und notiere es. Wieso hatte ich es im Gefühl? Wenn ich Montagmorgen eine mündliche Prüfung habe, kann ich beim besten Willen nicht das Wochenende vorher zwei Tage auf der Straße verbringen und mich in der übrigen Zeit mit allen möglichen Leuten treffen. Und er weiß doch, dass ich in die Studienstadt wollte.
Dem Labormenschen habe ich zum Glück noch gar nicht geschrieben gehabt, dass ich komme. Man kennt den Laden ja mittlerweile… - ich wollte es noch bis Anfang nächster Woche abwarten. Die Therapeutin glaubt es mir mit Sicherheit langsam auch nicht mehr, dass irgendwelche ominösen Prüfungen, die ständig hin und her geschoben werden, jeden zweiten Termin sprengen. Mit so einer Incompliance kann ich sie sicher nicht davon überzeugen, dass sie Anfang Januar noch ein wenig bleibt. Ich kann schlecht argumentieren, dass ich sie im Januar brauche, wenn es vorher monatelang ohne sie ging.
Mit einem ehemaligen Kollegen wollte ich mich auch in der Studienstadt treffen, um mit ihm das Thema Job noch ein letztes Mal zu erörtern. Nur, damit nochmal an alles gedacht wurde und ich noch ein Mal Gedankenanstöße eines Unbeteiligten habe – auch wenn ich mir mittlerweile meine, recht sicher zu sein.  Wir haben uns über ein Jahr nicht mehr gesehen und ich hatte ehrlich gesagt geglaubt, dass das auch nichts mehr werden würde. Ich schätze ihn zwar als Menschen sehr, aber die Umstände sind kompliziert. Freitagnachmittag nächste Woche hatte er heute vorgeschlagen. 
Ein Freund macht mir auch Sorgen, dem ich gesagt habe, dass wir uns dieses Wochenende nicht in einer der größeren umliegenden Städte treffen können, weil ich bis in den Abend der Meinung war, lernen zu müssen und dem ich nun sagen muss, dass wir uns nächste Woche auch nicht sehen werden.

Der Oberarzt meint, es geht sicher trotzdem irgendwie. Aber wenn ich keine Zeit zum Lernen habe und fünf Tage nicht den Verlauf des Patienten verfolgt habe… - das wird nichts - und wenn es nur daran liegt, dass ich mich selbst zu unsicher fühle, weil ich das Wochenende unberechtigterweise mit "schreibtischfernen Aktivitäten" verbracht habe. Es muss halt sitzen diesmal - und ich werde ohnehin nervös sein. An das anfängliche „Mondkind, erstmal geht es darum das PJ überhaupt zu schaffen“, kann sich schon längst keiner mehr erinnern. Wobei ihm glaube ich das Ausmaß der Vorbereitungen nicht klar ist - dass ich mich da durch sämtliche Leitlinien ackere und es – wie man gesehen hat – trotzdem nicht gereicht hat.
Wenn man bedenkt, dass es in der Studienordnung nach der ich studiere nirgendwo steht, dass man diese Prüfungen machen muss... Als Übung ist es sicher gut und ich habe das ja auch sehr ernst genommen, aber mit Durchfallen und all so etwas… - das muss doch jetzt nicht sein.

Es gäbe noch ganz vage die Möglichkeit, dass ich in der Woche danach mit einer Kollegin in die Studienstadt fahre, die dort zufällig Fortbildung hat. Dann bräuchte ich allerdings drei Tage Urlaub und ich weiß nicht, ob ich das ohne Weiteres bekommen werde. Und wenn ich das richtig im Ohr habe, ist die Therapeutin in dieser Woche im Urlaub – sie müsste ich zuerst fragen.

Ich finde, symbolisch steht so viel Hoffnung in diesem Foto...

Vielleicht sind all die Geschehenisse ein bisschen die Antwort auf das „Warum?“ der sich anbahnenden Krise. Im Prinzip war ich ja nur im Stress. So oft habe ich in der letzten Woche gehört „Mondkind, das ist Dein Patient“ und „Nein Mondkind, also den kannst du nicht nehmen, das ist zu lahm“. Jeden Abend habe ich prophylaktisch versucht etwas zu lesen, wenn sich am Horizont etwas abgezeichnet hat. Diese Prüfung treibt mich in den Wahnsinn. Insbesondere, wo der Prüfer eben nicht sehr Pro – Student ist und ich mir da mit meinem Perfektionismus die Zähne ausbeiße. Ein Mensch mit seiner Erfahrung kann jeden PJler locker aufs Glatteis schicken.
Und dann ist für mich der normale Stationsalltag immer noch Stress. Freitag morgen habe ich schon den ersten Adrenalin – Kick gehabt, als ich das MRT einer Patientin frei geben sollte, die einen erhöhten Kreatinin – Wert hatte. Alle anderen saßen in der Frühbesprechung, waren also nicht zu erreichen. Es war halt grenzwertig. Ich habe beschlossen es freizugeben und sie hinterher zu wässern, wie eine Süßwasseralge. War auch richtig, aber sicher war ich mir zu dem Zeitpunkt nicht.
Und auch wenn Lumbalpunktionen am Ende erfolgreich sind, so merke ich doch, dass ich während dessen vor Anspannung zittere.
Es ist - glaube ich - als Anfänger, dem die Routine fehlt alles anstrengender, als man es sich eingestehen mag und dazu noch das Theater mit der Prüfung, der Familie, die letztes Wochenende wieder eine erstklassige Aktion hingelegt hat…
Und außerdem die ganz große Angst, dass es am Ende doch nicht reicht. Vielleicht habe ich es mir durch die versiebte Prüfung selbst vergeigt, hier einen Job zu bekommen, wenn ich das möchte. Denn der ärztliche Direktor sieht eben nicht, dass auch Vieles funktioniert und richtig ist. Ich traue es mich ehrlich gesagt im Moment auch gar nicht, das Thema Stelle anzusprechen, aber langsam wird es halt wirklich Zeit.
Und dann.. – ja, sickert es langsam in mein Bewusstsein, dass ich heute in einem Monat schon wieder ganz woanders bin. Dann muss diese halbdurchsichtige Gestalt in ihrem Kleid barfuß alleine weiter an den Klippen entlang tanzen. Die zwar rational gesehen weiß, dass es sich für irgendetwas lohnen wird, aber die auch einfach nicht mehr will. Weil sie diese Sehnsucht nicht mehr aushält. Nach Menschen, die bleiben. Nicht weil sie müssen, weil sie sich irgendwie verpflichtet fühlen oder ein Verantwortungsgefühl haben, sondern, weil sie wollen.
Und irgendwie habe ich Angst, dem PJ in der Chirurgie nicht gewachsen zu sein. Ich weiß nicht, was meine Schwester so treibt – auf jeden Fall erzählt sie mir ständig, dass sie am Wochenende arbeiten muss.
Und Stress raubt immer viel von der positiven Einstellung die versucht, einen Mantel über die Negativität zu legen und sie darunter verschwinden zu lassen.

Obwohl ich den Tag über geistig nicht viel mitbekommen habe und in der Notaufnahme auch nicht die Anamnese des Patienten verschriftlichen konnte, um die der Kollege mich gebeten hatte, weil ich zwar gelauscht hatte, aber meine Konzentration so im Eimer war, dass ich am Ende des Satzes den Anfang vergessen hatte, war es doch ganz interessant.
Wir hatten einen Schlaganfall mit unbekanntem Zeitfenster. Deswegen sind eine Kollegin und ich dann mit der Patientin im RTW mit Blaulicht in die benachbarte Klinik gefahren und haben ein spezielles MRT gemacht, das uns verraten hat, dass sie noch im Lysezeitfenster ist.
Und was sonst so Freitagabend in der Notaufnahme aufschlägt… - es ist schon irgendwie schräg. Weil wir am Ende doch alle gleich sind. Und gleichzeitig eben auch nicht. Langjährige Alkoholabhängige. Die ihr Gehirn irgendwo ertränkt haben und eben dieses das jetzt mit Kurzschlüssen in Form von epileptischen Anfällen quittiert. Wie schräg das ist, wenn die Menschen um sich schlagen, wenn wir ihnen helfen und ihnen intravenös ein Medikament gegen die Krämpfe geben wollen. Weil sie es nicht verstehen.
Ich frage mich, in welchen Abgründen diese Menschen ihre Seele verloren haben, dass es so unaushaltbar war, dass die Selbstzerstörung der einzige Weg war. Denn jeder hat eine Geschichte – das habe ich von einem ehemals drogenabhängigen Patienten während eines Hausarztpraktikums gelernt. Auch wenn uns dieses Klientel in der Notaufnahme manchmal nervt, weil man viel Ärger damit hat. Und manchmal denke ich mir, dass jeder - je nachdem was er erlebt hat - in dieser hilflosen Situation sein könnte.

So… - was steht am Wochenede an? Ich denke heute werde ich genug mit Haushalt und Einkaufen zu tun haben. Auch die Anmeldung fürs mündliche Examen werde ich jetzt langsam doch mal mit der Post losschicken, da ich persönlich nicht beim Landesprüfungsamt vorbei gehen kann. Dazu brauche ich aber noch Briefumschläge und Briefmarken – keine Ahnung, wo ich letztere hier im Dorf herbekomme. Ich muss mich erkundigen.
Morgen werde ich mich wahrscheinlich mit Myasthenien auseinander setzen. Wir haben eine entsprechende Patientin und eine Kollegin sagte die Chancen stehen gut, dass sie bis zur Prüfung da bleibt – und der Neurooberdoc meinte gestern ohnehin zu mir „Mondkind, das ist Deine Patientin“. Da das Krankheitsbild so häufig nun doch nicht ist, kann ich darüber vielleicht gleich noch meinen Vortrag halten. Vielleicht geben ja irgendwelche Studien und Paper noch etwas her – damit kann man als Referenz meistens gut punkten. Und da ich kaum glaube, dass ich es dieses Wochenende hier aushalte, werde ich mich morgen wahrscheinlich ins Büro in die Neuro zurück ziehen.
Und in den Abendstunden werde ich vielleicht den Blog etwas auf Vordermann bringen…

Allen Lesern wünsche ich ein schönes Wochenende!
Mondkind

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Drittes Staatsexamen - ein Erfahrungsbericht

Reise - Tagebuch #2

Von einem Gespräch mit dem Kardiochirurgen